Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.

Bild:
<< vorherige Seite

wilden Früchten, meinen Durst im nächsten Bergstrom;
die Nacht brach ein, ich lagerte mich unter einem Baum.
Der feuchte Morgen weckte mich aus einem schweren Schlaf,
in dem ich mich selber wie im Tode röcheln hörte. Ben-
del
mußte meine Spur verloren haben, und es freute
mich, es zu denken. Ich wollte nicht unter die Menschen
zurückkehren, vor welchen ich schreckhaft floh, wie das scheue
Wild des Gebirges. So verlebte ich drei bange Tage.

Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer
sandigen Ebene, welche die Sonne beschien, und saß auf
Felsentrümmern in ihrem Strahl, denn ich liebte jetzt,
ihren lang' entbehrten Anblick zu genießen. Ich nährte
still mein Herz mit seiner Verzweiflung. Da schreckte
mich ein leises Geräusch auf, ich warf, zur Flucht bereit,
den Blick um mich her, ich sah Niemand: aber es kam
auf dem sonnigen Sande an mir vorbei geglitten ein
Menschenschatten, dem meinigen nicht unähnlich, welcher,
allein daher wandelnd, von seinem Herrn abgekommen zu
sein schien.

Da erwachte in mir ein mächtiger Trieb: Schatten,
dacht' ich, suchst du deinen Herrn? der will ich sein. Und
ich sprang hinzu, mich seiner zu bemächtigen; ich dachte
nämlich, daß, wenn es mir glückte, in seine Spur zu
treten, so, daß er mir an die Füße käme, er wohl daran
hängen bleiben würde, und sich mit der Zeit an mich ge-
wöhnen.

Der Schatten, auf meine Bewegung, nahm vor mir
die Flucht, und ich mußte auf den leichten Flüchtling eine

wilden Fruͤchten, meinen Durſt im naͤchſten Bergſtrom;
die Nacht brach ein, ich lagerte mich unter einem Baum.
Der feuchte Morgen weckte mich aus einem ſchweren Schlaf,
in dem ich mich ſelber wie im Tode roͤcheln hoͤrte. Ben-
del
mußte meine Spur verloren haben, und es freute
mich, es zu denken. Ich wollte nicht unter die Menſchen
zuruͤckkehren, vor welchen ich ſchreckhaft floh, wie das ſcheue
Wild des Gebirges. So verlebte ich drei bange Tage.

Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer
ſandigen Ebene, welche die Sonne beſchien, und ſaß auf
Felſentruͤmmern in ihrem Strahl, denn ich liebte jetzt,
ihren lang’ entbehrten Anblick zu genießen. Ich naͤhrte
ſtill mein Herz mit ſeiner Verzweiflung. Da ſchreckte
mich ein leiſes Geraͤuſch auf, ich warf, zur Flucht bereit,
den Blick um mich her, ich ſah Niemand: aber es kam
auf dem ſonnigen Sande an mir vorbei geglitten ein
Menſchenſchatten, dem meinigen nicht unaͤhnlich, welcher,
allein daher wandelnd, von ſeinem Herrn abgekommen zu
ſein ſchien.

Da erwachte in mir ein maͤchtiger Trieb: Schatten,
dacht’ ich, ſuchſt du deinen Herrn? der will ich ſein. Und
ich ſprang hinzu, mich ſeiner zu bemaͤchtigen; ich dachte
naͤmlich, daß, wenn es mir gluͤckte, in ſeine Spur zu
treten, ſo, daß er mir an die Fuͤße kaͤme, er wohl daran
haͤngen bleiben wuͤrde, und ſich mit der Zeit an mich ge-
woͤhnen.

