Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.

Bild:
<< vorherige Seite

Ihnen offenbar eine neue Kraft. -- O dieser Seckel! --
Und hätten gleich die Motten Ihren Schatten schon auf-
gefressen, der würde noch ein starkes Band zwischen uns
sein. Genug, Sie haben mich an meinem Gold, befehlen
Sie auch in der Ferne über Ihren Knecht, Sie wissen,
daß ich mich meinen Freunden dienstfertig genug erweisen
kann, und daß die Reichen besonders gut mit mir stehen;
Sie haben es selbst gesehen. -- Nur Ihren Schatten,
mein Herr -- das lassen Sie sich gesagt sein -- nie wie-
der, als unter einer einzigen Bedingung."

Gestalten der alten Zeit traten vor meine Seele. Ich
frug ihn schnell: "Hatten Sie eine Unterschrift vom Herrn
John?" -- Er lächelte. -- "Mit einem so guten
Freund hab' ich es keineswegs nöthig gehabt." -- "Wo
ist er? bei Gott, ich will es wissen!" Er steckte zögernd
die Hand in die Tasche, und daraus bei den Haaren
hervorgezogen erschien Thomas John's bleiche, entstellte
Gestalt, und die blauen Leichenlippen bewegten sich zu
schweren Worten: "Justo judicio Dei judicatus sum;
Justo judicio Dei condemnatus sum."
Ich entsetzte
mich, und schnell den klingenden Seckel in den Abgrund
werfend, sprach ich zu ihm die letzten Worte: "So be-
schwör' ich Dich im Namen Gottes, Entsetzlicher! hebe
Dich von dannen und lasse Dich nie wieder vor meinen
Augen blicken!" Er erhub sich finster und verschwand
sogleich hinter den Felsenmassen, die den wild bewachsenen
Ort begränzten.



Ihnen offenbar eine neue Kraft. — O dieſer Seckel! —
Und haͤtten gleich die Motten Ihren Schatten ſchon auf-
gefreſſen, der wuͤrde noch ein ſtarkes Band zwiſchen uns
ſein. Genug, Sie haben mich an meinem Gold, befehlen
Sie auch in der Ferne uͤber Ihren Knecht, Sie wiſſen,
daß ich mich meinen Freunden dienſtfertig genug erweiſen
kann, und daß die Reichen beſonders gut mit mir ſtehen;
Sie haben es ſelbſt geſehen. — Nur Ihren Schatten,
mein Herr — das laſſen Sie ſich geſagt ſein — nie wie-
der, als unter einer einzigen Bedingung.〞

