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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839.

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aber ich entführte den Schatten nicht, der bei der Wendung vom
Pferde glitt und seinen gesetzmäßigen Eigenthümer auf der
Landstraße erwartete. Ich mußte beschämt umlenken; der
Mann im grauen Rocke, als er ungestört sein Liedchen zu
Ende gebracht, lachte mich aus, setzte mir den Schatten wie-
der zurecht, und belehrte mich, er würde erst an mir festhan-
gen und bei mir bleiben wollen, wenn ich ihn wiederum als
rechtmäßiges Eigenthum besitzen würde. "Ich halte Sie,"
fuhr er fort, "am Schatten fest, und Sie kommen mir nicht
los. Ein reicher Mann, wie Sie, braucht einmal einen
Schatten, das ist nicht anders, Sie sind nur darin zu tadeln,
daß Sie es nicht früher eingesehen haben." --

Ich setzte meine Reise auf derselben Straße fort; es fan-
den sich bei mir alle Bequemlichkeiten des Lebens und selbst
ihre Pracht wieder ein; ich konnte mich frei und leicht be-
wegen, da ich einen, obgleich nur erborgten, Schatten besaß,
und ich flößte überall die Ehrfurcht ein, die der Reichthum
gebietet; aber ich hatte den Tod im Herzen. Mein wunder-
samer Begleiter, der sich selbst für den unwürdigen Diener
des reichsten Mannes in der Welt ausgab, war von einer
außerordentlichen Dienstfertigkeit, über die Maßen gewandt
und geschickt, der wahre Inbegriff eines Kammerdieners für
einen reichen Mann, aber er wich nicht von meiner Seite,
und führte unaufhörlich das Wort gegen mich, stets die größte
Zuversicht an den Tag legend, daß ich endlich, sei es auch
nur, um ihn los zu werden, den Handel mit dem Schatten
abschließen würde. -- Er war mir eben so lästig als verhaßt.
Ich konnte mich ordentlich vor ihm fürchten. Ich hatte mich
von ihm abhängig gemacht. Er hielt mich, nachdem er mich
in die Herrlichkeit der Welt, die ich floh, zurückgeführt hatte.
Ich mußte seine Beredsamkeit über mich ergehen lassen, und
fühlte schier, er habe Recht. Ein Reicher muß in der Welt
einen Schatten haben, und sobald ich den Stand behaupten

aber ich entführte den Schatten nicht, der bei der Wendung vom
Pferde glitt und ſeinen geſetzmäßigen Eigenthümer auf der
Landſtraße erwartete. Ich mußte beſchämt umlenken; der
Mann im grauen Rocke, als er ungeſtört ſein Liedchen zu
Ende gebracht, lachte mich aus, ſetzte mir den Schatten wie-
der zurecht, und belehrte mich, er würde erſt an mir feſthan-
gen und bei mir bleiben wollen, wenn ich ihn wiederum als
rechtmäßiges Eigenthum beſitzen würde. »Ich halte Sie,«
fuhr er fort, »am Schatten feſt, und Sie kommen mir nicht
los. Ein reicher Mann, wie Sie, braucht einmal einen
Schatten, das iſt nicht anders, Sie ſind nur darin zu tadeln,
daß Sie es nicht früher eingeſehen haben.« —

Ich ſetzte meine Reiſe auf derſelben Straße fort; es fan-
den ſich bei mir alle Bequemlichkeiten des Lebens und ſelbſt
ihre Pracht wieder ein; ich konnte mich frei und leicht be-
wegen, da ich einen, obgleich nur erborgten, Schatten beſaß,
und ich flößte überall die Ehrfurcht ein, die der Reichthum
gebietet; aber ich hatte den Tod im Herzen. Mein wunder-
ſamer Begleiter, der ſich ſelbſt für den unwürdigen Diener
des reichſten Mannes in der Welt ausgab, war von einer
außerordentlichen Dienſtfertigkeit, über die Maßen gewandt
und geſchickt, der wahre Inbegriff eines Kammerdieners für
einen reichen Mann, aber er wich nicht von meiner Seite,
und führte unaufhörlich das Wort gegen mich, ſtets die größte
Zuverſicht an den Tag legend, daß ich endlich, ſei es auch
nur, um ihn los zu werden, den Handel mit dem Schatten
abſchließen würde. — Er war mir eben ſo läſtig als verhaßt.
Ich konnte mich ordentlich vor ihm fürchten. Ich hatte mich
von ihm abhängig gemacht. Er hielt mich, nachdem er mich
in die Herrlichkeit der Welt, die ich floh, zurückgeführt hatte.
Ich mußte ſeine Beredſamkeit über mich ergehen laſſen, und
fühlte ſchier, er habe Recht. Ein Reicher muß in der Welt
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[61/0079] aber ich entführte den Schatten nicht, der bei der Wendung vom Pferde glitt und ſeinen geſetzmäßigen Eigenthümer auf der Landſtraße erwartete. Ich mußte beſchämt umlenken; der Mann im grauen Rocke, als er ungeſtört ſein Liedchen zu Ende gebracht, lachte mich aus, ſetzte mir den Schatten wie- der zurecht, und belehrte mich, er würde erſt an mir feſthan- gen und bei mir bleiben wollen, wenn ich ihn wiederum als rechtmäßiges Eigenthum beſitzen würde. »Ich halte Sie,« fuhr er fort, »am Schatten feſt, und Sie kommen mir nicht los. Ein reicher Mann, wie Sie, braucht einmal einen Schatten, das iſt nicht anders, Sie ſind nur darin zu tadeln, daß Sie es nicht früher eingeſehen haben.« — Ich ſetzte meine Reiſe auf derſelben Straße fort; es fan- den ſich bei mir alle Bequemlichkeiten des Lebens und ſelbſt ihre Pracht wieder ein; ich konnte mich frei und leicht be- wegen, da ich einen, obgleich nur erborgten, Schatten beſaß, und ich flößte überall die Ehrfurcht ein, die der Reichthum gebietet; aber ich hatte den Tod im Herzen. Mein wunder- ſamer Begleiter, der ſich ſelbſt für den unwürdigen Diener des reichſten Mannes in der Welt ausgab, war von einer außerordentlichen Dienſtfertigkeit, über die Maßen gewandt und geſchickt, der wahre Inbegriff eines Kammerdieners für einen reichen Mann, aber er wich nicht von meiner Seite, und führte unaufhörlich das Wort gegen mich, ſtets die größte Zuverſicht an den Tag legend, daß ich endlich, ſei es auch nur, um ihn los zu werden, den Handel mit dem Schatten abſchließen würde. — Er war mir eben ſo läſtig als verhaßt. Ich konnte mich ordentlich vor ihm fürchten. Ich hatte mich von ihm abhängig gemacht. Er hielt mich, nachdem er mich in die Herrlichkeit der Welt, die ich floh, zurückgeführt hatte. Ich mußte ſeine Beredſamkeit über mich ergehen laſſen, und fühlte ſchier, er habe Recht. Ein Reicher muß in der Welt einen Schatten haben, und ſobald ich den Stand behaupten

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/Yw_7531_1/79>, abgerufen am 21.05.2024.