Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.Eifer und Talent entzückt und beschäftigten sich mit ihrem Unterricht auch ausserhalb der obligaten Stunden. Sie brachte es dazu, die Erste zu werden, und fand noch immer freie Zeit, weil sie fleissig war und keinen Augenblick verlor. In den Erholungsstunden und auf den Spaziergängen lief sie nicht scherzend mit den andern, sie zog sich meist einsam mit einem Buche unter den Schatten eines Baumes zurück. Sie liebte und bewunderte die Natur, es überkam sie dort, wie in der Kirche, eine heilige Empfindung der Dankbarkeit für den Schöpfer all dieser Herrlichkeiten. Es waren bereits einige Monate vergangen, seit Manon innerhalb der stillen Klostermauern lebte. Die Eltern besuchten sie bloss des Sonntags und nahmen sie zu einem Spaziergang mit. Beim Abschied gab es regelmässig Thränen, die sich aber nicht etwa auf ihre Lage bezogen, sondern nur einzig der Zärtlichkeit galten, die sie für ihre Eltern empfand. Wenn sie dann durch die stillen Gänge schritt, hielt sie oft inne, um die Einsamkeit recht zu geniessen, oder sie blieb vor dem Grabe irgend einer frommen Nonne stehen und las das Lob, das auf dem Leichenstein eingegraben war. Dann konnte das kleine Mädchen tief aufseufzen, und fand die Todte beneidenswert in ihrer ewigen Glückseligkeit! Diese melancholische Anwandlung entbehrte nicht des Reizes, auch sie hoffte sich diese Seligkeit, nach der sie Verlangen fühlte, zu erringen. Zwei neue Schülerinnen kamen von Amiens ins Kloster, es waren dies die Schwestern Cannet, mit denen Madame Roland bis zu ihrem Tode in aufrichtiger Freundschaft verbunden blieb. Trotzdem die Eine bereits achtzehn und und die andere vierzehn Jahr alt war, hinderte sie dieser Altersunterschied nicht, mit Manon ganz auf gleich und gleich zu verkehren. Darin glichen sich alle Schülerinnen, dass sie Manon gerne ausfragten und sie zum Reden brachten, aber dies wurde nicht allen leicht gemacht. Wirklich mitteilsam konnte sie nur ihren wirklichen Freundinnen gegenüber sein, andere konnten sie nur erraten, und nur Eifer und Talent entzückt und beschäftigten sich mit ihrem Unterricht auch ausserhalb der obligaten Stunden. Sie brachte es dazu, die Erste zu werden, und fand noch immer freie Zeit, weil sie fleissig war und keinen Augenblick verlor. In den Erholungsstunden und auf den Spaziergängen lief sie nicht scherzend mit den andern, sie zog sich meist einsam mit einem Buche unter den Schatten eines Baumes zurück. Sie liebte und bewunderte die Natur, es überkam sie dort, wie in der Kirche, eine heilige Empfindung der Dankbarkeit für den Schöpfer all dieser Herrlichkeiten. Es waren bereits einige Monate vergangen, seit Manon innerhalb der stillen Klostermauern lebte. Die Eltern besuchten sie bloss des Sonntags und nahmen sie zu einem Spaziergang mit. Beim Abschied gab es regelmässig Thränen, die sich aber nicht etwa auf ihre Lage bezogen, sondern nur einzig der Zärtlichkeit galten, die sie für ihre Eltern empfand. Wenn sie dann durch die stillen Gänge schritt, hielt sie oft inne, um die Einsamkeit recht zu geniessen, oder sie blieb vor dem Grabe irgend einer frommen Nonne stehen und las das Lob, das auf dem Leichenstein eingegraben war. Dann konnte das kleine Mädchen tief aufseufzen, und fand die Todte beneidenswert in ihrer ewigen Glückseligkeit! Diese melancholische Anwandlung entbehrte nicht des Reizes, auch sie hoffte sich diese Seligkeit, nach der sie Verlangen fühlte, zu erringen. Zwei neue Schülerinnen kamen von Amiens ins Kloster, es waren dies die Schwestern Cannet, mit denen Madame Roland bis zu ihrem Tode in aufrichtiger Freundschaft verbunden blieb. Trotzdem die Eine bereits achtzehn und und die andere vierzehn Jahr alt war, hinderte sie dieser Altersunterschied nicht, mit Manon ganz auf gleich und gleich zu verkehren. Darin glichen sich alle Schülerinnen, dass sie Manon gerne ausfragten und sie zum Reden brachten, aber dies wurde nicht allen leicht gemacht. Wirklich mitteilsam konnte sie nur ihren wirklichen Freundinnen gegenüber sein, andere konnten sie nur erraten, und nur <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0087" n="68"/> Eifer und Talent entzückt und beschäftigten sich mit ihrem Unterricht auch ausserhalb der obligaten Stunden. Sie brachte es dazu, die Erste zu werden, und fand noch immer freie Zeit, weil sie fleissig war und keinen Augenblick verlor. In den Erholungsstunden und auf den Spaziergängen lief sie nicht scherzend mit den andern, sie zog sich meist einsam mit einem Buche unter den Schatten eines Baumes zurück. Sie liebte und bewunderte die Natur, es überkam sie dort, wie in der Kirche, eine heilige Empfindung der Dankbarkeit für den Schöpfer all dieser Herrlichkeiten.