Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.eine Zelle allein oder mit noch einem andern Häftling zu teilen; sie wählte das erstere. Alle Einrichtungsgegenstände mussten dort von den Häftlingen selbst gekauft werden, ebenso mussten sie sich die Nahrung selbst bezahlen, wenn sie die Gefangenhauskost nicht vertrugen. Der Staat hatte für jeden Gefangenen bloss eine Portion Bohnen und eineinhalb Pfund Brot pro Tag. Der Kerkermeister versicherte Madame Roland, dass sie weder das eine noch das andere vertragen würde. Wenn auch diese Kost in nichts der von ihr gewöhnten glich, wollte sie doch keine andere zu sich nehmen; sie liebte es, sich in jede Lage hinein zu finden und ihre Kräfte zu messen und dem Schicksal kühn die Stirne zu bieten. Sie wollte es versuchen. Aber ihr schwacher Gesundheitszustand und der Mangel an Bewegung erlaubten es nicht auf die Dauer, bei ihrem Vorsatze zu beharren! Ihr Mut liess sie auch das neuerliche Missgeschick ruhig erdulden, aber erschwert wurde es ihr durch die spitzfindige Grausamkeit, mit der man ihr einen Vorgeschmack der Freiheit gegeben hatte, ehe man sie in neue Fesseln schlug! Man legte eine Gesetzesbestimmung falsch aus, um sie willkürlich zurückzuhalten, und sich obendrein dann den Anschein der Gesetzlichkeit zu geben. Madame Roland befand sich in einer Stimmung, in der alle Eindrücke lebhafter und ihre Wirkungen für die Gesundheit viel empfindlicher sind. Sie legte sich zu Bette, ohne schlafen zu können. Sie war immer gewohnt, sich zu beherrschen und fand es töricht, ihren Verfolgern etwas zuzugestehen, indem sie sich von der Ungerechtigkeit verletzen liess! Sie hatten sich mit neuer Schmach bedeckt und eigentlich wenig an der Lage geändert, die sie schon so gut zu ertragen gelernt hatte. Sie hatte Bücher und Zeit! Sie konnte dort leichter als ausserhalb der Gefängnismauern sie selbst sein, sie brauchte sich gar nicht zu verstellen. Schliesslich entrüstete sie sich über sich selbst, wenn sie an ihre überflüssige Erregung dachte. Sie fasste neuen Mut und dachte, die Zeit nützlich zu verbringen; sie war sich ihrer starken Seele bewusst, eine Zelle allein oder mit noch einem andern Häftling zu teilen; sie wählte das erstere. Alle Einrichtungsgegenstände mussten dort von den Häftlingen selbst gekauft werden, ebenso mussten sie sich die Nahrung selbst bezahlen, wenn sie die Gefangenhauskost nicht vertrugen. Der Staat hatte für jeden Gefangenen bloss eine Portion Bohnen und eineinhalb Pfund Brot pro Tag. Der Kerkermeister versicherte Madame Roland, dass sie weder das eine noch das andere vertragen würde. Wenn auch diese Kost in nichts der von ihr gewöhnten glich, wollte sie doch keine andere zu sich nehmen; sie liebte es, sich in jede Lage hinein zu finden und ihre Kräfte zu messen und dem Schicksal kühn die Stirne zu bieten. Sie wollte es versuchen. Aber ihr schwacher Gesundheitszustand und der Mangel an Bewegung erlaubten es nicht auf die Dauer, bei ihrem Vorsatze zu beharren! Ihr Mut liess sie auch das neuerliche Missgeschick ruhig erdulden, aber erschwert wurde es ihr durch die spitzfindige Grausamkeit, mit der man ihr einen Vorgeschmack der Freiheit gegeben hatte, ehe man sie in neue Fesseln schlug! Man legte eine Gesetzesbestimmung falsch aus, um sie willkürlich zurückzuhalten, und sich obendrein dann den Anschein der Gesetzlichkeit zu geben. Madame Roland befand sich in einer Stimmung, in der alle Eindrücke lebhafter und ihre Wirkungen für die Gesundheit viel empfindlicher sind. Sie legte sich zu Bette, ohne schlafen zu können. Sie war immer gewohnt, sich zu beherrschen und fand es töricht, ihren Verfolgern etwas zuzugestehen, indem sie sich von der Ungerechtigkeit verletzen liess! Sie hatten sich mit neuer Schmach bedeckt und eigentlich wenig an der Lage geändert, die sie schon so gut zu ertragen gelernt hatte. Sie hatte Bücher und Zeit! Sie konnte dort leichter als ausserhalb der Gefängnismauern sie selbst sein, sie brauchte sich gar nicht zu verstellen. Schliesslich entrüstete sie sich über sich selbst, wenn sie an ihre überflüssige Erregung dachte. Sie fasste neuen Mut und dachte, die Zeit nützlich zu verbringen; sie war sich ihrer starken Seele bewusst, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0147" n="128"/> eine