Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.freundlich begrüßte, und mit dem ich mich in Gespräch Ich setzte traurigen Herzens meinen Weg fort und freundlich begruͤßte, und mit dem ich mich in Geſpraͤch Ich ſetzte traurigen Herzens meinen Weg fort und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0099" n="311"/> freundlich begruͤßte, und mit dem ich mich in Geſpraͤch<lb/> einließ. Ich erkundigte mich, wie ein wißbegieriger Rei-<lb/> ſender, erſt nach dem Wege, dann nach der Gegend und<lb/> deren Bewohnern, den Erzeugniſſen des Gebirges und derlei<lb/> mehr. Er antwortete verſtaͤndig und redſelig auf meine<lb/> Fragen. Wir kamen an das Bette eines Bergſtromes, der<lb/> uͤber einen weiten Strich des Waldes ſeine Verwuͤſtung<lb/> verbreitet hatte. Mich ſchauderte innerlich vor dem ſonnen-<lb/> hellen Raum; ich ließ den Landmann vorangehen. Er<lb/> hielt aber mitten im gefaͤhrlichen Orte ſtill und wandte ſich<lb/> zu mir, um mir die Geſchichte dieſer Verwuͤſtung zu er-<lb/> zaͤhlen. Er bemerkte bald, was mir fehlte, und hielt mit-<lb/> ten in ſeiner Rede ein: 〟Aber wie geht denn das zu, der<lb/> Herr hat ja keinen Schatten!〞 — 〟Leider! leider!〞 er-<lb/> wiederte ich ſeufzend. 〟Es ſind mir waͤhrend einer boͤſen<lb/> langen Krankheit, Haare, Naͤgel und Schatten ausgegangen.<lb/> Seht, Vater, in meinem Alter, die Haare, die ich wieder<lb/> gekriegt habe, ganz weiß, die Naͤgel ſehr kurz, und der<lb/> Schatten, der will noch nicht wieder wachſen.〞 — 〟Ei!<lb/> ei!〞 verſetzte der alte Mann kopfſchuͤttelnd, 〟keinen Schat-<lb/> ten, das iſt boͤs! das war eine boͤſe Krankheit, die der<lb/> Herr gehabt hat.〞 Aber er hub ſeine Erzaͤhlung nicht<lb/> wieder an, und bei dem naͤchſten Querweg, der ſich dar-<lb/> bot, ging er, ohne ein Wort zu ſagen, von mir ab. —<lb/> Bittere Thraͤnen zitterten auf’s Neue auf meinen Wangen,<lb/> und meine Heiterkeit war hin.</p><lb/> <p>Ich ſetzte traurigen Herzens meinen Weg fort und<lb/> ſuchte ferner keines Menſchen Geſellſchaft. Ich hielt mich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [311/0099]
freundlich begruͤßte, und mit dem ich mich in Geſpraͤch
einließ. Ich erkundigte mich, wie ein wißbegieriger Rei-
ſender, erſt nach dem Wege, dann nach der Gegend und
deren Bewohnern, den Erzeugniſſen des Gebirges und derlei
mehr. Er antwortete verſtaͤndig und redſelig auf meine
Fragen. Wir kamen an das Bette eines Bergſtromes, der
uͤber einen weiten Strich des Waldes ſeine Verwuͤſtung
verbreitet hatte. Mich ſchauderte innerlich vor dem ſonnen-
hellen Raum; ich ließ den Landmann vorangehen. Er
hielt aber mitten im gefaͤhrlichen Orte ſtill und wandte ſich
zu mir, um mir die Geſchichte dieſer Verwuͤſtung zu er-
zaͤhlen. Er bemerkte bald, was mir fehlte, und hielt mit-
ten in ſeiner Rede ein: 〟Aber wie geht denn das zu, der
Herr hat ja keinen Schatten!〞 — 〟Leider! leider!〞 er-
wiederte ich ſeufzend. 〟Es ſind mir waͤhrend einer boͤſen
langen Krankheit, Haare, Naͤgel und Schatten ausgegangen.
Seht, Vater, in meinem Alter, die Haare, die ich wieder
gekriegt habe, ganz weiß, die Naͤgel ſehr kurz, und der
Schatten, der will noch nicht wieder wachſen.〞 — 〟Ei!
ei!〞 verſetzte der alte Mann kopfſchuͤttelnd, 〟keinen Schat-
ten, das iſt boͤs! das war eine boͤſe Krankheit, die der
Herr gehabt hat.〞 Aber er hub ſeine Erzaͤhlung nicht
wieder an, und bei dem naͤchſten Querweg, der ſich dar-
bot, ging er, ohne ein Wort zu ſagen, von mir ab. —
Bittere Thraͤnen zitterten auf’s Neue auf meinen Wangen,
und meine Heiterkeit war hin.
Ich ſetzte traurigen Herzens meinen Weg fort und
ſuchte ferner keines Menſchen Geſellſchaft. Ich hielt mich
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