Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung. gottlose Menschen damals schon auf Erden vorhanden waren: immer-hin war dieses vorsintfluthliche Zeitalter -- während dessen ja auch das Paradies, freilich verschlossen für die Menschen, sich immer noch auf der Erde befand -- noch ein besseres als alle folgenden Zeit- alter der menschlichen Geschichte. Es war jenes goldne Zeitalter, dessen die alten Dichter, ohne Zweifel belehrt aus der Ueberlieferung der Erzväter, gedenken; auf es zunächst ist dann die verderben- bringende Wasserwelt der Sündfluth gefolgt, hierauf die bleichgelbe Welt der Götzendienerei und der Gottfeindlichkeit, in welcher wir noch leben; das letzte in dieser Reihe wird die verzehrende Feuer- welt des jüngsten Gerichtes sein. Kurz, dieß ist die absteigende Stufenfolge dieser Weltalter: zuerst jene "ursprünglichste beste und heiligste Welt, der die köstlichsten Edelsteine des Menschengeschlechts (nobilissimae gemmae totius generis humani) angehörten; dann die Zeit nach der Fluth, wo auch noch "etliche herrliche und große Patriarchen, Könige und Propeten gelebt und Christum herbeigesehnt haben (Luk. 10, 24), die freilich jenen ersten und ältesten Patriarchen nicht gleich sind; endlich unsere Zeit des Neuen Bundes, die, ob- schon Christus in ihr erschienen, doch gleichsam den Kehricht und Bodensatz der Welt (velut putamen et faex mundi) bildet, da sie Christum in eben dem Grade gering achtet, als jene erste Welt nichts Köstlicheres kannte und begehrte, denn ihn.1) Noch im 17. Jahrhundert und darüber hinaus, bei Joh. 1) Enarrat. in Genes. c. 5, p. 84 s.; 96--107; 110--116. 2) Siehe bes. Chrph. Starke's Synopsis, zu Gen. 5, 1 ff., woselbst auch
einzelnes über Luthern Hinausgehende: z. B. Adam habe inmitten seiner Kindes- kinder "den ersten Monarchen vorgestellet", freilich aber sein Regiment wohl immer nur in Liebe und Gerechtigkeit geführt; er sei "öffentlich, im Beisein vieler Menschen, begraben worden" -- ob gerade auf dem Berge Calvariä, sei ungewiß u. s. f. I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. gottloſe Menſchen damals ſchon auf Erden vorhanden waren: immer-hin war dieſes vorſintfluthliche Zeitalter — während deſſen ja auch das Paradies, freilich verſchloſſen für die Menſchen, ſich immer noch auf der Erde befand — noch ein beſſeres als alle folgenden Zeit- alter der menſchlichen Geſchichte. Es war jenes goldne Zeitalter, deſſen die alten Dichter, ohne Zweifel belehrt aus der Ueberlieferung der Erzväter, gedenken; auf es zunächſt iſt dann die verderben- bringende Waſſerwelt der Sündfluth gefolgt, hierauf die bleichgelbe Welt der Götzendienerei und der Gottfeindlichkeit, in welcher wir noch leben; das letzte in dieſer Reihe wird die verzehrende Feuer- welt des jüngſten Gerichtes ſein. Kurz, dieß iſt die abſteigende Stufenfolge dieſer Weltalter: zuerſt jene „urſprünglichſte beſte und heiligſte Welt, der die köſtlichſten Edelſteine des Menſchengeſchlechts (nobilissimae gemmae totius generis humani) angehörten; dann die Zeit nach der Fluth, wo auch noch „etliche herrliche und große Patriarchen, Könige und Propeten gelebt und Chriſtum herbeigeſehnt haben (Luk. 10, 24), die freilich jenen erſten und älteſten Patriarchen nicht gleich ſind; endlich unſere Zeit des Neuen Bundes, die, ob- ſchon Chriſtus in ihr erſchienen, doch gleichſam den Kehricht und Bodenſatz der Welt (velut putamen et faex mundi) bildet, da ſie Chriſtum in eben dem Grade gering achtet, als jene erſte Welt nichts Köſtlicheres kannte und begehrte, denn ihn.1) Noch im 17. Jahrhundert und darüber hinaus, bei Joh. 1) Enarrat. in Genes. c. 5, p. 84 s.; 96—107; 110—116. 2) Siehe beſ. Chrph. Starke’s Synopſis, zu Gen. 5, 1 ff., woſelbſt auch
einzelnes über Luthern Hinausgehende: z. B. Adam habe inmitten ſeiner Kindes- kinder „den erſten Monarchen vorgeſtellet‟, freilich aber ſein Regiment wohl immer nur in Liebe und Gerechtigkeit geführt; er ſei „öffentlich, im Beiſein vieler Menſchen, begraben worden‟ — ob gerade auf dem Berge Calvariä, ſei ungewiß u. ſ. f. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0060" n="50"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.