Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite
Pflichten nach den verschiedenen

Als Erbe der Unsterblichkeit, soll ich
mehr auf das Unsichtbare als auf das Sicht-
bare sehen; mein gegenwärtiges Leben als ei-
nen Stand der Erziehung, der Uebung, der
Vorbereitung betrachten und gebrauchen; nach
immer reinerer Tugend, nach immer höherer
Vollkommenheit streben; mich in Rücksicht auf
alles Irrdische und Vergängliche der weisen
Mäßigung befleißigen, und schon itzt so den-
ken, so urtheilen, so gesinnet seyn, und mich
so verhalten lernen, wie es sich für einen Bür-
ger der bessern Welt, für einen Menschen schi-
cket, dessen Vaterland im Himmel ist.

Gott, wie wichtig ist mein Beruf! Wel-
che Aufmerksamkeit, welche Sorgfalt, welcher
Eifer, welche Standhaftigkeit gehören nicht
dazu, um demselben ein Genüge zu leisten!
Wo soll ich die nöthigen Kräfte dazu herneh-
men? Wie meine Pflicht erfüllen, wenn du
mich nicht selbst unterstützest? Doch, du bist
Vater, du forderst nicht mehr von uns, als
wir zu leisten vermögen. Nie verlangest du,
gleich einem strengen Herrn, da zu erndten,
wo du nicht gesäet hast. Nein, du hast Pflich-
ten und Kräfte und Mittel weislich und gütig
gegen einander abgewogen, und wenn du jene

unabläßig
Pflichten nach den verſchiedenen

Als Erbe der Unſterblichkeit, ſoll ich
mehr auf das Unſichtbare als auf das Sicht-
bare ſehen; mein gegenwärtiges Leben als ei-
nen Stand der Erziehung, der Uebung, der
Vorbereitung betrachten und gebrauchen; nach
immer reinerer Tugend, nach immer höherer
Vollkommenheit ſtreben; mich in Rückſicht auf
alles Irrdiſche und Vergängliche der weiſen
Mäßigung befleißigen, und ſchon itzt ſo den-
ken, ſo urtheilen, ſo geſinnet ſeyn, und mich
ſo verhalten lernen, wie es ſich für einen Bür-
ger der beſſern Welt, für einen Menſchen ſchi-
cket, deſſen Vaterland im Himmel iſt.

Gott, wie wichtig iſt mein Beruf! Wel-
che Aufmerkſamkeit, welche Sorgfalt, welcher
Eifer, welche Standhaftigkeit gehören nicht
dazu, um demſelben ein Genüge zu leiſten!
Wo ſoll ich die nöthigen Kräfte dazu herneh-
men? Wie meine Pflicht erfüllen, wenn du
mich nicht ſelbſt unterſtützeſt? Doch, du biſt
Vater, du forderſt nicht mehr von uns, als
wir zu leiſten vermögen. Nie verlangeſt du,
gleich einem ſtrengen Herrn, da zu erndten,
wo du nicht geſäet haſt. Nein, du haſt Pflich-
ten und Kräfte und Mittel weislich und gütig
gegen einander abgewogen, und wenn du jene

unabläßig
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0220" n="198"/>
              <fw place="top" type="header">Pflichten nach den ver&#x017F;chiedenen</fw><lb/>
              <p>Als <hi rendition="#fr">Erbe der Un&#x017F;terblichkeit,</hi> &#x017F;oll ich<lb/>
mehr auf das Un&#x017F;ichtbare als auf das Sicht-<lb/>
bare &#x017F;ehen; mein gegenwärtiges Leben als ei-<lb/>
nen Stand der Erziehung, der Uebung, der<lb/>
Vorbereitung betrachten und gebrauchen; nach<lb/>
immer reinerer Tugend, nach immer höherer<lb/>
Vollkommenheit &#x017F;treben; mich in Rück&#x017F;icht auf<lb/>
alles Irrdi&#x017F;che und Vergängliche der wei&#x017F;en<lb/>
Mäßigung befleißigen, und &#x017F;chon itzt &#x017F;o den-<lb/>
ken, &#x017F;o urtheilen, &#x017F;o ge&#x017F;innet &#x017F;eyn, und mich<lb/>
&#x017F;o verhalten lernen, wie es &#x017F;ich für einen Bür-<lb/>
ger der be&#x017F;&#x017F;ern Welt, für einen Men&#x017F;chen &#x017F;chi-<lb/>
cket, de&#x017F;&#x017F;en Vaterland im Himmel i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Gott, wie wichtig i&#x017F;t mein Beruf! Wel-<lb/>
che Aufmerk&#x017F;amkeit, welche Sorgfalt, welcher<lb/>
Eifer, welche Standhaftigkeit gehören nicht<lb/>
dazu, um dem&#x017F;elben ein Genüge zu lei&#x017F;ten!<lb/>
Wo &#x017F;oll ich die nöthigen Kräfte dazu herneh-<lb/>
men? Wie meine Pflicht erfüllen, wenn du<lb/>
mich nicht &#x017F;elb&#x017F;t unter&#x017F;tütze&#x017F;t? Doch, du bi&#x017F;t<lb/>
Vater, du forder&#x017F;t nicht mehr von uns, als<lb/>
wir zu lei&#x017F;ten vermögen. Nie verlange&#x017F;t du,<lb/>
gleich einem &#x017F;trengen Herrn, da zu erndten,<lb/>
wo du nicht ge&#x017F;äet ha&#x017F;t. Nein, du ha&#x017F;t Pflich-<lb/>
ten und Kräfte und Mittel weislich und gütig<lb/>
gegen einander abgewogen, und wenn du jene<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">unabläßig</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0220] Pflichten nach den verſchiedenen Als Erbe der Unſterblichkeit, ſoll ich mehr auf das Unſichtbare als auf das Sicht- bare ſehen; mein gegenwärtiges Leben als ei- nen Stand der Erziehung, der Uebung, der Vorbereitung betrachten und gebrauchen; nach immer reinerer Tugend, nach immer höherer Vollkommenheit ſtreben; mich in Rückſicht auf alles Irrdiſche und Vergängliche der weiſen Mäßigung befleißigen, und ſchon itzt ſo den- ken, ſo urtheilen, ſo geſinnet ſeyn, und mich ſo verhalten lernen, wie es ſich für einen Bür- ger der beſſern Welt, für einen Menſchen ſchi- cket, deſſen Vaterland im Himmel iſt. Gott, wie wichtig iſt mein Beruf! Wel- che Aufmerkſamkeit, welche Sorgfalt, welcher Eifer, welche Standhaftigkeit gehören nicht dazu, um demſelben ein Genüge zu leiſten! Wo ſoll ich die nöthigen Kräfte dazu herneh- men? Wie meine Pflicht erfüllen, wenn du mich nicht ſelbſt unterſtützeſt? Doch, du biſt Vater, du forderſt nicht mehr von uns, als wir zu leiſten vermögen. Nie verlangeſt du, gleich einem ſtrengen Herrn, da zu erndten, wo du nicht geſäet haſt. Nein, du haſt Pflich- ten und Kräfte und Mittel weislich und gütig gegen einander abgewogen, und wenn du jene unabläßig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zollikofer_andachtsuebungen01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zollikofer_andachtsuebungen01_1785/220
Zitationshilfe: Zollikofer, Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. Leipzig, 1785, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zollikofer_andachtsuebungen01_1785/220>, abgerufen am 04.12.2024.