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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
frühzeitig in der Kirche hervor. Mehrere jener Väter des 2. Jahr-
hunderts, welche zugleich eine nur bedingungsweise angebotne Unsterb-
lichkeit Adams vor dem Falle lehrten, huldigten ihr. Theophilus
von Antiochia betonte sehr stark, hierin fast ein Vorläufer der
späteren pelagianisirenden Antiochener, daß Adam vor dem Falle
ein Kind und kindischen Sinnes ([fremdsprachliches Material - 2 Wörter fehlen]) gewesen sei;
ähnlich Jrenäus, der demselben zwar ein Unschuldskleid (stola sanc-
titatis
) ertheilt, ihn aber doch ein bloßes Kind (infans) sein ließ;
auch wohl Tertullian, der zwar die Unschuld und enge Gottesfreund-
schaft des Paradiesesbewohners hervorhob, eines höheren Wissens
desselben aber nicht gedachte. Die Vorstellungsweise, welche die
Beschaffenheit der Menschheitsstammeltern im Urstande dem Kindes-
alter mehr oder minder analog dachte, scheint überhaupt bis um
die Zeit Augustins die vorherrschende gewesen zu sein. Erst dieser
Letztere setzte, im Zusammenhange mit seiner früher erwähnten
Steigerung der intellectuellen Vorzüge Adams ins Abenteuerliche,
auch die Annahme in Curs, daß derselbe wohl als erwachsener
Mann geschaffen worden sei -- wiewohl er dies keineswegs bestimmt
behauptete, sondern es nur als Gottes Allmacht und Weisheit ent-
sprechend bezeichnete, wenn es so geschehen sei.1) Wie wenig man
um Augustins Zeit im Abendlande schon daran gewöhnt war, den
Paradiesesbewohnern vor dem Falle eine vollständig entwickelte, dem
reiferen Alter entsprechende Jntelligenz, oder gar übernatürliche Ver-
standeskräfte zuzuschreiben, das zeigen auf lehrreiche Weise die
Schilderungen einiger lateinischer Dichter dieses Zeitalters in ihren
Versificationen der Schöpfungs- und Sündenfallsgeschichte. Die dem
Spanier Juvencus (um 330) beigelegte, aber vielleicht erst etwas
jüngere hexametrische Bearbeitung der Genesis stellt den Zustand
Adams und Evas vor ihrem Falle geradezu als eine Nacht geistiger
Blindheit und Unwissenheit dar, die Wirkung des Apfelbisses da-
gegen als eine Verscheuchung dieser Nacht und ein Hellewerden ihrer

1) Aug., De Genesi ad lit. l. VI, c. 13. (vgl. Lomb., L. II Sent.,
dist.
17).

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
frühzeitig in der Kirche hervor. Mehrere jener Väter des 2. Jahr-
hunderts, welche zugleich eine nur bedingungsweiſe angebotne Unſterb-
lichkeit Adams vor dem Falle lehrten, huldigten ihr. Theophilus
von Antiochia betonte ſehr ſtark, hierin faſt ein Vorläufer der
ſpäteren pelagianiſirenden Antiochener, daß Adam vor dem Falle
ein Kind und kindiſchen Sinnes ([fremdsprachliches Material – 2 Wörter fehlen]) geweſen ſei;
ähnlich Jrenäus, der demſelben zwar ein Unſchuldskleid (stola sanc-
titatis
) ertheilt, ihn aber doch ein bloßes Kind (infans) ſein ließ;
auch wohl Tertullian, der zwar die Unſchuld und enge Gottesfreund-
ſchaft des Paradieſesbewohners hervorhob, eines höheren Wiſſens
deſſelben aber nicht gedachte. Die Vorſtellungsweiſe, welche die
Beſchaffenheit der Menſchheitsſtammeltern im Urſtande dem Kindes-
alter mehr oder minder analog dachte, ſcheint überhaupt bis um
die Zeit Auguſtins die vorherrſchende geweſen zu ſein. Erſt dieſer
Letztere ſetzte, im Zuſammenhange mit ſeiner früher erwähnten
Steigerung der intellectuellen Vorzüge Adams ins Abenteuerliche,
auch die Annahme in Curs, daß derſelbe wohl als erwachſener
Mann geſchaffen worden ſei — wiewohl er dies keineswegs beſtimmt
behauptete, ſondern es nur als Gottes Allmacht und Weisheit ent-
ſprechend bezeichnete, wenn es ſo geſchehen ſei.1) Wie wenig man
um Auguſtins Zeit im Abendlande ſchon daran gewöhnt war, den
Paradieſesbewohnern vor dem Falle eine vollſtändig entwickelte, dem
reiferen Alter entſprechende Jntelligenz, oder gar übernatürliche Ver-
ſtandeskräfte zuzuſchreiben, das zeigen auf lehrreiche Weiſe die
Schilderungen einiger lateiniſcher Dichter dieſes Zeitalters in ihren
Verſificationen der Schöpfungs- und Sündenfallsgeſchichte. Die dem
Spanier Juvencus (um 330) beigelegte, aber vielleicht erſt etwas
jüngere hexametriſche Bearbeitung der Geneſis ſtellt den Zuſtand
Adams und Evas vor ihrem Falle geradezu als eine Nacht geiſtiger
Blindheit und Unwiſſenheit dar, die Wirkung des Apfelbiſſes da-
gegen als eine Verſcheuchung dieſer Nacht und ein Hellewerden ihrer

