Sterbenden von ihren Schultern ab. Jch trat näher, -- und der Mond beleuchtete ***'s sterbende Züge. Er sah mich noch einmal heftig an, drückte krampfhaft meine Hand, öffnete den Mund, als wolle er sprechen, aber es war nur um den letzten Athem auszuhauchen. Eh ich ihm eine Thräne weinen konnte, wurde ich zu meinem Posten abgerufen.
Mit mehr Seelenangst, als vielleicht einem Sol- daten erlaubt ist, wartete ich meine vier Stunden auf dem einsamen Posten ab. Regenwolken waren herüber- gezogen, der Mond war untergegangen. Am Himmel glänzte auch nicht ein einziger Stern, und ein kalter Regen schien mir oft bis in die Adern zu dringen. Wenn sich ein Strauch bewegte, oder eine Feldmaus an den Wurzeln nagte, war ich auf die furchtbare Er- scheinung gefaßt, die mich wie meinen Freund ermor- den wollte. Der blutende *** schwebte vorüber an den über den Fluß getriebenen Wolken; er öffnete den Mund und wollte sprechen, aber die Wolke zerfloß beim nächsten Windstoß. Es war wie ausgemacht bei mir, daß ihm der Terrorist, -- so nannte ich das Schreckbild -- hin- ter den Hecken den Todesschuß versetzt, weil *** mehr von ihm wußte, als ihm lieb war; und diese Phanta- sie hat mich Jahre lang nicht verlassen, obgleich darü- ber nie auch nur Wahrscheinliches zu Tage gekommen ist. Jch hielt den Athem an und den Finger am Drük-
Sterbenden von ihren Schultern ab. Jch trat näher, — und der Mond beleuchtete ***’s ſterbende Züge. Er ſah mich noch einmal heftig an, drückte krampfhaft meine Hand, öffnete den Mund, als wolle er ſprechen, aber es war nur um den letzten Athem auszuhauchen. Eh ich ihm eine Thräne weinen konnte, wurde ich zu meinem Poſten abgerufen.
Mit mehr Seelenangſt, als vielleicht einem Sol- daten erlaubt iſt, wartete ich meine vier Stunden auf dem einſamen Poſten ab. Regenwolken waren herüber- gezogen, der Mond war untergegangen. Am Himmel glänzte auch nicht ein einziger Stern, und ein kalter Regen ſchien mir oft bis in die Adern zu dringen. Wenn ſich ein Strauch bewegte, oder eine Feldmaus an den Wurzeln nagte, war ich auf die furchtbare Er- ſcheinung gefaßt, die mich wie meinen Freund ermor- den wollte. Der blutende *** ſchwebte vorüber an den über den Fluß getriebenen Wolken; er öffnete den Mund und wollte ſprechen, aber die Wolke zerfloß beim nächſten Windſtoß. Es war wie ausgemacht bei mir, daß ihm der Terroriſt, — ſo nannte ich das Schreckbild — hin- ter den Hecken den Todesſchuß verſetzt, weil *** mehr von ihm wußte, als ihm lieb war; und dieſe Phanta- ſie hat mich Jahre lang nicht verlaſſen, obgleich darü- ber nie auch nur Wahrſcheinliches zu Tage gekommen iſt. Jch hielt den Athem an und den Finger am Drük-
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0018"/>
Sterbenden von ihren Schultern ab. Jch trat näher, —<lb/>
und der Mond beleuchtete ***’s ſterbende Züge. Er<lb/>ſah mich noch einmal heftig an, drückte krampfhaft<lb/>
meine Hand, öffnete den Mund, als wolle er ſprechen,<lb/>
aber es war nur um den letzten Athem auszuhauchen.<lb/>
Eh ich ihm eine Thräne weinen konnte, wurde ich<lb/>
zu meinem Poſten abgerufen.</p><lb/><p>Mit mehr Seelenangſt, als vielleicht einem Sol-<lb/>
daten erlaubt iſt, wartete ich meine vier Stunden auf<lb/>
dem einſamen Poſten ab. Regenwolken waren herüber-<lb/>
