Wildniß! Die heitere Herbstluft spielte oben in den Gin- stersträuchen. Die Tollheit des Gedankens, um schlechte Waldbeeren, die selbst der französische Bauer nicht essen mag, vielleicht feindlichen Vorposten in die Hände zu laufen, hatte etwas Berauschendes. Jch hätte heut mö- gen Givet stürmen. Der todte Freund war vergessen. Mit einem Male öffnete sich der Grund links vor mir; hoch auf dem violetten Schieferfelsen lag der Mont- d'or, ein Außenwerk, und vor mir rauchten die Schorn- steine von Givet. Zugleich aber lachten mich zu bei- den Seiten die reichsten Brombeerstauden an. Es war mir, als müsse man mich aus der Stadt, da diese so offen vor mir lag, eben so gut bemerken, als ich jene, und ich verbarg mich, ähnlich den Kindern, welche die Augen zudrücken, wenn sie gesehen zu werden fürchten, in die Gesträuche. Bald indessen war diese Besorgniß überwunden; ich pflückte desto eifriger, so daß mein Geschirr hochaufgefüllt war, als die Abenddämmerung anfangen wollte. Eben war ich im Begriff aufzustehn, als ich im Gebüsche hinter mir Fußtritte vernahm, und ein Franzose aus dem Grunde hervor der Stadt zueilte. Jch brauchte mich nicht lange zu besinnen; es war derselbe, dessen Andenken kaum die Brombeeren in mir verdrängt hatten. Mit einem Male hielt er inne, und sah sich nach allen Gegenden um. Jch ver- wünschte, daß ich kein Gewehr bei mir hatte. Plötzlich
Wildniß! Die heitere Herbſtluft ſpielte oben in den Gin- ſterſträuchen. Die Tollheit des Gedankens, um ſchlechte Waldbeeren, die ſelbſt der franzöſiſche Bauer nicht eſſen mag, vielleicht feindlichen Vorpoſten in die Hände zu laufen, hatte etwas Berauſchendes. Jch hätte heut mö- gen Givet ſtürmen. Der todte Freund war vergeſſen. Mit einem Male öffnete ſich der Grund links vor mir; hoch auf dem violetten Schieferfelſen lag der Mont- d’or, ein Außenwerk, und vor mir rauchten die Schorn- ſteine von Givet. Zugleich aber lachten mich zu bei- den Seiten die reichſten Brombeerſtauden an. Es war mir, als müſſe man mich aus der Stadt, da dieſe ſo offen vor mir lag, eben ſo gut bemerken, als ich jene, und ich verbarg mich, ähnlich den Kindern, welche die Augen zudrücken, wenn ſie geſehen zu werden fürchten, in die Geſträuche. Bald indeſſen war dieſe Beſorgniß überwunden; ich pflückte deſto eifriger, ſo daß mein Geſchirr hochaufgefüllt war, als die Abenddämmerung anfangen wollte. Eben war ich im Begriff aufzuſtehn, als ich im Gebüſche hinter mir Fußtritte vernahm, und ein Franzoſe aus dem Grunde hervor der Stadt zueilte. Jch brauchte mich nicht lange zu beſinnen; es war derſelbe, deſſen Andenken kaum die Brombeeren in mir verdrängt hatten. Mit einem Male hielt er inne, und ſah ſich nach allen Gegenden um. Jch ver- wünſchte, daß ich kein Gewehr bei mir hatte. Plötzlich
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0022"/>
Wildniß! Die heitere Herbſtluft ſpielte oben in den Gin-<lb/>ſterſträuchen. Die Tollheit des Gedankens, um ſchlechte<lb/>
Waldbeeren, die ſelbſt der franzöſiſche Bauer nicht eſſen<lb/>
mag, vielleicht feindlichen Vorpoſten in die Hände zu<lb/>
laufen, hatte etwas Berauſchendes. Jch hätte heut mö-<lb/>
gen Givet ſtürmen. Der todte Freund war vergeſſen.<lb/>
Mit einem Male öffnete ſich der Grund links vor mir;<lb/>
hoch auf dem violetten Schieferfelſen lag der Mont-<lb/>
