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Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.

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Anfang bis zum Ende erzählen zu machen. Die Gemütsbewegung und das entsetzte Aussehen der Mutter drückten sie voll Schmerz nieder. Die gute Frau war verzweifelt, als sie bemerkte, wie nahe sie daran gewesen war, die Früchte ihrer Sorgfalt zu verlieren; vielleicht überkam sie auch die Angst, dass die Tochter ihr etwas verbarg; sie stellte tausenderlei verhüllte Fragen, um ihr nicht mehr zu sagen als sie bereits wusste, und gleichzeitig um sich zu versichern, dass Manon nicht mehr darüber unterrichtet sei, als es den Anschein hatte.

Frau Phlipon benützte sehr geschickt den Widerwillen und die natürliche Schamhaftigkeit, die ihre Tochter bei diesem traurigen Vorgang empfunden hatte, um die eine und die andere ihrer Empfindungen bis zum höchsten Grade zu steigern, sie stellte es als einen Fehler hin, dass Manon ihr die Sache so lange habe verheimlichen können und diese unerhörte Ausschreitung des jungen Mannes so leicht zu nehmen schien. Sie unterliess es nicht, dieses Benehmen in so fürchterlichen Farben zu schildern, dass sich das Kind für verloren hielt. Religion, Tugend, Ehre, Ruf, alles benützte sie als Mittel, auf sie einzuwirken, mit dem Eifer einer erfüllten Seele und der Zärtlichkeit eines mütterlichen Herzens, eines Herzens wie des ihren. Sie wollte die Gefahr, der ihre Tochter ausgesetzt war, als sicherstes Schutzmittel gegen ähnliche für die Folge ausnützen. Sie brachte es dahin, dass Manon sich für die Schuldbeladenste unter allen Menschen hielt! Sie fand keine Ruhe, bis sie es durchsetzte, dass die Mutter sie zur Beichte führte. Das arme Kind fand es entsetzlich, derartige Dinge erzählen zu müssen, aber der Gedanke, dass dies ein Mittel der Sühne sei, veranlasste sie wohl oder übel es zu benützen, und der Mut sich dazu zu entschliessen, flösste ihr eine beruhigende Stärke ein. Von jenem Augenblick an beherrschten sie die religiösen Ideen. Die Frömmigkeit, in die Manon verfiel, veränderten sie seltsam. Eine tiefe Demut, eine unbeschreibliche Schüchternheit kam über sie.

Anfang bis zum Ende erzählen zu machen. Die Gemütsbewegung und das entsetzte Aussehen der Mutter drückten sie voll Schmerz nieder. Die gute Frau war verzweifelt, als sie bemerkte, wie nahe sie daran gewesen war, die Früchte ihrer Sorgfalt zu verlieren; vielleicht überkam sie auch die Angst, dass die Tochter ihr etwas verbarg; sie stellte tausenderlei verhüllte Fragen, um ihr nicht mehr zu sagen als sie bereits wusste, und gleichzeitig um sich zu versichern, dass Manon nicht mehr darüber unterrichtet sei, als es den Anschein hatte.

Frau Phlipon benützte sehr geschickt den Widerwillen und die natürliche Schamhaftigkeit, die ihre Tochter bei diesem traurigen Vorgang empfunden hatte, um die eine und die andere ihrer Empfindungen bis zum höchsten Grade zu steigern, sie stellte es als einen Fehler hin, dass Manon ihr die Sache so lange habe verheimlichen können und diese unerhörte Ausschreitung des jungen Mannes so leicht zu nehmen schien. Sie unterliess es nicht, dieses Benehmen in so fürchterlichen Farben zu schildern, dass sich das Kind für verloren hielt. Religion, Tugend, Ehre, Ruf, alles benützte sie als Mittel, auf sie einzuwirken, mit dem Eifer einer erfüllten Seele und der Zärtlichkeit eines mütterlichen Herzens, eines Herzens wie des ihren. Sie wollte die Gefahr, der ihre Tochter ausgesetzt war, als sicherstes Schutzmittel gegen ähnliche für die Folge ausnützen. Sie brachte es dahin, dass Manon sich für die Schuldbeladenste unter allen Menschen hielt! Sie fand keine Ruhe, bis sie es durchsetzte, dass die Mutter sie zur Beichte führte. Das arme Kind fand es entsetzlich, derartige Dinge erzählen zu müssen, aber der Gedanke, dass dies ein Mittel der Sühne sei, veranlasste sie wohl oder übel es zu benützen, und der Mut sich dazu zu entschliessen, flösste ihr eine beruhigende Stärke ein. Von jenem Augenblick an beherrschten sie die religiösen Ideen. Die Frömmigkeit, in die Manon verfiel, veränderten sie seltsam. Eine tiefe Demut, eine unbeschreibliche Schüchternheit kam über sie.

