Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.er ihr auch war, zu begünstigen, sondern jede Uebereilung und das daraus mögliche Unglück zu verhüten, trachtete sie nun, die förmliche Verlobung des Banquier mit ihrer Tochter zu verspäten. Sie wünschte, die jungen Leute sollten sich erst kennen lernen, Friederike sollte sich erst an ihr bestimmtes Schicksal in Gedanken gewöhnen. Nebenbei war doch auch erst näher zu erfahren, ob Herr von Hahn durch sein Herz das Herz Friederikens verdiene. Daher hatte die sorgliche Mutter dem Herrn Bantes, obwohl er ihr das auch für sie hochwichtige Verfügen über die Hand seiner Tochter bis zum Geburtstage verheimlicht hatte, nie in seiner Wahl widersprochen, keinen Vorwurf gemacht. Sie kannte Herrn Bantes zu gut: Widerspruch würde ihn noch erpichter auf seine Sache gemacht haben. Darum spann sie jenes Gespräch mit ihm an und schob sie ihm den Dorn ins Gewissen und freute sich, als sie wahrnahm, es sei nicht ohne Wirkung geblieben. Darum hatte sie auch, schon am Geburtstage selbst, an eine Freundin in der Residenz um Erkundigung über den sittlichen Werth des Herrn von Hahn geschrieben. Die Antwort traf an demselben Tage ein, als das schöne Wetter dem Herrn Bantes Schrecken machte. Herr von Hahn ward in dem Briefe der Freundin als einer der rechtschaffensten Männer geschildert, der Jedermanns Achtung und bisher auch Jedermanns Bedauern genossen hätte, nicht nur, weil er immer sehr kränklich, sondern bisher auch in fast sklavischer Abhängigkeit er ihr auch war, zu begünstigen, sondern jede Uebereilung und das daraus mögliche Unglück zu verhüten, trachtete sie nun, die förmliche Verlobung des Banquier mit ihrer Tochter zu verspäten. Sie wünschte, die jungen Leute sollten sich erst kennen lernen, Friederike sollte sich erst an ihr bestimmtes Schicksal in Gedanken gewöhnen. Nebenbei war doch auch erst näher zu erfahren, ob Herr von Hahn durch sein Herz das Herz Friederikens verdiene. Daher hatte die sorgliche Mutter dem Herrn Bantes, obwohl er ihr das auch für sie hochwichtige Verfügen über die Hand seiner Tochter bis zum Geburtstage verheimlicht hatte, nie in seiner Wahl widersprochen, keinen Vorwurf gemacht. Sie kannte Herrn Bantes zu gut: Widerspruch würde ihn noch erpichter auf seine Sache gemacht haben. Darum spann sie jenes Gespräch mit ihm an und schob sie ihm den Dorn ins Gewissen und freute sich, als sie wahrnahm, es sei nicht ohne Wirkung geblieben. Darum hatte sie auch, schon am Geburtstage selbst, an eine Freundin in der Residenz um Erkundigung über den sittlichen Werth des Herrn von Hahn geschrieben. Die Antwort traf an demselben Tage ein, als das schöne Wetter dem Herrn Bantes Schrecken machte. Herr von Hahn ward in dem Briefe der Freundin als einer der rechtschaffensten Männer geschildert, der Jedermanns Achtung und bisher auch Jedermanns Bedauern genossen hätte, nicht nur, weil er immer sehr kränklich, sondern bisher auch in fast sklavischer Abhängigkeit <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="9"> <p><pb facs="#f0053"/> er ihr auch war, zu begünstigen, sondern jede Uebereilung und das daraus mögliche Unglück zu verhüten, trachtete sie nun, die förmliche Verlobung des Banquier mit ihrer Tochter zu verspäten. Sie wünschte, die jungen Leute sollten sich erst kennen lernen, Friederike sollte sich erst an ihr bestimmtes Schicksal in Gedanken gewöhnen. Nebenbei war doch auch erst näher zu erfahren, ob Herr von Hahn durch sein Herz das Herz Friederikens verdiene. Daher hatte die sorgliche Mutter dem Herrn Bantes, obwohl er ihr das auch für sie hochwichtige Verfügen über die Hand seiner Tochter bis zum Geburtstage verheimlicht hatte, nie in seiner Wahl widersprochen, keinen Vorwurf gemacht. Sie kannte Herrn Bantes zu gut: Widerspruch würde ihn noch erpichter auf seine Sache gemacht haben. Darum spann sie jenes Gespräch mit ihm an und schob sie ihm den Dorn ins Gewissen und freute sich, als sie wahrnahm, es sei nicht ohne Wirkung geblieben. Darum hatte sie auch, schon am Geburtstage selbst, an eine Freundin in der Residenz um Erkundigung über den sittlichen Werth des Herrn von Hahn geschrieben. Die Antwort traf an demselben Tage ein, als das schöne Wetter dem Herrn Bantes Schrecken machte. Herr von Hahn ward in dem Briefe der Freundin als einer der rechtschaffensten Männer geschildert, der Jedermanns Achtung und bisher auch Jedermanns Bedauern genossen hätte, nicht nur, weil er immer sehr kränklich, sondern bisher auch in fast sklavischer Abhängigkeit<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0053]
er ihr auch war, zu begünstigen, sondern jede Uebereilung und das daraus mögliche Unglück zu verhüten, trachtete sie nun, die förmliche Verlobung des Banquier mit ihrer Tochter zu verspäten. Sie wünschte, die jungen Leute sollten sich erst kennen lernen, Friederike sollte sich erst an ihr bestimmtes Schicksal in Gedanken gewöhnen. Nebenbei war doch auch erst näher zu erfahren, ob Herr von Hahn durch sein Herz das Herz Friederikens verdiene. Daher hatte die sorgliche Mutter dem Herrn Bantes, obwohl er ihr das auch für sie hochwichtige Verfügen über die Hand seiner Tochter bis zum Geburtstage verheimlicht hatte, nie in seiner Wahl widersprochen, keinen Vorwurf gemacht. Sie kannte Herrn Bantes zu gut: Widerspruch würde ihn noch erpichter auf seine Sache gemacht haben. Darum spann sie jenes Gespräch mit ihm an und schob sie ihm den Dorn ins Gewissen und freute sich, als sie wahrnahm, es sei nicht ohne Wirkung geblieben. Darum hatte sie auch, schon am Geburtstage selbst, an eine Freundin in der Residenz um Erkundigung über den sittlichen Werth des Herrn von Hahn geschrieben. Die Antwort traf an demselben Tage ein, als das schöne Wetter dem Herrn Bantes Schrecken machte. Herr von Hahn ward in dem Briefe der Freundin als einer der rechtschaffensten Männer geschildert, der Jedermanns Achtung und bisher auch Jedermanns Bedauern genossen hätte, nicht nur, weil er immer sehr kränklich, sondern bisher auch in fast sklavischer Abhängigkeit
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Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/53>, abgerufen am 16.02.2025. |