Geſtalten der alten Zeit traten vor meine Seele. Ich
frug ihn ſchnell: 〟Hatten Sie eine Unterſchrift vom Herrn
John?〞 — Er laͤchelte. — 〟Mit einem ſo guten
Freund hab’ ich es keineswegs noͤthig gehabt.〞 — 〟Wo
iſt er? bei Gott, ich will es wiſſen!〞 Er ſteckte zoͤgernd
die Hand in die Taſche, und daraus bei den Haaren
hervorgezogen erſchien Thomas John’s bleiche, entſtellte
Geſtalt, und die blauen Leichenlippen bewegten ſich zu
ſchweren Worten: „Juſto judicio Dei judicatus ſum;
Juſto judicio Dei condemnatus ſum.“
Ich entſetzte
mich, und ſchnell den klingenden Seckel in den Abgrund
werfend, ſprach ich zu ihm die letzten Worte: 〟So be-
ſchwoͤr’ ich Dich im Namen Gottes, Entſetzlicher! hebe
Dich von dannen und laſſe Dich nie wieder vor meinen
Augen blicken!〞 Er erhub ſich finſter und verſchwand
ſogleich hinter den Felſenmaſſen, die den wild bewachſenen
Ort begraͤnzten.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0096" n="308"/>
Ihnen offenbar eine neue Kraft. &#x2014; O die&#x017F;er Seckel! &#x2014;<lb/>
Und ha&#x0364;tten gleich die Motten Ihren Schatten &#x017F;chon auf-<lb/>
gefre&#x017F;&#x017F;en, der wu&#x0364;rde noch ein &#x017F;tarkes Band zwi&#x017F;chen uns<lb/>
&#x017F;ein. Genug, Sie haben mich an meinem Gold, befehlen<lb/>
Sie auch in der Ferne u&#x0364;ber Ihren Knecht, Sie wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß ich mich meinen Freunden dien&#x017F;tfertig genug erwei&#x017F;en<lb/>
kann, und daß die Reichen be&#x017F;onders gut mit mir &#x017F;tehen;<lb/>
Sie haben es &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;ehen. &#x2014; Nur Ihren Schatten,<lb/>
mein Herr &#x2014; das la&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;ich ge&#x017F;agt &#x017F;ein &#x2014; nie wie-<lb/>
der, als unter einer einzigen Bedingung.&#x301E;</p><lb/>
          <p>Ge&#x017F;talten der alten Zeit traten vor meine Seele. Ich<lb/>
frug ihn &#x017F;chnell: &#x301F;Hatten Sie eine Unter&#x017F;chrift vom Herrn<lb/><hi rendition="#g">John</hi>?&#x301E; &#x2014; Er la&#x0364;chelte. &#x2014; &#x301F;Mit einem &#x017F;o guten<lb/>
Freund hab&#x2019; ich es keineswegs no&#x0364;thig gehabt.&#x301E; &#x2014; &#x301F;Wo<lb/>
i&#x017F;t er? bei Gott, ich will es wi&#x017F;&#x017F;en!&#x301E; Er &#x017F;teckte zo&#x0364;gernd<lb/>
die Hand in die Ta&#x017F;che, und daraus bei den Haaren<lb/>
hervorgezogen er&#x017F;chien <hi rendition="#g">Thomas John&#x2019;s</hi> bleiche, ent&#x017F;tellte<lb/>
Ge&#x017F;talt, und die blauen Leichenlippen bewegten &#x017F;ich zu<lb/>
&#x017F;chweren Worten: <hi rendition="#aq">&#x201E;Ju&#x017F;to judicio Dei judicatus &#x017F;um;<lb/>
Ju&#x017F;to judicio Dei condemnatus &#x017F;um.&#x201C;</hi> Ich ent&#x017F;etzte<lb/>
mich, und &#x017F;chnell den klingenden Seckel in den Abgrund<lb/>
werfend, &#x017F;prach ich zu ihm die letzten Worte: &#x301F;So be-<lb/>
&#x017F;chwo&#x0364;r&#x2019; ich Dich im Namen Gottes, Ent&#x017F;etzlicher! hebe<lb/>
Dich von dannen und la&#x017F;&#x017F;e Dich nie wieder vor meinen<lb/>
Augen blicken!&#x301E; Er erhub &#x017F;ich fin&#x017F;ter und ver&#x017F;chwand<lb/>
&#x017F;ogleich hinter den Fel&#x017F;enma&#x017F;&#x017F;en, die den wild bewach&#x017F;enen<lb/>
Ort begra&#x0364;nzten.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0096] Ihnen offenbar eine neue Kraft. — O dieſer Seckel! — Und haͤtten gleich die Motten Ihren Schatten ſchon auf- gefreſſen, der wuͤrde noch ein ſtarkes Band zwiſchen uns ſein. Genug, Sie haben mich an meinem Gold, befehlen Sie auch in der Ferne uͤber Ihren Knecht, Sie wiſſen, daß ich mich meinen Freunden dienſtfertig genug erweiſen kann, und daß die Reichen beſonders gut mit mir ſtehen; Sie haben es ſelbſt geſehen. — Nur Ihren Schatten, mein Herr — das laſſen Sie ſich geſagt ſein — nie wie- der, als unter einer einzigen Bedingung.〞 Geſtalten der alten Zeit traten vor meine Seele. Ich frug ihn ſchnell: 〟Hatten Sie eine Unterſchrift vom Herrn John?〞 — Er laͤchelte. — 〟Mit einem ſo guten Freund hab’ ich es keineswegs noͤthig gehabt.〞 — 〟Wo iſt er? bei Gott, ich will es wiſſen!〞 Er ſteckte zoͤgernd die Hand in die Taſche, und daraus bei den Haaren hervorgezogen erſchien Thomas John’s bleiche, entſtellte Geſtalt, und die blauen Leichenlippen bewegten ſich zu ſchweren Worten: „Juſto judicio Dei judicatus ſum; Juſto judicio Dei condemnatus ſum.“ Ich entſetzte mich, und ſchnell den klingenden Seckel in den Abgrund werfend, ſprach ich zu ihm die letzten Worte: 〟So be- ſchwoͤr’ ich Dich im Namen Gottes, Entſetzlicher! hebe Dich von dannen und laſſe Dich nie wieder vor meinen Augen blicken!〞 Er erhub ſich finſter und verſchwand ſogleich hinter den Felſenmaſſen, die den wild bewachſenen Ort begraͤnzten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/96
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/96>, abgerufen am 23.11.2024.