gezogen, der Mond war untergegangen. Am Himmel<lb/>
glänzte auch nicht ein einziger Stern, und ein kalter<lb/>
Regen ſchien mir oft bis in die Adern zu dringen.<lb/>
Wenn ſich ein Strauch bewegte, oder eine Feldmaus<lb/>
an den Wurzeln nagte, war ich auf die furchtbare Er-<lb/>ſcheinung gefaßt, die mich wie meinen Freund ermor-<lb/>
den wollte. Der blutende *** ſchwebte vorüber an<lb/>
den über den Fluß getriebenen Wolken; er öffnete den<lb/>
Mund und wollte ſprechen, aber die Wolke zerfloß beim<lb/>
nächſten Windſtoß. Es war wie ausgemacht bei mir, daß<lb/>
ihm der Terroriſt, —ſo nannte ich das Schreckbild — hin-<lb/>
ter den Hecken den Todesſchuß verſetzt, weil *** mehr<lb/>
von ihm wußte, als ihm lieb war; und dieſe Phanta-<lb/>ſie hat mich Jahre lang nicht verlaſſen, obgleich darü-<lb/>
ber nie auch nur Wahrſcheinliches zu Tage gekommen<lb/>
iſt. Jch hielt den Athem an und den Finger am<lb/><hirendition="#right">Drük-</hi><lb/></p></div></body></text></TEI>
[0018]
Sterbenden von ihren Schultern ab. Jch trat näher, —
und der Mond beleuchtete ***’s ſterbende Züge. Er
ſah mich noch einmal heftig an, drückte krampfhaft
meine Hand, öffnete den Mund, als wolle er ſprechen,
aber es war nur um den letzten Athem auszuhauchen.
Eh ich ihm eine Thräne weinen konnte, wurde ich
zu meinem Poſten abgerufen.
Mit mehr Seelenangſt, als vielleicht einem Sol-
daten erlaubt iſt, wartete ich meine vier Stunden auf
dem einſamen Poſten ab. Regenwolken waren herüber-
gezogen, der Mond war untergegangen. Am Himmel
glänzte auch nicht ein einziger Stern, und ein kalter
Regen ſchien mir oft bis in die Adern zu dringen.
Wenn ſich ein Strauch bewegte, oder eine Feldmaus
an den Wurzeln nagte, war ich auf die furchtbare Er-
ſcheinung gefaßt, die mich wie meinen Freund ermor-
den wollte. Der blutende *** ſchwebte vorüber an
den über den Fluß getriebenen Wolken; er öffnete den
Mund und wollte ſprechen, aber die Wolke zerfloß beim
nächſten Windſtoß. Es war wie ausgemacht bei mir, daß
ihm der Terroriſt, — ſo nannte ich das Schreckbild — hin-
ter den Hecken den Todesſchuß verſetzt, weil *** mehr
von ihm wußte, als ihm lieb war; und dieſe Phanta-
ſie hat mich Jahre lang nicht verlaſſen, obgleich darü-
ber nie auch nur Wahrſcheinliches zu Tage gekommen
iſt. Jch hielt den Athem an und den Finger am
Drük-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Andreas Hungeling / https://www.stimm-los.de/: Bereitstellung der Texttranskription.
(2020-07-16T12:57:05Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2020-07-16T12:57:05Z)
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: nicht übernommen;
Druckfehler: dokumentiert;
fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
i/j in Fraktur: keine Angabe;
Kolumnentitel: keine Angabe;
Kustoden: gekennzeichnet;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: dokumentiert;
rundes r (ꝛ): keine Angabe;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: wie Vorlage;
u/v bzw. U/V: keine Angabe;
Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: DTABf-getreu;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/18>, abgerufen am 24.09.2023.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2023. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.