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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839.

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Der Anblick war wirklich groß und herrlich. Ein lichter
Punkt erschien am Horizont zwischen der dunkeln Fluth und
der Bläue des Himmels. "Ein Fernrohr her!" rief John,
und noch bevor das auf den Ruf erscheinende Dienervolk in
Bewegung kam, hatte der graue Mann, bescheiden sich ver-
neigend, die Hand schon in die Rocktasche gesteckt, daraus
einen schönen Dollond hervorgezogen und es dem Herrn John
eingehändigt. Dieser, es sogleich an das Aug' bringend, benach-
richtigte die Gesellschaft, es sei das Schiff, das gestern aus-
gelaufen, und das widrige Winde im Angesicht des Hafens
zurücke hielten. Das Fernrohr ging von Hand zu Hand und
nicht wieder in die des Eigenthümers; ich aber sah verwun-
dert den Mann an, und wußte nicht, wie die große Maschine
aus der winzigen Tasche herausgekommen war; es schien aber
Niemandem aufgefallen zu sein, und man bekümmerte sich nicht
mehr um den grauen Mann, als um mich selber.

Erfrischungen wurden gereicht, das seltenste Obst aller
Zonen in den kostbarsten Gefäßen. Herr John machte die
Honneurs mit leichtem Anstand und richtete da zum zweiten
Mal ein Wort an mich: "Essen Sie nur, das haben Sie auf
der See nicht gehabt." Ich verbeugte mich, aber er sah es
nicht, er sprach schon mit jemand Anderem.

Man hätte sich gern auf den Rasen, am Abhange des
Hügels, der ausgespannten Landschaft gegenüber gelagert,
hätte man die Feuchtigkeit der Erde nicht gescheut. Es wäre
göttlich, meinte Wer aus der Gesellschaft, wenn man türkische
Teppiche hätte, sie hier auszubreiten. Der Wunsch war nicht
sobald ausgesprochen, als schon der Mann im grauen Rock
die Hand in der Tasche hatte, und mit bescheidener, ja demü-
thiger Geberde einen reichen, golddurchwirkten türkischen Tep-
pich daraus zu ziehen bemüht war. Bediente nahmen ihn in
Empfang, als müsse es so sein, und entfalteten ihn am begehr-
ten Orte. Die Gesellschaft nahm ohne Umstände Platz darauf;

Der Anblick war wirklich groß und herrlich. Ein lichter
Punkt erſchien am Horizont zwiſchen der dunkeln Fluth und
der Bläue des Himmels. »Ein Fernrohr her!« rief John,
und noch bevor das auf den Ruf erſcheinende Dienervolk in
Bewegung kam, hatte der graue Mann, beſcheiden ſich ver-
neigend, die Hand ſchon in die Rocktaſche geſteckt, daraus
einen ſchönen Dollond hervorgezogen und es dem Herrn John
eingehändigt. Dieſer, es ſogleich an das Aug’ bringend, benach-
richtigte die Geſellſchaft, es ſei das Schiff, das geſtern aus-
gelaufen, und das widrige Winde im Angeſicht des Hafens
zurücke hielten. Das Fernrohr ging von Hand zu Hand und
nicht wieder in die des Eigenthümers; ich aber ſah verwun-
dert den Mann an, und wußte nicht, wie die große Maſchine
aus der winzigen Taſche herausgekommen war; es ſchien aber
Niemandem aufgefallen zu ſein, und man bekümmerte ſich nicht
mehr um den grauen Mann, als um mich ſelber.

Erfriſchungen wurden gereicht, das ſeltenſte Obſt aller
Zonen in den koſtbarſten Gefäßen. Herr John machte die
Honneurs mit leichtem Anſtand und richtete da zum zweiten
Mal ein Wort an mich: »Eſſen Sie nur, das haben Sie auf
der See nicht gehabt.« Ich verbeugte mich, aber er ſah es
nicht, er ſprach ſchon mit jemand Anderem.

Man hätte ſich gern auf den Raſen, am Abhange des
Hügels, der ausgeſpannten Landſchaft gegenüber gelagert,
hätte man die Feuchtigkeit der Erde nicht geſcheut. Es wäre
göttlich, meinte Wer aus der Geſellſchaft, wenn man türkiſche
Teppiche hätte, ſie hier auszubreiten. Der Wunſch war nicht
ſobald ausgeſprochen, als ſchon der Mann im grauen Rock
die Hand in der Taſche hatte, und mit beſcheidener, ja demü-
thiger Geberde einen reichen, golddurchwirkten türkiſchen Tep-
pich daraus zu ziehen bemüht war. Bediente nahmen ihn in
Empfang, als müſſe es ſo ſein, und entfalteten ihn am begehr-
ten Orte. Die Geſellſchaft nahm ohne Umſtände Platz darauf;

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[4/0022] Der Anblick war wirklich groß und herrlich. Ein lichter Punkt erſchien am Horizont zwiſchen der dunkeln Fluth und der Bläue des Himmels. »Ein Fernrohr her!« rief John, und noch bevor das auf den Ruf erſcheinende Dienervolk in Bewegung kam, hatte der graue Mann, beſcheiden ſich ver- neigend, die Hand ſchon in die Rocktaſche geſteckt, daraus einen ſchönen Dollond hervorgezogen und es dem Herrn John eingehändigt. Dieſer, es ſogleich an das Aug’ bringend, benach- richtigte die Geſellſchaft, es ſei das Schiff, das geſtern aus- gelaufen, und das widrige Winde im Angeſicht des Hafens zurücke hielten. Das Fernrohr ging von Hand zu Hand und nicht wieder in die des Eigenthümers; ich aber ſah verwun- dert den Mann an, und wußte nicht, wie die große Maſchine aus der winzigen Taſche herausgekommen war; es ſchien aber Niemandem aufgefallen zu ſein, und man bekümmerte ſich nicht mehr um den grauen Mann, als um mich ſelber. Erfriſchungen wurden gereicht, das ſeltenſte Obſt aller Zonen in den koſtbarſten Gefäßen. Herr John machte die Honneurs mit leichtem Anſtand und richtete da zum zweiten Mal ein Wort an mich: »Eſſen Sie nur, das haben Sie auf der See nicht gehabt.« Ich verbeugte mich, aber er ſah es nicht, er ſprach ſchon mit jemand Anderem. Man hätte ſich gern auf den Raſen, am Abhange des Hügels, der ausgeſpannten Landſchaft gegenüber gelagert, hätte man die Feuchtigkeit der Erde nicht geſcheut. Es wäre göttlich, meinte Wer aus der Geſellſchaft, wenn man türkiſche Teppiche hätte, ſie hier auszubreiten. Der Wunſch war nicht ſobald ausgeſprochen, als ſchon der Mann im grauen Rock die Hand in der Taſche hatte, und mit beſcheidener, ja demü- thiger Geberde einen reichen, golddurchwirkten türkiſchen Tep- pich daraus zu ziehen bemüht war. Bediente nahmen ihn in Empfang, als müſſe es ſo ſein, und entfalteten ihn am begehr- ten Orte. Die Geſellſchaft nahm ohne Umſtände Platz darauf;

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/Yw_7531_1/22>, abgerufen am 21.11.2024.