</fw><lb/> gottloſe Menſchen damals ſchon auf Erden vorhanden waren: immer-<lb/> hin war dieſes vorſintfluthliche Zeitalter — während deſſen ja auch<lb/> das Paradies, freilich verſchloſſen für die Menſchen, ſich immer noch<lb/> auf der Erde befand — noch ein beſſeres als alle folgenden Zeit-<lb/> alter der menſchlichen Geſchichte. Es war jenes goldne Zeitalter,<lb/> deſſen die alten Dichter, ohne Zweifel belehrt aus der Ueberlieferung<lb/> der Erzväter, gedenken; auf es zunächſt iſt dann die verderben-<lb/> bringende Waſſerwelt der Sündfluth gefolgt, hierauf die bleichgelbe<lb/> Welt der Götzendienerei und der Gottfeindlichkeit, in welcher wir<lb/> noch leben; das letzte in dieſer Reihe wird die verzehrende Feuer-<lb/> welt des jüngſten Gerichtes ſein. Kurz, dieß iſt die abſteigende<lb/> Stufenfolge dieſer Weltalter: zuerſt jene „urſprünglichſte beſte und<lb/> heiligſte Welt, der die köſtlichſten Edelſteine des Menſchengeſchlechts<lb/> (<hi rendition="#aq">nobilissimae gemmae totius generis humani</hi>) angehörten; dann<lb/> die Zeit nach der Fluth, wo auch noch „etliche herrliche und große<lb/> Patriarchen, Könige und Propeten gelebt und Chriſtum herbeigeſehnt<lb/> haben (Luk. 10, 24), die freilich jenen erſten und älteſten Patriarchen<lb/> nicht gleich ſind; endlich unſere Zeit des Neuen Bundes, die, ob-<lb/> ſchon Chriſtus in ihr erſchienen, doch gleichſam den Kehricht und<lb/> Bodenſatz der Welt (<hi rendition="#aq">velut putamen et faex mundi</hi>) bildet, da<lb/> ſie Chriſtum in eben dem Grade gering achtet, als jene erſte Welt<lb/> nichts Köſtlicheres kannte und begehrte, denn ihn.<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Enarrat. in Genes. c. 5, p. 84 s.;</hi> 96—107; 110—116.</note></p><lb/> <p>Noch im 17. Jahrhundert und darüber hinaus, bei Joh.<lb/> Gerhard, Calov, Sebaſtian Schmid, Starke ꝛc. ſind die Einwirk-<lb/> ungen dieſer eigenthümlich kühnen und naiv-genialen Betrachtungen<lb/> Luthers über die vorſintfluthliche Patriarchenzeit als eine Art modi-<lb/> ficirter Fortdauer des paradieſiſchen Urſtands wahrzunehmen<note place="foot" n="2)">Siehe beſ. Chrph. <hi rendition="#g">Starke’s</hi> Synopſis, zu Gen. 5, 1 ff., woſelbſt auch<lb/> einzelnes über Luthern Hinausgehende: z. B. Adam habe inmitten ſeiner Kindes-<lb/> kinder „den erſten Monarchen vorgeſtellet‟, freilich aber ſein Regiment wohl<lb/> immer nur in Liebe und Gerechtigkeit geführt; er ſei „öffentlich, im Beiſein<lb/> vieler Menſchen, begraben worden‟ — ob gerade auf dem Berge Calvariä, ſei<lb/> ungewiß u. ſ. f.</note>. Erſt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [50/0060]
I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
gottloſe Menſchen damals ſchon auf Erden vorhanden waren: immer-
hin war dieſes vorſintfluthliche Zeitalter — während deſſen ja auch
das Paradies, freilich verſchloſſen für die Menſchen, ſich immer noch
auf der Erde befand — noch ein beſſeres als alle folgenden Zeit-
alter der menſchlichen Geſchichte. Es war jenes goldne Zeitalter,
deſſen die alten Dichter, ohne Zweifel belehrt aus der Ueberlieferung
der Erzväter, gedenken; auf es zunächſt iſt dann die verderben-
bringende Waſſerwelt der Sündfluth gefolgt, hierauf die bleichgelbe
Welt der Götzendienerei und der Gottfeindlichkeit, in welcher wir
noch leben; das letzte in dieſer Reihe wird die verzehrende Feuer-
welt des jüngſten Gerichtes ſein. Kurz, dieß iſt die abſteigende
Stufenfolge dieſer Weltalter: zuerſt jene „urſprünglichſte beſte und
heiligſte Welt, der die köſtlichſten Edelſteine des Menſchengeſchlechts
(nobilissimae gemmae totius generis humani) angehörten; dann
die Zeit nach der Fluth, wo auch noch „etliche herrliche und große
Patriarchen, Könige und Propeten gelebt und Chriſtum herbeigeſehnt
haben (Luk. 10, 24), die freilich jenen erſten und älteſten Patriarchen
nicht gleich ſind; endlich unſere Zeit des Neuen Bundes, die, ob-
ſchon Chriſtus in ihr erſchienen, doch gleichſam den Kehricht und
Bodenſatz der Welt (velut putamen et faex mundi) bildet, da
ſie Chriſtum in eben dem Grade gering achtet, als jene erſte Welt
nichts Köſtlicheres kannte und begehrte, denn ihn. 1)
Noch im 17. Jahrhundert und darüber hinaus, bei Joh.
Gerhard, Calov, Sebaſtian Schmid, Starke ꝛc. ſind die Einwirk-
ungen dieſer eigenthümlich kühnen und naiv-genialen Betrachtungen
Luthers über die vorſintfluthliche Patriarchenzeit als eine Art modi-
ficirter Fortdauer des paradieſiſchen Urſtands wahrzunehmen 2). Erſt
1) Enarrat. in Genes. c. 5, p. 84 s.; 96—107; 110—116.
2) Siehe beſ. Chrph. Starke’s Synopſis, zu Gen. 5, 1 ff., woſelbſt auch
einzelnes über Luthern Hinausgehende: z. B. Adam habe inmitten ſeiner Kindes-
kinder „den erſten Monarchen vorgeſtellet‟, freilich aber ſein Regiment wohl
immer nur in Liebe und Gerechtigkeit geführt; er ſei „öffentlich, im Beiſein
vieler Menſchen, begraben worden‟ — ob gerade auf dem Berge Calvariä, ſei
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