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Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100.

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die Festigkeit in den schönen, ausdrucksvollen Gesich-
tern. Die Erinnerung hatte eben so wenig Gewalt
über sie, als die trübe Aussicht. Sie wußten, was sie
zu thun hatten. Da war kein Zweifel, kein Schwan-
ken; sie hätten darauf den Tod genommen. Aber kein
Strahl des Trostes in den Augen des Mannes, in den
Augen der schönen Frau.

Jch stand auf meine Büchse gelehnt und schau-
derte. Da, fühlte ich, erblüht kein stilles Glück. De-
labelle bemerkte mich. Ein Gedanke durchzuckte ihn,
und plötzlich stand er mir zur Seite. Der Argwohn
lag auf den Augenbrauen der gigantischen Gestalt. Sein
finstres Auge suchte abwechselnd in meinem Gesichte
zu lesen, abwechselnd musterte er den Fluß und sein
schroffes Ufer, an dem ich stand. Ein Stoß von sei-
ner Faust hätte den kaum Genesenen hinabgeworfen.
Adelaide mochte einen schnellen Entschluß fürchten, sie
eilte herbei und flüsterte, Delabelle umfassend, ihm zu:
"Laß ihn; der verräth nichts."

"Kind, Du hast mehr erfahren, als Männer wis-
sen dürfen," murmelte er zwischen den Zähnen.

"Und wenn es seyn muß, trete ich als Zeuge vor
Jhren Assisen auf," entgegnete ich.

Er lachte tief auf: "Jch wähle einen kürzern
Prozeß, wo es keiner Assisen braucht. Jhre Zunge,
junger Freund, ist hier zur Gerechtigkeit so überflüssig,

die Feſtigkeit in den ſchönen, ausdrucksvollen Geſich-
tern. Die Erinnerung hatte eben ſo wenig Gewalt
über ſie, als die trübe Ausſicht. Sie wußten, was ſie
zu thun hatten. Da war kein Zweifel, kein Schwan-
ken; ſie hätten darauf den Tod genommen. Aber kein
Strahl des Troſtes in den Augen des Mannes, in den
Augen der ſchönen Frau.

Jch ſtand auf meine Büchſe gelehnt und ſchau-
derte. Da, fühlte ich, erblüht kein ſtilles Glück. De-
labelle bemerkte mich. Ein Gedanke durchzuckte ihn,
und plötzlich ſtand er mir zur Seite. Der Argwohn
lag auf den Augenbrauen der gigantiſchen Geſtalt. Sein
finſtres Auge ſuchte abwechſelnd in meinem Geſichte
zu leſen, abwechſelnd muſterte er den Fluß und ſein
ſchroffes Ufer, an dem ich ſtand. Ein Stoß von ſei-
ner Fauſt hätte den kaum Geneſenen hinabgeworfen.
Adelaide mochte einen ſchnellen Entſchluß fürchten, ſie
eilte herbei und flüſterte, Delabelle umfaſſend, ihm zu:
„Laß ihn; der verräth nichts.“

„Kind, Du haſt mehr erfahren, als Männer wiſ-
ſen dürfen,“ murmelte er zwiſchen den Zähnen.

„Und wenn es ſeyn muß, trete ich als Zeuge vor
Jhren Aſſiſen auf,“ entgegnete ich.

Er lachte tief auf: „Jch wähle einen kürzern
Prozeß, wo es keiner Aſſiſen braucht. Jhre Zunge,
junger Freund, iſt hier zur Gerechtigkeit ſo überflüſſig,

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[0100] die Feſtigkeit in den ſchönen, ausdrucksvollen Geſich- tern. Die Erinnerung hatte eben ſo wenig Gewalt über ſie, als die trübe Ausſicht. Sie wußten, was ſie zu thun hatten. Da war kein Zweifel, kein Schwan- ken; ſie hätten darauf den Tod genommen. Aber kein Strahl des Troſtes in den Augen des Mannes, in den Augen der ſchönen Frau. Jch ſtand auf meine Büchſe gelehnt und ſchau- derte. Da, fühlte ich, erblüht kein ſtilles Glück. De- labelle bemerkte mich. Ein Gedanke durchzuckte ihn, und plötzlich ſtand er mir zur Seite. Der Argwohn lag auf den Augenbrauen der gigantiſchen Geſtalt. Sein finſtres Auge ſuchte abwechſelnd in meinem Geſichte zu leſen, abwechſelnd muſterte er den Fluß und ſein ſchroffes Ufer, an dem ich ſtand. Ein Stoß von ſei- ner Fauſt hätte den kaum Geneſenen hinabgeworfen. Adelaide mochte einen ſchnellen Entſchluß fürchten, ſie eilte herbei und flüſterte, Delabelle umfaſſend, ihm zu: „Laß ihn; der verräth nichts.“ „Kind, Du haſt mehr erfahren, als Männer wiſ- ſen dürfen,“ murmelte er zwiſchen den Zähnen. „Und wenn es ſeyn muß, trete ich als Zeuge vor Jhren Aſſiſen auf,“ entgegnete ich. Er lachte tief auf: „Jch wähle einen kürzern Prozeß, wo es keiner Aſſiſen braucht. Jhre Zunge, junger Freund, iſt hier zur Gerechtigkeit ſo überflüſſig,

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/100>, abgerufen am 20.04.2024.