1) Aug., De Genesi ad lit. l. VI, c. 13. (vgl. Lomb., L. II Sent.,
dist.
17).
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[41/0051] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. frühzeitig in der Kirche hervor. Mehrere jener Väter des 2. Jahr- hunderts, welche zugleich eine nur bedingungsweiſe angebotne Unſterb- lichkeit Adams vor dem Falle lehrten, huldigten ihr. Theophilus von Antiochia betonte ſehr ſtark, hierin faſt ein Vorläufer der ſpäteren pelagianiſirenden Antiochener, daß Adam vor dem Falle ein Kind und kindiſchen Sinnes (__) geweſen ſei; ähnlich Jrenäus, der demſelben zwar ein Unſchuldskleid (stola sanc- titatis) ertheilt, ihn aber doch ein bloßes Kind (infans) ſein ließ; auch wohl Tertullian, der zwar die Unſchuld und enge Gottesfreund- ſchaft des Paradieſesbewohners hervorhob, eines höheren Wiſſens deſſelben aber nicht gedachte. Die Vorſtellungsweiſe, welche die Beſchaffenheit der Menſchheitsſtammeltern im Urſtande dem Kindes- alter mehr oder minder analog dachte, ſcheint überhaupt bis um die Zeit Auguſtins die vorherrſchende geweſen zu ſein. Erſt dieſer Letztere ſetzte, im Zuſammenhange mit ſeiner früher erwähnten Steigerung der intellectuellen Vorzüge Adams ins Abenteuerliche, auch die Annahme in Curs, daß derſelbe wohl als erwachſener Mann geſchaffen worden ſei — wiewohl er dies keineswegs beſtimmt behauptete, ſondern es nur als Gottes Allmacht und Weisheit ent- ſprechend bezeichnete, wenn es ſo geſchehen ſei. 1) Wie wenig man um Auguſtins Zeit im Abendlande ſchon daran gewöhnt war, den Paradieſesbewohnern vor dem Falle eine vollſtändig entwickelte, dem reiferen Alter entſprechende Jntelligenz, oder gar übernatürliche Ver- ſtandeskräfte zuzuſchreiben, das zeigen auf lehrreiche Weiſe die Schilderungen einiger lateiniſcher Dichter dieſes Zeitalters in ihren Verſificationen der Schöpfungs- und Sündenfallsgeſchichte. Die dem Spanier Juvencus (um 330) beigelegte, aber vielleicht erſt etwas jüngere hexametriſche Bearbeitung der Geneſis ſtellt den Zuſtand Adams und Evas vor ihrem Falle geradezu als eine Nacht geiſtiger Blindheit und Unwiſſenheit dar, die Wirkung des Apfelbiſſes da- gegen als eine Verſcheuchung dieſer Nacht und ein Hellewerden ihrer 1) Aug., De Genesi ad lit. l. VI, c. 13. (vgl. Lomb., L. II Sent., dist. 17).

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/51>, abgerufen am 21.11.2024.