Zelle allein oder mit noch einem andern Häftling zu teilen; sie wählte das erstere. Alle Einrichtungsgegenstände mussten dort von den Häftlingen selbst gekauft werden, ebenso mussten sie sich die Nahrung selbst bezahlen, wenn sie die Gefangenhauskost nicht vertrugen. Der Staat hatte für jeden Gefangenen bloss eine Portion Bohnen und eineinhalb Pfund Brot pro Tag. Der Kerkermeister versicherte Madame Roland, dass sie weder das eine noch das andere vertragen würde. Wenn auch diese Kost in nichts der von ihr gewöhnten glich, wollte sie doch keine andere zu sich nehmen; sie liebte es, sich in jede Lage hinein zu finden und ihre Kräfte zu messen und dem Schicksal kühn die Stirne zu bieten. Sie wollte es versuchen. Aber ihr schwacher Gesundheitszustand und der Mangel an Bewegung erlaubten es nicht auf die Dauer, bei ihrem Vorsatze zu beharren! Ihr Mut liess sie auch das neuerliche Missgeschick ruhig erdulden, aber erschwert wurde es ihr durch die spitzfindige Grausamkeit, mit der man ihr einen Vorgeschmack der Freiheit gegeben hatte, ehe man sie in neue Fesseln schlug! Man legte eine Gesetzesbestimmung falsch aus, um sie willkürlich zurückzuhalten, und sich obendrein dann den Anschein der Gesetzlichkeit zu geben. Madame Roland befand sich in einer Stimmung, in der alle Eindrücke lebhafter und ihre Wirkungen für die Gesundheit viel empfindlicher sind. Sie legte sich zu Bette, ohne schlafen zu können. Sie war immer gewohnt, sich zu beherrschen und fand es töricht, ihren Verfolgern etwas zuzugestehen, indem sie sich von der Ungerechtigkeit verletzen liess! Sie hatten sich mit neuer Schmach bedeckt und eigentlich wenig an der Lage geändert, die sie schon so gut zu ertragen gelernt hatte. Sie hatte Bücher und Zeit! Sie konnte dort leichter als ausserhalb der Gefängnismauern sie selbst sein, sie brauchte sich gar nicht zu verstellen. Schliesslich entrüstete sie sich über sich selbst, wenn sie an ihre überflüssige Erregung dachte. Sie fasste neuen Mut und dachte, die Zeit nützlich zu verbringen; sie war sich ihrer starken Seele bewusst, </p> </div> </body> </text> </TEI> [128/0147]
eine Zelle allein oder mit noch einem andern Häftling zu teilen; sie wählte das erstere. Alle Einrichtungsgegenstände mussten dort von den Häftlingen selbst gekauft werden, ebenso mussten sie sich die Nahrung selbst bezahlen, wenn sie die Gefangenhauskost nicht vertrugen. Der Staat hatte für jeden Gefangenen bloss eine Portion Bohnen und eineinhalb Pfund Brot pro Tag. Der Kerkermeister versicherte Madame Roland, dass sie weder das eine noch das andere vertragen würde. Wenn auch diese Kost in nichts der von ihr gewöhnten glich, wollte sie doch keine andere zu sich nehmen; sie liebte es, sich in jede Lage hinein zu finden und ihre Kräfte zu messen und dem Schicksal kühn die Stirne zu bieten. Sie wollte es versuchen. Aber ihr schwacher Gesundheitszustand und der Mangel an Bewegung erlaubten es nicht auf die Dauer, bei ihrem Vorsatze zu beharren! Ihr Mut liess sie auch das neuerliche Missgeschick ruhig erdulden, aber erschwert wurde es ihr durch die spitzfindige Grausamkeit, mit der man ihr einen Vorgeschmack der Freiheit gegeben hatte, ehe man sie in neue Fesseln schlug! Man legte eine Gesetzesbestimmung falsch aus, um sie willkürlich zurückzuhalten, und sich obendrein dann den Anschein der Gesetzlichkeit zu geben. Madame Roland befand sich in einer Stimmung, in der alle Eindrücke lebhafter und ihre Wirkungen für die Gesundheit viel empfindlicher sind. Sie legte sich zu Bette, ohne schlafen zu können. Sie war immer gewohnt, sich zu beherrschen und fand es töricht, ihren Verfolgern etwas zuzugestehen, indem sie sich von der Ungerechtigkeit verletzen liess! Sie hatten sich mit neuer Schmach bedeckt und eigentlich wenig an der Lage geändert, die sie schon so gut zu ertragen gelernt hatte. Sie hatte Bücher und Zeit! Sie konnte dort leichter als ausserhalb der Gefängnismauern sie selbst sein, sie brauchte sich gar nicht zu verstellen. Schliesslich entrüstete sie sich über sich selbst, wenn sie an ihre überflüssige Erregung dachte. Sie fasste neuen Mut und dachte, die Zeit nützlich zu verbringen; sie war sich ihrer starken Seele bewusst,
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