Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.

Bild:
<< vorherige Seite

und Freude, unter Palmenhainen. -- -- Ich konnte die
beweglichen, leicht verwehten, lieblichen Gestalten weder
festhalten noch deuten; aber ich weiß, daß ich gerne sol-
chen Traum träumte und mich vor dem Erwachen in Acht
nahm; ich wachte wirklich schon, und hielt noch die Augen
zu, um die weichenden Erscheinungen länger vor meiner
Seele zu behalten.

Ich öffnete endlich die Augen, die Sonne stand noch
am Himmel, aber im Osten; ich hatte die Nacht verschlafen.
Ich nahm es für ein Zeichen, daß ich nicht nach dem
Wirthshause zurückkehren sollte. Ich gab leicht, was ich
dort noch besaß, verloren, und beschloß, eine Nebenstraße,
die durch den waldbewachsenen Fuß des Gebirges führte,
zu Fuß einzuschlagen, dem Schicksal es anheim stellend,
was es mit mir vorhatte, zu erfüllen. Ich schaute nicht
hinter mich zurück, und dachte auch nicht daran, an Ben-
del
, den ich reich zurückgelassen hatte, mich zu wenden,
welches ich allerdings gekonnt hätte. Ich sah mich an auf
den neuen Charakter, den ich in der Welt bekleiden sollte:
mein Anzug war sehr bescheiden. Ich hatte eine alte
schwarze Kurtka an, die ich schon in Berlin getragen, und
die mir, ich weiß nicht wie, zu dieser Reise erst wieder
in die Hand gekommen war. Ich hatte sonst eine Reise-
mütze auf dem Kopf und ein Paar alte Stiefeln an den
Füßen. Ich erhob mich, schnitt mir an selbiger Stelle
einen Knotenstock zum Andenken, und trat sogleich meine
Wanderung an.

Ich begegnete im Wald einem alten Bauer, der mich

und Freude, unter Palmenhainen. — — Ich konnte die
beweglichen, leicht verwehten, lieblichen Geſtalten weder
feſthalten noch deuten; aber ich weiß, daß ich gerne ſol-
chen Traum traͤumte und mich vor dem Erwachen in Acht
nahm; ich wachte wirklich ſchon, und hielt noch die Augen
zu, um die weichenden Erſcheinungen laͤnger vor meiner
Seele zu behalten.

Ich oͤffnete endlich die Augen, die Sonne ſtand noch
am Himmel, aber im Oſten; ich hatte die Nacht verſchlafen.
Ich nahm es fuͤr ein Zeichen, daß ich nicht nach dem
Wirthshauſe zuruͤckkehren ſollte. Ich gab leicht, was ich
dort noch beſaß, verloren, und beſchloß, eine Nebenſtraße,
die durch den waldbewachſenen Fuß des Gebirges fuͤhrte,
zu Fuß einzuſchlagen, dem Schickſal es anheim ſtellend,
was es mit mir vorhatte, zu erfuͤllen. Ich ſchaute nicht
hinter mich zuruͤck, und dachte auch nicht daran, an Ben-
del
, den ich reich zuruͤckgelaſſen hatte, mich zu wenden,
welches ich allerdings gekonnt haͤtte. Ich ſah mich an auf
den neuen Charakter, den ich in der Welt bekleiden ſollte:
mein Anzug war ſehr beſcheiden. Ich hatte eine alte
ſchwarze Kurtka an, die ich ſchon in Berlin getragen, und
die mir, ich weiß nicht wie, zu dieſer Reiſe erſt wieder
in die Hand gekommen war. Ich hatte ſonſt eine Reiſe-
muͤtze auf dem Kopf und ein Paar alte Stiefeln an den
Fuͤßen. Ich erhob mich, ſchnitt mir an ſelbiger Stelle
einen Knotenſtock zum Andenken, und trat ſogleich meine
Wanderung an.