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Anfang bis zum Ende erzählen zu machen. Die Gemütsbewegung und das entsetzte Aussehen der Mutter drückten sie voll Schmerz nieder. Die gute Frau war verzweifelt, als sie bemerkte, wie nahe sie daran gewesen war, die Früchte ihrer Sorgfalt zu verlieren; vielleicht überkam sie auch die Angst, dass die Tochter ihr etwas verbarg; sie stellte tausenderlei verhüllte Fragen, um ihr nicht mehr zu sagen als sie bereits wusste, und gleichzeitig um sich zu versichern, dass Manon nicht mehr darüber unterrichtet sei, als es den Anschein hatte.</p>
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[65/0084] Anfang bis zum Ende erzählen zu machen. Die Gemütsbewegung und das entsetzte Aussehen der Mutter drückten sie voll Schmerz nieder. Die gute Frau war verzweifelt, als sie bemerkte, wie nahe sie daran gewesen war, die Früchte ihrer Sorgfalt zu verlieren; vielleicht überkam sie auch die Angst, dass die Tochter ihr etwas verbarg; sie stellte tausenderlei verhüllte Fragen, um ihr nicht mehr zu sagen als sie bereits wusste, und gleichzeitig um sich zu versichern, dass Manon nicht mehr darüber unterrichtet sei, als es den Anschein hatte. Frau Phlipon benützte sehr geschickt den Widerwillen und die natürliche Schamhaftigkeit, die ihre Tochter bei diesem traurigen Vorgang empfunden hatte, um die eine und die andere ihrer Empfindungen bis zum höchsten Grade zu steigern, sie stellte es als einen Fehler hin, dass Manon ihr die Sache so lange habe verheimlichen können und diese unerhörte Ausschreitung des jungen Mannes so leicht zu nehmen schien. Sie unterliess es nicht, dieses Benehmen in so fürchterlichen Farben zu schildern, dass sich das Kind für verloren hielt. Religion, Tugend, Ehre, Ruf, alles benützte sie als Mittel, auf sie einzuwirken, mit dem Eifer einer erfüllten Seele und der Zärtlichkeit eines mütterlichen Herzens, eines Herzens wie des ihren. Sie wollte die Gefahr, der ihre Tochter ausgesetzt war, als sicherstes Schutzmittel gegen ähnliche für die Folge ausnützen. Sie brachte es dahin, dass Manon sich für die Schuldbeladenste unter allen Menschen hielt! Sie fand keine Ruhe, bis sie es durchsetzte, dass die Mutter sie zur Beichte führte. Das arme Kind fand es entsetzlich, derartige Dinge erzählen zu müssen, aber der Gedanke, dass dies ein Mittel der Sühne sei, veranlasste sie wohl oder übel es zu benützen, und der Mut sich dazu zu entschliessen, flösste ihr eine beruhigende Stärke ein. Von jenem Augenblick an beherrschten sie die religiösen Ideen. Die Frömmigkeit, in die Manon verfiel, veränderten sie seltsam. Eine tiefe Demut, eine unbeschreibliche Schüchternheit kam über sie.

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Zitationshilfe: Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906/84>, abgerufen am 24.11.2024.