Der Schatten, auf meine Bewegung, nahm vor mir
die Flucht, und ich mußte auf den leichten Fluͤchtling eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0073" n="287"/>
wilden Fru&#x0364;chten, meinen Dur&#x017F;t im na&#x0364;ch&#x017F;ten Berg&#x017F;trom;<lb/>
die Nacht brach ein, ich lagerte mich unter einem Baum.<lb/>
Der feuchte Morgen weckte mich aus einem &#x017F;chweren Schlaf,<lb/>
in dem ich mich &#x017F;elber wie im Tode ro&#x0364;cheln ho&#x0364;rte. <hi rendition="#g">Ben-<lb/>
del</hi> mußte meine Spur verloren haben, und es freute<lb/>
mich, es zu denken. Ich wollte nicht unter die Men&#x017F;chen<lb/>
zuru&#x0364;ckkehren, vor welchen ich &#x017F;chreckhaft floh, wie das &#x017F;cheue<lb/>
Wild des Gebirges. So verlebte ich drei bange Tage.</p><lb/>
          <p>Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer<lb/>
&#x017F;andigen Ebene, welche die Sonne be&#x017F;chien, und &#x017F;aß auf<lb/>
Fel&#x017F;entru&#x0364;mmern in ihrem Strahl, denn ich liebte jetzt,<lb/>
ihren lang&#x2019; entbehrten Anblick zu genießen. Ich na&#x0364;hrte<lb/>
&#x017F;till mein Herz mit &#x017F;einer Verzweiflung. Da &#x017F;chreckte<lb/>
mich ein lei&#x017F;es Gera&#x0364;u&#x017F;ch auf, ich warf, zur Flucht bereit,<lb/>
den Blick um mich her, ich &#x017F;ah Niemand: aber es kam<lb/>
auf dem &#x017F;onnigen Sande an mir vorbei geglitten ein<lb/>
Men&#x017F;chen&#x017F;chatten, dem meinigen nicht una&#x0364;hnlich, welcher,<lb/>
allein daher wandelnd, von &#x017F;einem Herrn abgekommen zu<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;chien.</p><lb/>
          <p>Da erwachte in mir ein ma&#x0364;chtiger Trieb: Schatten,<lb/>
dacht&#x2019; ich, &#x017F;uch&#x017F;t du deinen Herrn? der will ich &#x017F;ein. Und<lb/>
ich &#x017F;prang hinzu, mich &#x017F;einer zu bema&#x0364;chtigen; ich dachte<lb/>
na&#x0364;mlich, daß, wenn es mir glu&#x0364;ckte, in &#x017F;eine Spur zu<lb/>
treten, &#x017F;o, daß er mir an die Fu&#x0364;ße ka&#x0364;me, er wohl daran<lb/>
ha&#x0364;ngen bleiben wu&#x0364;rde, und &#x017F;ich mit der Zeit an mich ge-<lb/>
wo&#x0364;hnen.</p><lb/>
          <p>Der Schatten, auf meine Bewegung, nahm vor mir<lb/>
die Flucht, und ich mußte auf den leichten Flu&#x0364;chtling eine<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0073] wilden Fruͤchten, meinen Durſt im naͤchſten Bergſtrom; die Nacht brach ein, ich lagerte mich unter einem Baum. Der feuchte Morgen weckte mich aus einem ſchweren Schlaf, in dem ich mich ſelber wie im Tode roͤcheln hoͤrte. Ben- del mußte meine Spur verloren haben, und es freute mich, es zu denken. Ich wollte nicht unter die Menſchen zuruͤckkehren, vor welchen ich ſchreckhaft floh, wie das ſcheue Wild des Gebirges. So verlebte ich drei bange Tage. Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer ſandigen Ebene, welche die Sonne beſchien, und ſaß auf Felſentruͤmmern in ihrem Strahl, denn ich liebte jetzt, ihren lang’ entbehrten Anblick zu genießen. Ich naͤhrte ſtill mein Herz mit ſeiner Verzweiflung. Da ſchreckte mich ein leiſes Geraͤuſch auf, ich warf, zur Flucht bereit, den Blick um mich her, ich ſah Niemand: aber es kam auf dem ſonnigen Sande an mir vorbei geglitten ein Menſchenſchatten, dem meinigen nicht unaͤhnlich, welcher, allein daher wandelnd, von ſeinem Herrn abgekommen zu ſein ſchien. Da erwachte in mir ein maͤchtiger Trieb: Schatten, dacht’ ich, ſuchſt du deinen Herrn? der will ich ſein. Und ich ſprang hinzu, mich ſeiner zu bemaͤchtigen; ich dachte naͤmlich, daß, wenn es mir gluͤckte, in ſeine Spur zu treten, ſo, daß er mir an die Fuͤße kaͤme, er wohl daran haͤngen bleiben wuͤrde, und ſich mit der Zeit an mich ge- woͤhnen. Der Schatten, auf meine Bewegung, nahm vor mir die Flucht, und ich mußte auf den leichten Fluͤchtling eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/73
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/73>, abgerufen am 23.11.2024.