Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.befinden wirst, wenn du diese Zeilen liest, die ich fern von dir aufzeichne, stehe ich meinem Schicksal gleichgültig gegenüber, und bin nur mit dem deinigen, und dem deiner Mutter beschäftigt. Halt dir immer gegenwärtig, dass nichts dir seine Dauer verbürgt. Gewöhne dich an Arbeit, denke nie egoistisch an dich und deinen Vorteil, gewöhne dich Gutes zu tun, das ist das reinste Glück, das der Mensch geniessen kann." Condorcet bedauerte nur deshalb sterben zu müssen, weil er dachte, seiner Frau und seiner Tochter noch nützlich sein zu können, und weil er sich von ihnen geliebt wusste. Er schrieb ihnen, er sterbe wie Sokrates, weil er seinem Vaterland gedient habe. Die Unglücksstunde, die Condorcet seit Monaten geahnt hatte, näherte sich. Am 5. Germinal des Jahres II (25. März 1794), erfuhr Condorcet, dass am folgenden Tage bei Frau Vernet eine Haussuchung stattfinden würde. Er war entschlossen, seinen Zufluchtsort zu verlassen und sich in der Umgebung von Paris zu verstecken. Er verständigte im voraus seine Wohltäterin, aber diese schrie bestürzt auf und erhob Einsprache dagegen, worauf Condorcet ihr sagte: "Je mehr ich Ihren Mut bewundere, desto mehr gebietet mir die Pflicht als ehrlicher Mann, ihn in keiner Weise zu missbrauchen. Das Gesetz besteht. Sie sind auch vogelfrei, da Sie mir Zuflucht gewähren. Wenn man mich bei Ihnen fände, würden Sie das gleiche traurige Ende nehmen wie ich. Ich kann nicht weiter bleiben." Und die prächtige Frau antwortete ihm, dass der Nationalkonvent wohl das Recht habe, sie für vogelfrei, nicht aber für unmenschlich zu erklären; er habe nicht das Recht, einen Menschen ausserhalb der Menschlichkeit zu stellen. Aber Condorcets Entschluss stand unwiderruflich fest, er war entschlossen, wie er selbst sagte, sein Ruheplätzchen zu verlassen, das die grenzenlose Aufopferung seines Schutzengels in ein Paradies umgeschaffen hatte. Er musste sich einer List bedienen, um die grossartige befinden wirst, wenn du diese Zeilen liest, die ich fern von dir aufzeichne, stehe ich meinem Schicksal gleichgültig gegenüber, und bin nur mit dem deinigen, und dem deiner Mutter beschäftigt. Halt dir immer gegenwärtig, dass nichts dir seine Dauer verbürgt. Gewöhne dich an Arbeit, denke nie egoistisch an dich und deinen Vorteil, gewöhne dich Gutes zu tun, das ist das reinste Glück, das der Mensch geniessen kann.“ Condorcet bedauerte nur deshalb sterben zu müssen, weil er dachte, seiner Frau und seiner Tochter noch nützlich sein zu können, und weil er sich von ihnen geliebt wusste. Er schrieb ihnen, er sterbe wie Sokrates, weil er seinem Vaterland gedient habe. Die Unglücksstunde, die Condorcet seit Monaten geahnt hatte, näherte sich. Am 5. Germinal des Jahres II (25. März 1794), erfuhr Condorcet, dass am folgenden Tage bei Frau Vernet eine Haussuchung stattfinden würde. Er war entschlossen, seinen Zufluchtsort zu verlassen und sich in der Umgebung von Paris zu verstecken. Er verständigte im voraus seine Wohltäterin, aber diese schrie bestürzt auf und erhob Einsprache dagegen, worauf Condorcet ihr sagte: „Je mehr ich Ihren Mut bewundere, desto mehr gebietet mir die Pflicht als ehrlicher Mann, ihn in keiner Weise zu missbrauchen. Das Gesetz besteht. Sie sind auch vogelfrei, da Sie mir Zuflucht gewähren. Wenn man mich bei Ihnen fände, würden Sie das gleiche traurige Ende nehmen wie ich. Ich kann nicht weiter bleiben.“ Und die prächtige Frau antwortete ihm, dass der Nationalkonvent wohl das Recht habe, sie für vogelfrei, nicht aber für unmenschlich zu erklären; er habe nicht das Recht, einen Menschen ausserhalb der Menschlichkeit zu stellen. Aber Condorcets Entschluss stand unwiderruflich fest, er war entschlossen, wie er selbst sagte, sein Ruheplätzchen zu verlassen, das die grenzenlose Aufopferung seines Schutzengels in ein Paradies umgeschaffen hatte. Er musste sich einer List bedienen, um die grossartige <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0260" n="236"/> befinden wirst, wenn du diese Zeilen liest, die ich fern von dir aufzeichne, stehe ich meinem Schicksal gleichgültig gegenüber, und bin nur mit dem deinigen, und dem deiner Mutter beschäftigt. Halt dir immer gegenwärtig, dass nichts dir seine Dauer verbürgt. Gewöhne dich an Arbeit, denke nie egoistisch an dich und deinen Vorteil, gewöhne dich Gutes zu tun, das ist das reinste Glück, das der Mensch geniessen kann.