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Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Menschen vor dem Wirthshause zum Lindwurm, und die Stadtweibel und Hartschiere drangen hinein. Da wehklagte im Hause der Wirth, sein Gast sei verschwunden mit all seinen Knechten, und Niemand habe sie sehen fortwandern. Alles Gepäck, dessen so viel gewesen, sei davon, und habe es doch Niemand von hinnen getragen; aus dem wohlverschlossenen Stalle seien die vielen prächtigen Rosse entkommen, und Keiner auf den Straßen, kein Wächter an den Thoren habe von ihnen gehört.

Da erschrak alle Welt, und Jeder schlug ein Kreuz und segnete sich, wer an den Häusern der unglücklichen drei Bräute vorüberging. Drinnen heulte Jammer und Schmerz, und bedenklich mußte Jedem vorkommen, daß die reichen Geschenke, die prächtigen Brautkleider, die der Graf schon gegeben, die Perlenschnüre, Steinringe und Diamantenkreuze nicht mehr gefunden werden konnten.

Es war nur ein kleines Leichengefolge, welches den Särgen der drei Jungfrauen zum Thor hinaus nachwandelte, in schwarze Mäntel gehüllt. Und als die Särge auf dem Gottesacker bei der Sebalduskirche niedergesetzt worden waren und das Gebet verrichtet werden sollte, sah man einen langen Mantel aus dem Gefolge hinweggehen, den man bisher nicht bemerkt hatte. Und wie man ihm nachsah, wunderte sich Jeder, wie er, obgleich er vorher schwarz gekleidet gewesen, allmählich ganz weiß ward. Und es erschienen drei

Menschen vor dem Wirthshause zum Lindwurm, und die Stadtweibel und Hartschiere drangen hinein. Da wehklagte im Hause der Wirth, sein Gast sei verschwunden mit all seinen Knechten, und Niemand habe sie sehen fortwandern. Alles Gepäck, dessen so viel gewesen, sei davon, und habe es doch Niemand von hinnen getragen; aus dem wohlverschlossenen Stalle seien die vielen prächtigen Rosse entkommen, und Keiner auf den Straßen, kein Wächter an den Thoren habe von ihnen gehört.

Da erschrak alle Welt, und Jeder schlug ein Kreuz und segnete sich, wer an den Häusern der unglücklichen drei Bräute vorüberging. Drinnen heulte Jammer und Schmerz, und bedenklich mußte Jedem vorkommen, daß die reichen Geschenke, die prächtigen Brautkleider, die der Graf schon gegeben, die Perlenschnüre, Steinringe und Diamantenkreuze nicht mehr gefunden werden konnten.

Es war nur ein kleines Leichengefolge, welches den Särgen der drei Jungfrauen zum Thor hinaus nachwandelte, in schwarze Mäntel gehüllt. Und als die Särge auf dem Gottesacker bei der Sebalduskirche niedergesetzt worden waren und das Gebet verrichtet werden sollte, sah man einen langen Mantel aus dem Gefolge hinweggehen, den man bisher nicht bemerkt hatte. Und wie man ihm nachsah, wunderte sich Jeder, wie er, obgleich er vorher schwarz gekleidet gewesen, allmählich ganz weiß ward. Und es erschienen drei

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[0075] Menschen vor dem Wirthshause zum Lindwurm, und die Stadtweibel und Hartschiere drangen hinein. Da wehklagte im Hause der Wirth, sein Gast sei verschwunden mit all seinen Knechten, und Niemand habe sie sehen fortwandern. Alles Gepäck, dessen so viel gewesen, sei davon, und habe es doch Niemand von hinnen getragen; aus dem wohlverschlossenen Stalle seien die vielen prächtigen Rosse entkommen, und Keiner auf den Straßen, kein Wächter an den Thoren habe von ihnen gehört. Da erschrak alle Welt, und Jeder schlug ein Kreuz und segnete sich, wer an den Häusern der unglücklichen drei Bräute vorüberging. Drinnen heulte Jammer und Schmerz, und bedenklich mußte Jedem vorkommen, daß die reichen Geschenke, die prächtigen Brautkleider, die der Graf schon gegeben, die Perlenschnüre, Steinringe und Diamantenkreuze nicht mehr gefunden werden konnten. Es war nur ein kleines Leichengefolge, welches den Särgen der drei Jungfrauen zum Thor hinaus nachwandelte, in schwarze Mäntel gehüllt. Und als die Särge auf dem Gottesacker bei der Sebalduskirche niedergesetzt worden waren und das Gebet verrichtet werden sollte, sah man einen langen Mantel aus dem Gefolge hinweggehen, den man bisher nicht bemerkt hatte. Und wie man ihm nachsah, wunderte sich Jeder, wie er, obgleich er vorher schwarz gekleidet gewesen, allmählich ganz weiß ward. Und es erschienen drei

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:15:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:15:44Z)

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Zitationshilfe: Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/75>, abgerufen am 27.04.2024.