Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.Sie musste also zu ihm gehen, ihn in seinem Hause aufsuchen, durch die besorgte Wachsamkeit derer, die ihn umgaben, hindurch eindringen. Sie musste ihn täuschen, sich unter falschem Vorwande einschleichen, das kostete sie Ueberwindung, das machte ihr Skrupel und Gewissensbisse, das verletzte die natürliche Biederkeit ihrer Seele, verwandelte den Dolch in eine Falle, den Mut in List, und die Aufopferung in Meuchelmord! Das erste Billet, das sie Marat schrieb, blieb unbeantwortet. Sie schrieb noch ein zweites, worin sich eine gewisse Ungeduld fühlbar machte und das Zunehmen der Leidenschaft deutlich zeigte. Sie ging sogar so weit, ihm zu schreiben, dass sie ihm wichtige Geheimnisse anzuvertrauen habe, dass sie verfolgt werde, dass sie unglücklich sei. Doch kam sie gar nicht dazu, das Billet abzugeben. Am 13. Juli, um 7 Uhr abends, ging sie aus, bestieg auf der "Place des Victoires" eine Lohnkutsche und fuhr in die Rue des Cordeliers Nr. 20, wo Marat wohnte. Charlotte Cordays Gesicht war weit entfernt Misstrauen einzuflössen, ganz im Gegenteil nahm ihre sittsame Tracht eines Provinzfräuleins im voraus für sie ein. Sie hatte ein weisses, einfaches Kleid an, ihr weisses Häubchen mit Spitzen umsäumt, ihre Wangen waren rosig, ihre Stimme sicher, nicht das mindeste Zeichen von Erregung. Sie ging mit festen Schritten an der Portiersfrau vorüber, die sie vergebens zurückrief. Sie bestand die wenig freundliche Musterung Katherine Evrards, die auf das Geschrei hin die Türe halbgeöffnet hatte, und die sie einzutreten hindern wollte. Diese Verhandlung wurde auch von Marat gehört. Trotzdem er im Bade sass, befahl er gebieterisch, sie eintreten zu lassen. Das Zimmer war klein und dunkel, Marat sass in einer Badewanne, mit einem Leintuch bedeckt, vor sich ein Brett der Quere nach gelegt, worauf er schrieb, man sah nur seinen Kopf und seinen rechten Arm. Ein Tuch war um seine Haare gebunden. Mit seinem mageren, knochigen Gesicht und dem breiten Mund war er von Sie musste also zu ihm gehen, ihn in seinem Hause aufsuchen, durch die besorgte Wachsamkeit derer, die ihn umgaben, hindurch eindringen. Sie musste ihn täuschen, sich unter falschem Vorwande einschleichen, das kostete sie Ueberwindung, das machte ihr Skrupel und Gewissensbisse, das verletzte die natürliche Biederkeit ihrer Seele, verwandelte den Dolch in eine Falle, den Mut in List, und die Aufopferung in Meuchelmord! Das erste Billet, das sie Marat schrieb, blieb unbeantwortet. Sie schrieb noch ein zweites, worin sich eine gewisse Ungeduld fühlbar machte und das Zunehmen der Leidenschaft deutlich zeigte. Sie ging sogar so weit, ihm zu schreiben, dass sie ihm wichtige Geheimnisse anzuvertrauen habe, dass sie verfolgt werde, dass sie unglücklich sei. Doch kam sie gar nicht dazu, das Billet abzugeben. Am 13. Juli, um 7 Uhr abends, ging sie aus, bestieg auf der „Place des Victoires“ eine Lohnkutsche und fuhr in die Rue des Cordeliers Nr. 20, wo Marat wohnte. Charlotte Cordays Gesicht war weit entfernt Misstrauen einzuflössen, ganz im Gegenteil nahm ihre sittsame Tracht eines Provinzfräuleins im voraus für sie ein. Sie hatte ein weisses, einfaches Kleid an, ihr weisses Häubchen mit Spitzen umsäumt, ihre Wangen waren rosig, ihre Stimme sicher, nicht das mindeste Zeichen von Erregung. Sie ging mit festen Schritten an der Portiersfrau vorüber, die sie vergebens zurückrief. Sie bestand die wenig freundliche Musterung Katherine Evrards, die auf das Geschrei hin die Türe halbgeöffnet hatte, und die sie einzutreten hindern wollte. Diese Verhandlung wurde auch von Marat gehört. Trotzdem er im Bade sass, befahl er gebieterisch, sie eintreten zu lassen. Das Zimmer war klein und dunkel, Marat sass in einer Badewanne, mit einem Leintuch bedeckt, vor sich ein Brett der Quere nach gelegt, worauf er schrieb, man sah nur seinen Kopf und seinen rechten Arm. Ein Tuch war um seine Haare gebunden. Mit seinem mageren, knochigen Gesicht und dem breiten Mund war er von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0050" n="32"/> <p> Sie musste also zu ihm gehen, ihn in seinem Hause aufsuchen, durch die besorgte Wachsamkeit derer, die ihn umgaben, hindurch eindringen. Sie musste ihn täuschen, sich unter falschem Vorwande einschleichen, das kostete sie Ueberwindung, das machte ihr Skrupel und Gewissensbisse, das verletzte die natürliche Biederkeit ihrer Seele, verwandelte den Dolch in eine Falle, den Mut in List, und die Aufopferung in Meuchelmord!