“</p> <p>Condorcet bedauerte nur deshalb sterben zu müssen, weil er dachte, seiner Frau und seiner Tochter noch nützlich sein zu können, und weil er sich von ihnen geliebt wusste. Er schrieb ihnen, er sterbe wie Sokrates, weil er seinem Vaterland gedient habe.</p> <p>Die Unglücksstunde, die Condorcet seit Monaten geahnt hatte, näherte sich. Am 5. Germinal des Jahres II (25. März 1794), erfuhr Condorcet, dass am folgenden Tage bei Frau Vernet eine Haussuchung stattfinden würde. Er war entschlossen, seinen Zufluchtsort zu verlassen und sich in der Umgebung von Paris zu verstecken. Er verständigte im voraus seine Wohltäterin, aber diese schrie bestürzt auf und erhob Einsprache dagegen, worauf Condorcet ihr sagte: „Je mehr ich Ihren Mut bewundere, desto mehr gebietet mir die Pflicht als ehrlicher Mann, ihn in keiner Weise zu missbrauchen. Das Gesetz besteht. Sie sind auch vogelfrei, da Sie mir Zuflucht gewähren. Wenn man mich bei Ihnen fände, würden Sie das gleiche traurige Ende nehmen wie ich. Ich kann nicht weiter bleiben.“ Und die prächtige Frau antwortete ihm, dass der Nationalkonvent wohl das Recht habe, sie für vogelfrei, nicht aber für unmenschlich zu erklären; er habe nicht das Recht, einen Menschen ausserhalb der Menschlichkeit zu stellen. Aber Condorcets Entschluss stand unwiderruflich fest, er war entschlossen, wie er selbst sagte, sein Ruheplätzchen zu verlassen, das die grenzenlose Aufopferung seines Schutzengels in ein Paradies umgeschaffen hatte.</p> <p>Er musste sich einer List bedienen, um die grossartige </p> </div> </body> </text> </TEI> [236/0260]
befinden wirst, wenn du diese Zeilen liest, die ich fern von dir aufzeichne, stehe ich meinem Schicksal gleichgültig gegenüber, und bin nur mit dem deinigen, und dem deiner Mutter beschäftigt. Halt dir immer gegenwärtig, dass nichts dir seine Dauer verbürgt. Gewöhne dich an Arbeit, denke nie egoistisch an dich und deinen Vorteil, gewöhne dich Gutes zu tun, das ist das reinste Glück, das der Mensch geniessen kann.“
Condorcet bedauerte nur deshalb sterben zu müssen, weil er dachte, seiner Frau und seiner Tochter noch nützlich sein zu können, und weil er sich von ihnen geliebt wusste. Er schrieb ihnen, er sterbe wie Sokrates, weil er seinem Vaterland gedient habe.
Die Unglücksstunde, die Condorcet seit Monaten geahnt hatte, näherte sich. Am 5. Germinal des Jahres II (25. März 1794), erfuhr Condorcet, dass am folgenden Tage bei Frau Vernet eine Haussuchung stattfinden würde. Er war entschlossen, seinen Zufluchtsort zu verlassen und sich in der Umgebung von Paris zu verstecken. Er verständigte im voraus seine Wohltäterin, aber diese schrie bestürzt auf und erhob Einsprache dagegen, worauf Condorcet ihr sagte: „Je mehr ich Ihren Mut bewundere, desto mehr gebietet mir die Pflicht als ehrlicher Mann, ihn in keiner Weise zu missbrauchen. Das Gesetz besteht. Sie sind auch vogelfrei, da Sie mir Zuflucht gewähren. Wenn man mich bei Ihnen fände, würden Sie das gleiche traurige Ende nehmen wie ich. Ich kann nicht weiter bleiben.“ Und die prächtige Frau antwortete ihm, dass der Nationalkonvent wohl das Recht habe, sie für vogelfrei, nicht aber für unmenschlich zu erklären; er habe nicht das Recht, einen Menschen ausserhalb der Menschlichkeit zu stellen. Aber Condorcets Entschluss stand unwiderruflich fest, er war entschlossen, wie er selbst sagte, sein Ruheplätzchen zu verlassen, das die grenzenlose Aufopferung seines Schutzengels in ein Paradies umgeschaffen hatte.
Er musste sich einer List bedienen, um die grossartige
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