d’or, ein Außenwerk, und vor mir rauchten die Schorn-<lb/>ſteine von Givet. Zugleich aber lachten mich zu bei-<lb/>
den Seiten die reichſten Brombeerſtauden an. Es war<lb/>
mir, als müſſe man mich aus der Stadt, da dieſe ſo<lb/>
offen vor mir lag, eben ſo gut bemerken, als ich jene,<lb/>
und ich verbarg mich, ähnlich den Kindern, welche die<lb/>
Augen zudrücken, wenn ſie geſehen zu werden fürchten,<lb/>
in die Geſträuche. Bald indeſſen war dieſe Beſorgniß<lb/>
überwunden; ich pflückte deſto eifriger, ſo daß mein<lb/>
Geſchirr hochaufgefüllt war, als die Abenddämmerung<lb/>
anfangen wollte. Eben war ich im Begriff aufzuſtehn,<lb/>
als ich im Gebüſche hinter mir Fußtritte vernahm,<lb/>
und ein Franzoſe aus dem Grunde hervor der Stadt<lb/>
zueilte. Jch brauchte mich nicht lange zu beſinnen; es<lb/>
war derſelbe, deſſen Andenken kaum die Brombeeren<lb/>
in mir verdrängt hatten. Mit einem Male hielt er<lb/>
inne, und ſah ſich nach allen Gegenden um. Jch ver-<lb/>
wünſchte, daß ich kein Gewehr bei mir hatte. Plötzlich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[0022]
Wildniß! Die heitere Herbſtluft ſpielte oben in den Gin-
ſterſträuchen. Die Tollheit des Gedankens, um ſchlechte
Waldbeeren, die ſelbſt der franzöſiſche Bauer nicht eſſen
mag, vielleicht feindlichen Vorpoſten in die Hände zu
laufen, hatte etwas Berauſchendes. Jch hätte heut mö-
gen Givet ſtürmen. Der todte Freund war vergeſſen.
Mit einem Male öffnete ſich der Grund links vor mir;
hoch auf dem violetten Schieferfelſen lag der Mont-
d’or, ein Außenwerk, und vor mir rauchten die Schorn-
ſteine von Givet. Zugleich aber lachten mich zu bei-
den Seiten die reichſten Brombeerſtauden an. Es war
mir, als müſſe man mich aus der Stadt, da dieſe ſo
offen vor mir lag, eben ſo gut bemerken, als ich jene,
und ich verbarg mich, ähnlich den Kindern, welche die
Augen zudrücken, wenn ſie geſehen zu werden fürchten,
in die Geſträuche. Bald indeſſen war dieſe Beſorgniß
überwunden; ich pflückte deſto eifriger, ſo daß mein
Geſchirr hochaufgefüllt war, als die Abenddämmerung
anfangen wollte. Eben war ich im Begriff aufzuſtehn,
als ich im Gebüſche hinter mir Fußtritte vernahm,
und ein Franzoſe aus dem Grunde hervor der Stadt
zueilte. Jch brauchte mich nicht lange zu beſinnen; es
war derſelbe, deſſen Andenken kaum die Brombeeren
in mir verdrängt hatten. Mit einem Male hielt er
inne, und ſah ſich nach allen Gegenden um. Jch ver-
wünſchte, daß ich kein Gewehr bei mir hatte. Plötzlich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Andreas Hungeling / https://www.stimm-los.de/: Bereitstellung der Texttranskription.
(2020-07-16T12:57:05Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2020-07-16T12:57:05Z)
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: nicht übernommen;
Druckfehler: dokumentiert;
fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
i/j in Fraktur: keine Angabe;
Kolumnentitel: keine Angabe;
Kustoden: gekennzeichnet;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: dokumentiert;
rundes r (ꝛ): keine Angabe;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: wie Vorlage;
u/v bzw. U/V: keine Angabe;
Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: DTABf-getreu;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/22>, abgerufen am 01.10.2023.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2023. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.