Ich begegnete im Wald einem alten Bauer, der mich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0098" n="310"/>
und Freude, unter Palmenhainen. &#x2014; &#x2014; Ich konnte die<lb/>
beweglichen, leicht verwehten, lieblichen Ge&#x017F;talten weder<lb/>
fe&#x017F;thalten noch deuten; aber ich weiß, daß ich gerne &#x017F;ol-<lb/>
chen Traum tra&#x0364;umte und mich vor dem Erwachen in Acht<lb/>
nahm; ich wachte wirklich &#x017F;chon, und hielt noch die Augen<lb/>
zu, um die weichenden Er&#x017F;cheinungen la&#x0364;nger vor meiner<lb/>
Seele zu behalten.</p><lb/>
          <p>Ich o&#x0364;ffnete endlich die Augen, die Sonne &#x017F;tand noch<lb/>
am Himmel, aber im O&#x017F;ten; ich hatte die Nacht ver&#x017F;chlafen.<lb/>
Ich nahm es fu&#x0364;r ein Zeichen, daß ich nicht nach dem<lb/>
Wirthshau&#x017F;e zuru&#x0364;ckkehren &#x017F;ollte. Ich gab leicht, was ich<lb/>
dort noch be&#x017F;aß, verloren, und be&#x017F;chloß, eine Neben&#x017F;traße,<lb/>
die durch den waldbewach&#x017F;enen Fuß des Gebirges fu&#x0364;hrte,<lb/>
zu Fuß einzu&#x017F;chlagen, dem Schick&#x017F;al es anheim &#x017F;tellend,<lb/>
was es mit mir vorhatte, zu erfu&#x0364;llen. Ich &#x017F;chaute nicht<lb/>
hinter mich zuru&#x0364;ck, und dachte auch nicht daran, an <hi rendition="#g">Ben-<lb/>
del</hi>, den ich reich zuru&#x0364;ckgela&#x017F;&#x017F;en hatte, mich zu wenden,<lb/>
welches ich allerdings gekonnt ha&#x0364;tte. Ich &#x017F;ah mich an auf<lb/>
den neuen Charakter, den ich in der Welt bekleiden &#x017F;ollte:<lb/>
mein Anzug war &#x017F;ehr be&#x017F;cheiden. Ich hatte eine alte<lb/>
&#x017F;chwarze Kurtka an, die ich &#x017F;chon in Berlin getragen, und<lb/>
die mir, ich weiß nicht wie, zu die&#x017F;er Rei&#x017F;e er&#x017F;t wieder<lb/>
in die Hand gekommen war. Ich hatte &#x017F;on&#x017F;t eine Rei&#x017F;e-<lb/>
mu&#x0364;tze auf dem Kopf und ein Paar alte Stiefeln an den<lb/>
Fu&#x0364;ßen. Ich erhob mich, &#x017F;chnitt mir an &#x017F;elbiger Stelle<lb/>
einen Knoten&#x017F;tock zum Andenken, und trat &#x017F;ogleich meine<lb/>
Wanderung an.</p><lb/>
          <p>Ich begegnete im Wald einem alten Bauer, der mich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0098] und Freude, unter Palmenhainen. — — Ich konnte die beweglichen, leicht verwehten, lieblichen Geſtalten weder feſthalten noch deuten; aber ich weiß, daß ich gerne ſol- chen Traum traͤumte und mich vor dem Erwachen in Acht nahm; ich wachte wirklich ſchon, und hielt noch die Augen zu, um die weichenden Erſcheinungen laͤnger vor meiner Seele zu behalten. Ich oͤffnete endlich die Augen, die Sonne ſtand noch am Himmel, aber im Oſten; ich hatte die Nacht verſchlafen. Ich nahm es fuͤr ein Zeichen, daß ich nicht nach dem Wirthshauſe zuruͤckkehren ſollte. Ich gab leicht, was ich dort noch beſaß, verloren, und beſchloß, eine Nebenſtraße, die durch den waldbewachſenen Fuß des Gebirges fuͤhrte, zu Fuß einzuſchlagen, dem Schickſal es anheim ſtellend, was es mit mir vorhatte, zu erfuͤllen. Ich ſchaute nicht hinter mich zuruͤck, und dachte auch nicht daran, an Ben- del, den ich reich zuruͤckgelaſſen hatte, mich zu wenden, welches ich allerdings gekonnt haͤtte. Ich ſah mich an auf den neuen Charakter, den ich in der Welt bekleiden ſollte: mein Anzug war ſehr beſcheiden. Ich hatte eine alte ſchwarze Kurtka an, die ich ſchon in Berlin getragen, und die mir, ich weiß nicht wie, zu dieſer Reiſe erſt wieder in die Hand gekommen war. Ich hatte ſonſt eine Reiſe- muͤtze auf dem Kopf und ein Paar alte Stiefeln an den Fuͤßen. Ich erhob mich, ſchnitt mir an ſelbiger Stelle einen Knotenſtock zum Andenken, und trat ſogleich meine Wanderung an. Ich begegnete im Wald einem alten Bauer, der mich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/98
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/98>, abgerufen am 23.11.2024.