Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Magd herein mit dem brennenden Lichte. Waldrich eilte fort und aus dem Hause, um seine Thränen zu verbergen und seinen Schmerz im Freien auszuhauchen. Friederike ging in ihr Zimmer und schützte Kopfweh vor, um sich ins Bett legen und den ganzen Abend ungestört sein zu können. In der Nacht reisete der Hauptmann ab. Herr Bantes hatte vorher ihn noch gezwungen, einen guten, wärmenden Punsch mit ihm zu trinken. Aber der Punsch erheiterte das Gemüth des Scheidenden nicht, ob er sich gleich in Gegenwart des Herrn Bantes Gewalt that, fröhlich zu scheinen. Frau Bantes bemerkte es wohl. Und als sie folgenden Morgens zu Friederiken ans Bett trat und fragte: Wie hast du geschlafen? Ist dir besser? sah sie wohl, daß das arme Mädchen blaß war und rothgeweinte Augen hatte. Kind, sprach sie, ich merke, du bist krank. Warum verhehlst du der Mutter dein Leiden? Bin ich deine Mutter nicht mehr? Liebe ich dich weniger, denn sonst, oder liebst du mich weniger, seit Waldrich deine Liebe ist? Warum wirst du roth? Erröthest du vor einem Unrecht? Daß du ihn liebst, darin finde ich eben nichts Sündhaftes; aber daß du mit deinem Herzen nicht, wie sonst, klar vor mir, wie vor Gott, stehest, das ist zu tadeln. Friederike richtete sich auf, breitete ihre Arme aus und drückte laut weinend die Mutter an sich: Ja, ich lieb' ihn. Ja, ich bin ihm zugesagt. Sie wissen es. Magd herein mit dem brennenden Lichte. Waldrich eilte fort und aus dem Hause, um seine Thränen zu verbergen und seinen Schmerz im Freien auszuhauchen. Friederike ging in ihr Zimmer und schützte Kopfweh vor, um sich ins Bett legen und den ganzen Abend ungestört sein zu können. In der Nacht reisete der Hauptmann ab. Herr Bantes hatte vorher ihn noch gezwungen, einen guten, wärmenden Punsch mit ihm zu trinken. Aber der Punsch erheiterte das Gemüth des Scheidenden nicht, ob er sich gleich in Gegenwart des Herrn Bantes Gewalt that, fröhlich zu scheinen. Frau Bantes bemerkte es wohl. Und als sie folgenden Morgens zu Friederiken ans Bett trat und fragte: Wie hast du geschlafen? Ist dir besser? sah sie wohl, daß das arme Mädchen blaß war und rothgeweinte Augen hatte. Kind, sprach sie, ich merke, du bist krank. Warum verhehlst du der Mutter dein Leiden? Bin ich deine Mutter nicht mehr? Liebe ich dich weniger, denn sonst, oder liebst du mich weniger, seit Waldrich deine Liebe ist? Warum wirst du roth? Erröthest du vor einem Unrecht? Daß du ihn liebst, darin finde ich eben nichts Sündhaftes; aber daß du mit deinem Herzen nicht, wie sonst, klar vor mir, wie vor Gott, stehest, das ist zu tadeln. Friederike richtete sich auf, breitete ihre Arme aus und drückte laut weinend die Mutter an sich: Ja, ich lieb' ihn. Ja, ich bin ihm zugesagt. Sie wissen es. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="11"> <p><pb facs="#f0103"/> Magd herein mit dem brennenden Lichte. Waldrich eilte fort und aus dem Hause, um seine Thränen zu verbergen und seinen Schmerz im Freien auszuhauchen. Friederike ging in ihr Zimmer und schützte Kopfweh vor, um sich ins Bett legen und den ganzen Abend ungestört sein zu können.</p><lb/> <p>In der Nacht reisete der Hauptmann ab. Herr Bantes hatte vorher ihn noch gezwungen, einen guten, wärmenden Punsch mit ihm zu trinken. Aber der Punsch erheiterte das Gemüth des Scheidenden nicht, ob er sich gleich in Gegenwart des Herrn Bantes Gewalt that, fröhlich zu scheinen. Frau Bantes bemerkte es wohl. Und als sie folgenden Morgens zu Friederiken ans Bett trat und fragte: Wie hast du geschlafen? Ist dir besser? sah sie wohl, daß das arme Mädchen blaß war und rothgeweinte Augen hatte.</p><lb/> <p>Kind, sprach sie, ich merke, du bist krank. Warum verhehlst du der Mutter dein Leiden? Bin ich deine Mutter nicht mehr? Liebe ich dich weniger, denn sonst, oder liebst du mich weniger, seit Waldrich deine Liebe ist? Warum wirst du roth? Erröthest du vor einem Unrecht? Daß du ihn liebst, darin finde ich eben nichts Sündhaftes; aber daß du mit deinem Herzen nicht, wie sonst, klar vor mir, wie vor Gott, stehest, das ist zu tadeln.</p><lb/> <p>Friederike richtete sich auf, breitete ihre Arme aus und drückte laut weinend die Mutter an sich: Ja, ich lieb' ihn. Ja, ich bin ihm zugesagt. Sie wissen es.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
Magd herein mit dem brennenden Lichte. Waldrich eilte fort und aus dem Hause, um seine Thränen zu verbergen und seinen Schmerz im Freien auszuhauchen. Friederike ging in ihr Zimmer und schützte Kopfweh vor, um sich ins Bett legen und den ganzen Abend ungestört sein zu können.
In der Nacht reisete der Hauptmann ab. Herr Bantes hatte vorher ihn noch gezwungen, einen guten, wärmenden Punsch mit ihm zu trinken. Aber der Punsch erheiterte das Gemüth des Scheidenden nicht, ob er sich gleich in Gegenwart des Herrn Bantes Gewalt that, fröhlich zu scheinen. Frau Bantes bemerkte es wohl. Und als sie folgenden Morgens zu Friederiken ans Bett trat und fragte: Wie hast du geschlafen? Ist dir besser? sah sie wohl, daß das arme Mädchen blaß war und rothgeweinte Augen hatte.
Kind, sprach sie, ich merke, du bist krank. Warum verhehlst du der Mutter dein Leiden? Bin ich deine Mutter nicht mehr? Liebe ich dich weniger, denn sonst, oder liebst du mich weniger, seit Waldrich deine Liebe ist? Warum wirst du roth? Erröthest du vor einem Unrecht? Daß du ihn liebst, darin finde ich eben nichts Sündhaftes; aber daß du mit deinem Herzen nicht, wie sonst, klar vor mir, wie vor Gott, stehest, das ist zu tadeln.
Friederike richtete sich auf, breitete ihre Arme aus und drückte laut weinend die Mutter an sich: Ja, ich lieb' ihn. Ja, ich bin ihm zugesagt. Sie wissen es.
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Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/103>, abgerufen am 16.02.2025. |