Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.

Bild:
<< vorherige Seite

angestrengte Jagd beginnen, zu der mich allein der Gedanke,
mich aus der furchtbaren Lage, in der ich war, zu retten,
mit hinreichenden Kräften ausrüsten konnte. Er floh einem
freilich noch entfernten Walde zu, in dessen Schatten ich
ihn nothwendig hätte verlieren müssen, -- ich sah's, ein
Schreck durchzuckte mir das Herz, fachte meine Begierde
an, beflügelte meinen Lauf -- ich gewann sichtbarlich auf
den Schatten, ich kam ihm nach und nach näher, ich mußte
ihn erreichen. Nun hielt er plötzlich an und kehrte sich nach
mir um. Wie der Löwe auf seine Beute, so schoß ich mit
einem gewaltigen Sprunge hinzu, um ihn in Besitz zu
nehmen -- und traf unerwartet und hart auf körperlichen
Widerstand. Es wurden mir unsichtbar die unerhörtesten
Rippenstöße ertheilt, die wohl je ein Mensch gefühlt hat.

Die Wirkung des Schreckens war in mir, die Arme
krampfhaft zuzuschlagen und fest zu drücken, was ungesehen
vor mir stand. Ich stürzte in der schnellen Handlung
vorwärts gestreckt auf den Boden; rückwärts aber unter
mir ein Mensch, den ich umfaßt hielt, und der jetzt erst
sichtbar erschien.

Nun ward mir auch das ganze Ereigniß sehr natürlich
erklärbar. Der Mann mußte das unsichtbare Vogelnest,
welches den, der es hält, nicht aber seinen Schatten, un-
sichtbar macht, erst getragen und jetzt weggeworfen haben.
Ich spähete mit dem Blick umher, entdeckte gar bald den
Schatten des unsichtbaren Nestes selbst, sprang auf und
hinzu, und verfehlte nicht den theuern Raub. Ich hielt
unsichtbar, schattenlos das Nest in Händen.

angeſtrengte Jagd beginnen, zu der mich allein der Gedanke,
mich aus der furchtbaren Lage, in der ich war, zu retten,
mit hinreichenden Kraͤften ausruͤſten konnte. Er floh einem
freilich noch entfernten Walde zu, in deſſen Schatten ich
ihn nothwendig haͤtte verlieren muͤſſen, — ich ſah’s, ein
Schreck durchzuckte mir das Herz, fachte meine Begierde
an, befluͤgelte meinen Lauf — ich gewann ſichtbarlich auf
den Schatten, ich kam ihm nach und nach naͤher, ich mußte
ihn erreichen. Nun hielt er ploͤtzlich an und kehrte ſich nach
mir um. Wie der Loͤwe auf ſeine Beute, ſo ſchoß ich mit
einem gewaltigen Sprunge hinzu, um ihn in Beſitz zu
nehmen — und traf unerwartet und hart auf koͤrperlichen
Widerſtand. Es wurden mir unſichtbar die unerhoͤrteſten
Rippenſtoͤße ertheilt, die wohl je ein Menſch gefuͤhlt hat.

Die Wirkung des Schreckens war in mir, die Arme
krampfhaft zuzuſchlagen und feſt zu druͤcken, was ungeſehen
vor mir ſtand. Ich ſtuͤrzte in der ſchnellen Handlung
vorwaͤrts geſtreckt auf den Boden; ruͤckwaͤrts aber unter
mir ein Menſch, den ich umfaßt hielt, und der jetzt erſt
ſichtbar erſchien.