</p> <p>Es waren bereits einige Monate vergangen, seit Manon innerhalb der stillen Klostermauern lebte. Die Eltern besuchten sie bloss des Sonntags und nahmen sie zu einem Spaziergang mit. Beim Abschied gab es regelmässig Thränen, die sich aber nicht etwa auf ihre Lage bezogen, sondern nur einzig der Zärtlichkeit galten, die sie für ihre Eltern empfand. Wenn sie dann durch die stillen Gänge schritt, hielt sie oft inne, um die Einsamkeit recht zu geniessen, oder sie blieb vor dem Grabe irgend einer frommen Nonne stehen und las das Lob, das auf dem Leichenstein eingegraben war. Dann konnte das kleine Mädchen tief aufseufzen, und fand die Todte beneidenswert in ihrer ewigen Glückseligkeit! Diese melancholische Anwandlung entbehrte nicht des Reizes, auch sie hoffte sich diese Seligkeit, nach der sie Verlangen fühlte, zu erringen.</p> <p>Zwei neue Schülerinnen kamen von Amiens ins Kloster, es waren dies die Schwestern Cannet, mit denen Madame Roland bis zu ihrem Tode in aufrichtiger Freundschaft verbunden blieb. Trotzdem die Eine bereits achtzehn und und die andere vierzehn Jahr alt war, hinderte sie dieser Altersunterschied nicht, mit Manon ganz auf gleich und gleich zu verkehren. Darin glichen sich alle Schülerinnen, dass sie Manon gerne ausfragten und sie zum Reden brachten, aber dies wurde nicht allen leicht gemacht. Wirklich mitteilsam konnte sie nur ihren wirklichen Freundinnen gegenüber sein, andere konnten sie nur erraten, und nur </p> </div> </body> </text> </TEI> [68/0087]
Eifer und Talent entzückt und beschäftigten sich mit ihrem Unterricht auch ausserhalb der obligaten Stunden. Sie brachte es dazu, die Erste zu werden, und fand noch immer freie Zeit, weil sie fleissig war und keinen Augenblick verlor. In den Erholungsstunden und auf den Spaziergängen lief sie nicht scherzend mit den andern, sie zog sich meist einsam mit einem Buche unter den Schatten eines Baumes zurück. Sie liebte und bewunderte die Natur, es überkam sie dort, wie in der Kirche, eine heilige Empfindung der Dankbarkeit für den Schöpfer all dieser Herrlichkeiten.
Es waren bereits einige Monate vergangen, seit Manon innerhalb der stillen Klostermauern lebte. Die Eltern besuchten sie bloss des Sonntags und nahmen sie zu einem Spaziergang mit. Beim Abschied gab es regelmässig Thränen, die sich aber nicht etwa auf ihre Lage bezogen, sondern nur einzig der Zärtlichkeit galten, die sie für ihre Eltern empfand. Wenn sie dann durch die stillen Gänge schritt, hielt sie oft inne, um die Einsamkeit recht zu geniessen, oder sie blieb vor dem Grabe irgend einer frommen Nonne stehen und las das Lob, das auf dem Leichenstein eingegraben war. Dann konnte das kleine Mädchen tief aufseufzen, und fand die Todte beneidenswert in ihrer ewigen Glückseligkeit! Diese melancholische Anwandlung entbehrte nicht des Reizes, auch sie hoffte sich diese Seligkeit, nach der sie Verlangen fühlte, zu erringen.
Zwei neue Schülerinnen kamen von Amiens ins Kloster, es waren dies die Schwestern Cannet, mit denen Madame Roland bis zu ihrem Tode in aufrichtiger Freundschaft verbunden blieb. Trotzdem die Eine bereits achtzehn und und die andere vierzehn Jahr alt war, hinderte sie dieser Altersunterschied nicht, mit Manon ganz auf gleich und gleich zu verkehren. Darin glichen sich alle Schülerinnen, dass sie Manon gerne ausfragten und sie zum Reden brachten, aber dies wurde nicht allen leicht gemacht. Wirklich mitteilsam konnte sie nur ihren wirklichen Freundinnen gegenüber sein, andere konnten sie nur erraten, und nur
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