Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Zschokke, Heinrich]: Geister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten. Küstrin, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

Wilhelm Walter.
folgenden Tags nicht eher, als bis ihn die
Morgensonne durch die runden Fensterschei-
ben blendete und Wärme über ihn gos.

Er gieng zum Wirth, bezalte seine
Schuld und wollte schon seiner Strasse ziehn,
als ihm leise der Bukklichte im grauen Rokke
beim Aermel zupfte und zu ihm sprach: Herr,
ein Wörtchen mit Jhnen im Vertraun; es
soll Sie nicht gereun, wenn Sie etliche
Minuten bei mir zu verweilen haben!" Er
führte ihn darauf abseits und sagte: Herr, es
waltet unter den Menschen ein Gewisses ob,
was sie mit einander verbindet, wie mit
Demantketten und ihr Leben mit Freude
würzt. -- Dies Etwas pflegen wir Sym-
pathie zu nennen und eben dies ist es, wel-
ches Sie mir beim ersten Augenblik empfal. --
Verachten Sie mich nicht wegen meiner ärm-
lichen Figur etwa, ich bin nicht das, was ich
scheine. Empfinden Sie Lust zu wissen, wer
ich sei, so folgen Sie mir!"

Walter sah den Fremden schweigend an
und konnte sich nicht in die offne Dreistigkeit

des-

Wilhelm Walter.
folgenden Tags nicht eher, als bis ihn die
Morgenſonne durch die runden Fenſterſchei-
ben blendete und Waͤrme uͤber ihn gos.

Er gieng zum Wirth, bezalte ſeine
Schuld und wollte ſchon ſeiner Straſſe ziehn,
als ihm leiſe der Bukklichte im grauen Rokke
beim Aermel zupfte und zu ihm ſprach: Herr,
ein Woͤrtchen mit Jhnen im Vertraun; es
ſoll Sie nicht gereun, wenn Sie etliche
Minuten bei mir zu verweilen haben!“ Er
fuͤhrte ihn darauf abſeits und ſagte: Herr, es
waltet unter den Menſchen ein Gewiſſes ob,
was ſie mit einander verbindet, wie mit
Demantketten und ihr Leben mit Freude
wuͤrzt. — Dies Etwas pflegen wir Sym-
pathie zu nennen und eben dies iſt es, wel-
ches Sie mir beim erſten Augenblik empfal. —
Verachten Sie mich nicht wegen meiner aͤrm-
lichen Figur etwa, ich bin nicht das, was ich
ſcheine. Empfinden Sie Luſt zu wiſſen, wer
ich ſei, ſo folgen Sie mir!“

Walter ſah den Fremden ſchweigend an
und konnte ſich nicht in die offne Dreiſtigkeit

deſ-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0023" n="20"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Wilhelm Walter</hi>.</fw><lb/>
folgenden Tags nicht eher, als bis ihn die<lb/>
Morgen&#x017F;onne durch die runden Fen&#x017F;ter&#x017F;chei-<lb/>
ben blendete und Wa&#x0364;rme u&#x0364;ber ihn gos.</p><lb/>
        <p>Er gieng zum Wirth, bezalte &#x017F;eine<lb/>
Schuld und wollte &#x017F;chon &#x017F;einer Stra&#x017F;&#x017F;e ziehn,<lb/>
als ihm lei&#x017F;e der Bukklichte im grauen Rokke<lb/>
beim Aermel zupfte und zu ihm &#x017F;prach: Herr,<lb/>
ein Wo&#x0364;rtchen mit Jhnen im Vertraun; es<lb/>
&#x017F;oll Sie nicht gereun, wenn Sie etliche<lb/>
Minuten bei mir zu verweilen haben!&#x201C; Er<lb/>
fu&#x0364;hrte ihn darauf ab&#x017F;eits und &#x017F;agte: Herr, es<lb/>
waltet unter den Men&#x017F;chen ein Gewi&#x017F;&#x017F;es ob,<lb/>
was &#x017F;ie mit einander verbindet, wie mit<lb/>
Demantketten und ihr Leben mit Freude<lb/>
wu&#x0364;rzt. &#x2014; Dies Etwas pflegen wir Sym-<lb/>
pathie zu nennen und eben dies i&#x017F;t es, wel-<lb/>
ches Sie mir beim er&#x017F;ten Augenblik empfal. &#x2014;<lb/>
Verachten Sie mich nicht wegen meiner a&#x0364;rm-<lb/>
lichen Figur etwa, ich bin nicht das, was ich<lb/>
&#x017F;cheine. Empfinden Sie Lu&#x017F;t zu wi&#x017F;&#x017F;en, wer<lb/>
ich &#x017F;ei, &#x017F;o folgen Sie mir!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Walter &#x017F;ah den Fremden &#x017F;chweigend an<lb/>
und konnte &#x017F;ich nicht in die offne Drei&#x017F;tigkeit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">de&#x017F;-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0023] Wilhelm Walter. folgenden Tags nicht eher, als bis ihn die Morgenſonne durch die runden Fenſterſchei- ben blendete und Waͤrme uͤber ihn gos. Er gieng zum Wirth, bezalte ſeine Schuld und wollte ſchon ſeiner Straſſe ziehn, als ihm leiſe der Bukklichte im grauen Rokke beim Aermel zupfte und zu ihm ſprach: Herr, ein Woͤrtchen mit Jhnen im Vertraun; es ſoll Sie nicht gereun, wenn Sie etliche Minuten bei mir zu verweilen haben!“ Er fuͤhrte ihn darauf abſeits und ſagte: Herr, es waltet unter den Menſchen ein Gewiſſes ob, was ſie mit einander verbindet, wie mit Demantketten und ihr Leben mit Freude wuͤrzt. — Dies Etwas pflegen wir Sym- pathie zu nennen und eben dies iſt es, wel- ches Sie mir beim erſten Augenblik empfal. — Verachten Sie mich nicht wegen meiner aͤrm- lichen Figur etwa, ich bin nicht das, was ich ſcheine. Empfinden Sie Luſt zu wiſſen, wer ich ſei, ſo folgen Sie mir!“ Walter ſah den Fremden ſchweigend an und konnte ſich nicht in die offne Dreiſtigkeit deſ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_geister_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_geister_1789/23
Zitationshilfe: [Zschokke, Heinrich]: Geister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten. Küstrin, 1789, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_geister_1789/23>, abgerufen am 27.04.2024.