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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839.

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hielt noch die Augen zu, um die weichenden Erscheinungen
länger vor meiner Seele zu behalten.

Ich öffnete endlich die Augen, die Sonne stand noch am
Himmel, aber im Often; ich hatte die Nacht verschlafen. Ich
nahm es für ein Zeichen, daß ich nicht nach dem Wirthshause
zurückkehren sollte. Ich gab leicht, was ich dort noch besaß,
verloren, und beschloß, eine Nebenstraße, die durch den wald-
bewachsenen Fuß des Gebirges führte, zu Fuß einzuschlagen,
dem Schicksal es anheim stellend, was es mit mir vorhatte, zu
erfüllen. Ich schaute nicht hinter mich zurück, und dachte
auch nicht daran, an Bendel, den ich reich zurückgelassen
hatte, mich zu wenden, welches ich allerdings gekonnt hätte.
Ich sah mich an auf den neuen Charakter, den ich in der Welt
bekleiden sollte: Mein Anzug war sehr bescheiden. Ich hatte
eine alte schwarze Kurtka an, die ich schon in Berlin getra-
gen, und die mir, ich weiß nicht wie, zu dieser Reise erst wie-
der in die Hand gekommen war. Ich hatte sonst eine Reise-
mütze auf dem Kopf und ein Paar alte Stiefeln an den Füßen.
Ich erhob mich, schnitt mir an selbiger Stelle einen Knoten-
stock zum Andenken, und trat sogleich meine Wanderung an.

Ich begegnete im Wald einem alten Bauer, der mich
freundlich begrüßte, und mit dem ich mich in Gespräch ein-
ließ. Ich erkundigte mich, wie ein wißbegieriger Reisender,
erst nach dem Wege, dann nach der Gegend und deren Be-
wohnern, den Erzeugnissen des Gebirges und derlei mehr. Er
antwortete verständig und redselig auf meine Fragen. Wir
kamen an das Bette eines Bergstromes, der über einen wei-
ten Strich des Waldes seine Verwüstung verbreitet hatte.
Mich schauderte innerlich vor dem sonnenhellen Raum; ich
ließ den Landmann vorangehen. Er hielt aber mitten im ge-
fährlichen Orte still und wandte sich zu mir, um mir die Ge-
schichte dieser Verwüstung zu erzählen. Er bemerkte bald,

hielt noch die Augen zu, um die weichenden Erſcheinungen
länger vor meiner Seele zu behalten.

Ich öffnete endlich die Augen, die Sonne ſtand noch am
Himmel, aber im Often; ich hatte die Nacht verſchlafen. Ich
nahm es für ein Zeichen, daß ich nicht nach dem Wirthshauſe
zurückkehren ſollte. Ich gab leicht, was ich dort noch beſaß,
verloren, und beſchloß, eine Nebenſtraße, die durch den wald-
bewachſenen Fuß des Gebirges führte, zu Fuß einzuſchlagen,
dem Schickſal es anheim ſtellend, was es mit mir vorhatte, zu
erfüllen. Ich ſchaute nicht hinter mich zurück, und dachte
auch nicht daran, an Bendel, den ich reich zurückgelaſſen
hatte, mich zu wenden, welches ich allerdings gekonnt hätte.
Ich ſah mich an auf den neuen Charakter, den ich in der Welt
bekleiden ſollte: Mein Anzug war ſehr beſcheiden. Ich hatte
eine alte ſchwarze Kurtka an, die ich ſchon in Berlin getra-
gen, und die mir, ich weiß nicht wie, zu dieſer Reiſe erſt wie-
der in die Hand gekommen war. Ich hatte ſonſt eine Reiſe-
mütze auf dem Kopf und ein Paar alte Stiefeln an den Füßen.
Ich erhob mich, ſchnitt mir an ſelbiger Stelle einen Knoten-
ſtock zum Andenken, und trat ſogleich meine Wanderung an.

Ich begegnete im Wald einem alten Bauer, der mich
freundlich begrüßte, und mit dem ich mich in Geſpräch ein-
ließ. Ich erkundigte mich, wie ein wißbegieriger Reiſender,
erſt nach dem Wege, dann nach der Gegend und deren Be-
wohnern, den Erzeugniſſen des Gebirges und derlei mehr. Er
antwortete verſtändig und redſelig auf meine Fragen. Wir
kamen an das Bette eines Bergſtromes, der über einen wei-
ten Strich des Waldes ſeine Verwüſtung verbreitet hatte.
Mich ſchauderte innerlich vor dem ſonnenhellen Raum; ich
ließ den Landmann vorangehen. Er hielt aber mitten im ge-
fährlichen Orte ſtill und wandte ſich zu mir, um mir die Ge-
ſchichte dieſer Verwüſtung zu erzählen. Er bemerkte bald,

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[66/0084] hielt noch die Augen zu, um die weichenden Erſcheinungen länger vor meiner Seele zu behalten. Ich öffnete endlich die Augen, die Sonne ſtand noch am Himmel, aber im Often; ich hatte die Nacht verſchlafen. Ich nahm es für ein Zeichen, daß ich nicht nach dem Wirthshauſe zurückkehren ſollte. Ich gab leicht, was ich dort noch beſaß, verloren, und beſchloß, eine Nebenſtraße, die durch den wald- bewachſenen Fuß des Gebirges führte, zu Fuß einzuſchlagen, dem Schickſal es anheim ſtellend, was es mit mir vorhatte, zu erfüllen. Ich ſchaute nicht hinter mich zurück, und dachte auch nicht daran, an Bendel, den ich reich zurückgelaſſen hatte, mich zu wenden, welches ich allerdings gekonnt hätte. Ich ſah mich an auf den neuen Charakter, den ich in der Welt bekleiden ſollte: Mein Anzug war ſehr beſcheiden. Ich hatte eine alte ſchwarze Kurtka an, die ich ſchon in Berlin getra- gen, und die mir, ich weiß nicht wie, zu dieſer Reiſe erſt wie- der in die Hand gekommen war. Ich hatte ſonſt eine Reiſe- mütze auf dem Kopf und ein Paar alte Stiefeln an den Füßen. Ich erhob mich, ſchnitt mir an ſelbiger Stelle einen Knoten- ſtock zum Andenken, und trat ſogleich meine Wanderung an. Ich begegnete im Wald einem alten Bauer, der mich freundlich begrüßte, und mit dem ich mich in Geſpräch ein- ließ. Ich erkundigte mich, wie ein wißbegieriger Reiſender, erſt nach dem Wege, dann nach der Gegend und deren Be- wohnern, den Erzeugniſſen des Gebirges und derlei mehr. Er antwortete verſtändig und redſelig auf meine Fragen. Wir kamen an das Bette eines Bergſtromes, der über einen wei- ten Strich des Waldes ſeine Verwüſtung verbreitet hatte. Mich ſchauderte innerlich vor dem ſonnenhellen Raum; ich ließ den Landmann vorangehen. Er hielt aber mitten im ge- fährlichen Orte ſtill und wandte ſich zu mir, um mir die Ge- ſchichte dieſer Verwüſtung zu erzählen. Er bemerkte bald,

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/Yw_7531_1/84>, abgerufen am 24.11.2024.