Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839.
Schlemihl abgelesen wurde, war eine Ermahnung, für Ich genas unerkannt im Schlemihlio, und erfuhr Sie unterhielt sich einst am Bette Numero Zwölf mit
Schlemihl abgeleſen wurde, war eine Ermahnung, für Ich genas unerkannt im Schlemihlio, und erfuhr Sie unterhielt ſich einſt am Bette Numero Zwölf mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0096" n="78"/> Schlemihl</hi> abgeleſen wurde, war eine Ermahnung, für<lb/> denſelben, als den Urheber und Wohlthäter dieſer Stiftung,<lb/> zu beten. Der freundliche Mann, den ich an meinem Bette<lb/> geſehen hatte, war <hi rendition="#g">Bendel</hi>, die ſchöne Frau war <hi rendition="#g">Mina</hi>.</p><lb/> <p>Ich genas unerkannt im <hi rendition="#g">Schlemihlio</hi>, und erfuhr<lb/> noch mehr, ich war in <hi rendition="#g">Bendel’s</hi> Vaterſtadt, wo er aus<lb/> dem Ueberreſt meines ſonſt nicht geſegneten Goldes dieſes<lb/> Hoſpitium, wo Unglückliche mich ſegneten, unter meinem<lb/> Namen geſtiftet hatte, und er führte über daſſelbe die Auf-<lb/> ſicht. <hi rendition="#g">Mina</hi> war Wittwe, ein unglücklicher Kriminal-Pro-<lb/> ceß hatte dem Herrn <hi rendition="#g">Rascal</hi> das Leben und ihr ſelbſt ihr<lb/> mehrſtes Vermögen gekoſtet. Ihre Eltern waren nicht mehr.<lb/> Sie lebte hier als eine gottesfürchtige Wittwe, und übte<lb/> Werke der Barmherzigkeit.</p><lb/> <p>Sie unterhielt ſich einſt am Bette Numero Zwölf mit<lb/> dem Herrn <hi rendition="#g">Bendel:</hi> »Warum, edle Frau, wollen Sie ſich<lb/> ſo oft der böſen Luft, die hier herrſcht, ausſetzen? Sollte<lb/> denn das Schickſal mit Ihnen ſo hart ſein, daß Sie zu ſterben<lb/> begehrten?« — »Nein, Herr <hi rendition="#g">Bendel</hi>, ſeit ich meinen lan-<lb/> gen Traum ausgeträumt habe, und in mir ſelber erwacht bin,<lb/> geht es mir wohl, ſeitdem wünſche ich nicht mehr und fürchte<lb/> nicht mehr den Tod. Seitdem denke ich heiter an Vergangen-<lb/> heit und Zukunft. Iſt es nicht auch mit ſtillem innerlichen<lb/> Glück, daß Sie jetzt auf ſo gottſelige Weiſe Ihrem Herrn und<lb/> Freunde dienen?« — »Sei Gott gedankt, ja, edle Frau. Es<lb/> iſt uns doch wunderſam ergangen, wir haben viel Wohl und<lb/> bitt’res Weh unbedachtſam aus dem vollen Becher geſchlürft.<lb/> Nun iſt er leer; nun möchte Einer meinen, das ſei Alles nur<lb/> die Probe geweſen, und, mit kluger Einſicht gerüſtet, den<lb/> wirklichen Anfang erwarten. Ein anderer iſt nun der wirkliche<lb/> Anfang, und man wünſcht das erſte Gaukelſpiel nicht zurück,<lb/> und iſt dennoch im Ganzen froh, wie es war, gelebt zu ha-<lb/> ben. Auch find’ ich in mir das Zutrauen, daß es nun unſerm<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [78/0096]
Schlemihl abgeleſen wurde, war eine Ermahnung, für
denſelben, als den Urheber und Wohlthäter dieſer Stiftung,
zu beten. Der freundliche Mann, den ich an meinem Bette
geſehen hatte, war Bendel, die ſchöne Frau war Mina.
Ich genas unerkannt im Schlemihlio, und erfuhr
noch mehr, ich war in Bendel’s Vaterſtadt, wo er aus
dem Ueberreſt meines ſonſt nicht geſegneten Goldes dieſes
Hoſpitium, wo Unglückliche mich ſegneten, unter meinem
Namen geſtiftet hatte, und er führte über daſſelbe die Auf-
ſicht. Mina war Wittwe, ein unglücklicher Kriminal-Pro-
ceß hatte dem Herrn Rascal das Leben und ihr ſelbſt ihr
mehrſtes Vermögen gekoſtet. Ihre Eltern waren nicht mehr.
Sie lebte hier als eine gottesfürchtige Wittwe, und übte
Werke der Barmherzigkeit.
Sie unterhielt ſich einſt am Bette Numero Zwölf mit
dem Herrn Bendel: »Warum, edle Frau, wollen Sie ſich
ſo oft der böſen Luft, die hier herrſcht, ausſetzen? Sollte
denn das Schickſal mit Ihnen ſo hart ſein, daß Sie zu ſterben
begehrten?« — »Nein, Herr Bendel, ſeit ich meinen lan-
gen Traum ausgeträumt habe, und in mir ſelber erwacht bin,
geht es mir wohl, ſeitdem wünſche ich nicht mehr und fürchte
nicht mehr den Tod. Seitdem denke ich heiter an Vergangen-
heit und Zukunft. Iſt es nicht auch mit ſtillem innerlichen
Glück, daß Sie jetzt auf ſo gottſelige Weiſe Ihrem Herrn und
Freunde dienen?« — »Sei Gott gedankt, ja, edle Frau. Es
iſt uns doch wunderſam ergangen, wir haben viel Wohl und
bitt’res Weh unbedachtſam aus dem vollen Becher geſchlürft.
Nun iſt er leer; nun möchte Einer meinen, das ſei Alles nur
die Probe geweſen, und, mit kluger Einſicht gerüſtet, den
wirklichen Anfang erwarten. Ein anderer iſt nun der wirkliche
Anfang, und man wünſcht das erſte Gaukelſpiel nicht zurück,
und iſt dennoch im Ganzen froh, wie es war, gelebt zu ha-
ben. Auch find’ ich in mir das Zutrauen, daß es nun unſerm
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