Nun ward mir auch das ganze Ereigniß ſehr natuͤrlich
erklaͤrbar. Der Mann mußte das unſichtbare Vogelneſt,
welches den, der es haͤlt, nicht aber ſeinen Schatten, un-
ſichtbar macht, erſt getragen und jetzt weggeworfen haben.
Ich ſpaͤhete mit dem Blick umher, entdeckte gar bald den
Schatten des unſichtbaren Neſtes ſelbſt, ſprang auf und
hinzu, und verfehlte nicht den theuern Raub. Ich hielt
unſichtbar, ſchattenlos das Neſt in Haͤnden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0074" n="288"/>
ange&#x017F;trengte Jagd beginnen, zu der mich allein der Gedanke,<lb/>
mich aus der furchtbaren Lage, in der ich war, zu retten,<lb/>
mit hinreichenden Kra&#x0364;ften ausru&#x0364;&#x017F;ten konnte. Er floh einem<lb/>
freilich noch entfernten Walde zu, in de&#x017F;&#x017F;en Schatten ich<lb/>
ihn nothwendig ha&#x0364;tte verlieren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, &#x2014; ich &#x017F;ah&#x2019;s, ein<lb/>
Schreck durchzuckte mir das Herz, fachte meine Begierde<lb/>
an, beflu&#x0364;gelte meinen Lauf &#x2014; ich gewann &#x017F;ichtbarlich auf<lb/>
den Schatten, ich kam ihm nach und nach na&#x0364;her, ich mußte<lb/>
ihn erreichen. Nun hielt er plo&#x0364;tzlich an und kehrte &#x017F;ich nach<lb/>
mir um. Wie der Lo&#x0364;we auf &#x017F;eine Beute, &#x017F;o &#x017F;choß ich mit<lb/>
einem gewaltigen Sprunge hinzu, um ihn in Be&#x017F;itz zu<lb/>
nehmen &#x2014; und traf unerwartet und hart auf ko&#x0364;rperlichen<lb/>
Wider&#x017F;tand. Es wurden mir un&#x017F;ichtbar die unerho&#x0364;rte&#x017F;ten<lb/>
Rippen&#x017F;to&#x0364;ße ertheilt, die wohl je ein Men&#x017F;ch gefu&#x0364;hlt hat.</p><lb/>
          <p>Die Wirkung des Schreckens war in mir, die Arme<lb/>
krampfhaft zuzu&#x017F;chlagen und fe&#x017F;t zu dru&#x0364;cken, was unge&#x017F;ehen<lb/>
vor mir &#x017F;tand. Ich &#x017F;tu&#x0364;rzte in der &#x017F;chnellen Handlung<lb/>
vorwa&#x0364;rts ge&#x017F;treckt auf den Boden; ru&#x0364;ckwa&#x0364;rts aber unter<lb/>
mir ein Men&#x017F;ch, den ich umfaßt hielt, und der jetzt er&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ichtbar er&#x017F;chien.</p><lb/>
          <p>Nun ward mir auch das ganze Ereigniß &#x017F;ehr natu&#x0364;rlich<lb/>
erkla&#x0364;rbar. Der Mann mußte das un&#x017F;ichtbare Vogelne&#x017F;t,<lb/>
welches den, der es ha&#x0364;lt, nicht aber &#x017F;einen Schatten, un-<lb/>
&#x017F;ichtbar macht, er&#x017F;t getragen und jetzt weggeworfen haben.<lb/>
Ich &#x017F;pa&#x0364;hete mit dem Blick umher, entdeckte gar bald den<lb/>
Schatten des un&#x017F;ichtbaren Ne&#x017F;tes &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;prang auf und<lb/>
hinzu, und verfehlte nicht den theuern Raub. Ich hielt<lb/>
un&#x017F;ichtbar, &#x017F;chattenlos das Ne&#x017F;t in Ha&#x0364;nden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0074] angeſtrengte Jagd beginnen, zu der mich allein der Gedanke, mich aus der furchtbaren Lage, in der ich war, zu retten, mit hinreichenden Kraͤften ausruͤſten konnte. Er floh einem freilich noch entfernten Walde zu, in deſſen Schatten ich ihn nothwendig haͤtte verlieren muͤſſen, — ich ſah’s, ein Schreck durchzuckte mir das Herz, fachte meine Begierde an, befluͤgelte meinen Lauf — ich gewann ſichtbarlich auf den Schatten, ich kam ihm nach und nach naͤher, ich mußte ihn erreichen. Nun hielt er ploͤtzlich an und kehrte ſich nach mir um. Wie der Loͤwe auf ſeine Beute, ſo ſchoß ich mit einem gewaltigen Sprunge hinzu, um ihn in Beſitz zu nehmen — und traf unerwartet und hart auf koͤrperlichen Widerſtand. Es wurden mir unſichtbar die unerhoͤrteſten Rippenſtoͤße ertheilt, die wohl je ein Menſch gefuͤhlt hat. Die Wirkung des Schreckens war in mir, die Arme krampfhaft zuzuſchlagen und feſt zu druͤcken, was ungeſehen vor mir ſtand. Ich ſtuͤrzte in der ſchnellen Handlung vorwaͤrts geſtreckt auf den Boden; ruͤckwaͤrts aber unter mir ein Menſch, den ich umfaßt hielt, und der jetzt erſt ſichtbar erſchien. Nun ward mir auch das ganze Ereigniß ſehr natuͤrlich erklaͤrbar. Der Mann mußte das unſichtbare Vogelneſt, welches den, der es haͤlt, nicht aber ſeinen Schatten, un- ſichtbar macht, erſt getragen und jetzt weggeworfen haben. Ich ſpaͤhete mit dem Blick umher, entdeckte gar bald den Schatten des unſichtbaren Neſtes ſelbſt, ſprang auf und hinzu, und verfehlte nicht den theuern Raub. Ich hielt unſichtbar, ſchattenlos das Neſt in Haͤnden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/74
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/74>, abgerufen am 23.11.2024.