</p> <p>Das erste Billet, das sie Marat schrieb, blieb unbeantwortet. Sie schrieb noch ein zweites, worin sich eine gewisse Ungeduld fühlbar machte und das Zunehmen der Leidenschaft deutlich zeigte. Sie ging sogar so weit, ihm zu schreiben, dass sie ihm wichtige Geheimnisse anzuvertrauen habe, dass sie verfolgt werde, dass sie unglücklich sei. Doch kam sie gar nicht dazu, das Billet abzugeben.</p> <p>Am 13. Juli, um 7 Uhr abends, ging sie aus, bestieg auf der „Place des Victoires“ eine Lohnkutsche und fuhr in die Rue des Cordeliers Nr. 20, wo Marat wohnte.</p> <p>Charlotte Cordays Gesicht war weit entfernt Misstrauen einzuflössen, ganz im Gegenteil nahm ihre sittsame Tracht eines Provinzfräuleins im voraus für sie ein. Sie hatte ein weisses, einfaches Kleid an, ihr weisses Häubchen mit Spitzen umsäumt, ihre Wangen waren rosig, ihre Stimme sicher, nicht das mindeste Zeichen von Erregung.</p> <p>Sie ging mit festen Schritten an der Portiersfrau vorüber, die sie vergebens zurückrief. Sie bestand die wenig freundliche Musterung Katherine Evrards, die auf das Geschrei hin die Türe halbgeöffnet hatte, und die sie einzutreten hindern wollte. Diese Verhandlung wurde auch von Marat gehört. Trotzdem er im Bade sass, befahl er gebieterisch, sie eintreten zu lassen. Das Zimmer war klein und dunkel, Marat sass in einer Badewanne, mit einem Leintuch bedeckt, vor sich ein Brett der Quere nach gelegt, worauf er schrieb, man sah nur seinen Kopf und seinen rechten Arm. Ein Tuch war um seine Haare gebunden. Mit seinem mageren, knochigen Gesicht und dem breiten Mund war er von </p> </div> </body> </text> </TEI> [32/0050]
Sie musste also zu ihm gehen, ihn in seinem Hause aufsuchen, durch die besorgte Wachsamkeit derer, die ihn umgaben, hindurch eindringen. Sie musste ihn täuschen, sich unter falschem Vorwande einschleichen, das kostete sie Ueberwindung, das machte ihr Skrupel und Gewissensbisse, das verletzte die natürliche Biederkeit ihrer Seele, verwandelte den Dolch in eine Falle, den Mut in List, und die Aufopferung in Meuchelmord!
Das erste Billet, das sie Marat schrieb, blieb unbeantwortet. Sie schrieb noch ein zweites, worin sich eine gewisse Ungeduld fühlbar machte und das Zunehmen der Leidenschaft deutlich zeigte. Sie ging sogar so weit, ihm zu schreiben, dass sie ihm wichtige Geheimnisse anzuvertrauen habe, dass sie verfolgt werde, dass sie unglücklich sei. Doch kam sie gar nicht dazu, das Billet abzugeben.
Am 13. Juli, um 7 Uhr abends, ging sie aus, bestieg auf der „Place des Victoires“ eine Lohnkutsche und fuhr in die Rue des Cordeliers Nr. 20, wo Marat wohnte.
Charlotte Cordays Gesicht war weit entfernt Misstrauen einzuflössen, ganz im Gegenteil nahm ihre sittsame Tracht eines Provinzfräuleins im voraus für sie ein. Sie hatte ein weisses, einfaches Kleid an, ihr weisses Häubchen mit Spitzen umsäumt, ihre Wangen waren rosig, ihre Stimme sicher, nicht das mindeste Zeichen von Erregung.
Sie ging mit festen Schritten an der Portiersfrau vorüber, die sie vergebens zurückrief. Sie bestand die wenig freundliche Musterung Katherine Evrards, die auf das Geschrei hin die Türe halbgeöffnet hatte, und die sie einzutreten hindern wollte. Diese Verhandlung wurde auch von Marat gehört. Trotzdem er im Bade sass, befahl er gebieterisch, sie eintreten zu lassen. Das Zimmer war klein und dunkel, Marat sass in einer Badewanne, mit einem Leintuch bedeckt, vor sich ein Brett der Quere nach gelegt, worauf er schrieb, man sah nur seinen Kopf und seinen rechten Arm. Ein Tuch war um seine Haare gebunden. Mit seinem mageren, knochigen Gesicht und dem breiten Mund war er von
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