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Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100.

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fort, um nicht bespritzt zu werden. Da hatten wir
viel zu thun."

Das Gespräch brach hier ab, indem der Cure zum
gnädigen Herrn gerufen wurde, um ihn zu rasiren, ein
Geschäft, zu welchem die französischen Geistlichen, um
nicht Hungers zu sterben, sich in den letztern Zeiten
zuweilen bequemen mußten. Er ging und überließ mich
meinen Betrachtungen. Die Erinnerung sammelte sich
langsam. Jch kämpfte mit den errungenen Kräften
mich zu überzeugen, daß Alles ein Traum gewesen.
Die Anstrengung hätte leicht das Fieber wieder zurück-
gerufen. Mein leitender Vorsatz blieb, so bald ich dies
möglich machen könne, das Schloß zu verlassen.

Das physische Bedürfniß des ermatteten Körpers
siegte endlich über das wirre Getriebe der Gedanken.
Jch wankte zum Mittagstische, der diesmal sehr ver-
lassen erschien, indem, außer den meist stummen Haus-
genossen, nur Adelaide Platz daran nahm. Vergeblich
las ich in den Blicken des Maire, ob nicht einer zum
Verräther würde. Der bleiche Mann von der Fon-
taine war verschwunden. Er war ein sehr höflicher
Wirth; seine Augen suchten die Erde, und seine Stimme
klang ungemein wohlgefällig. Dagegen konnte er ein
Lächeln nicht unterdrücken über mein bleiches Aussehn.
Er äußerte, die Begeisterung möge wol recht schön und
stark seyn, nur müsse ein rauhes Lüftchen, oder ein

fort, um nicht beſpritzt zu werden. Da hatten wir
viel zu thun.“

Das Geſpräch brach hier ab, indem der Curē zum
gnädigen Herrn gerufen wurde, um ihn zu raſiren, ein
Geſchäft, zu welchem die franzöſiſchen Geiſtlichen, um
nicht Hungers zu ſterben, ſich in den letztern Zeiten
zuweilen bequemen mußten. Er ging und überließ mich
meinen Betrachtungen. Die Erinnerung ſammelte ſich
langſam. Jch kämpfte mit den errungenen Kräften
mich zu überzeugen, daß Alles ein Traum geweſen.
Die Anſtrengung hätte leicht das Fieber wieder zurück-
gerufen. Mein leitender Vorſatz blieb, ſo bald ich dies
möglich machen könne, das Schloß zu verlaſſen.

Das phyſiſche Bedürfniß des ermatteten Körpers
ſiegte endlich über das wirre Getriebe der Gedanken.
Jch wankte zum Mittagstiſche, der diesmal ſehr ver-
laſſen erſchien, indem, außer den meiſt ſtummen Haus-
genoſſen, nur Adelaide Platz daran nahm. Vergeblich
las ich in den Blicken des Maire, ob nicht einer zum
Verräther würde. Der bleiche Mann von der Fon-
taine war verſchwunden. Er war ein ſehr höflicher
Wirth; ſeine Augen ſuchten die Erde, und ſeine Stimme
klang ungemein wohlgefällig. Dagegen konnte er ein
Lächeln nicht unterdrücken über mein bleiches Ausſehn.
Er äußerte, die Begeiſterung möge wol recht ſchön und
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[0083] fort, um nicht beſpritzt zu werden. Da hatten wir viel zu thun.“ Das Geſpräch brach hier ab, indem der Curē zum gnädigen Herrn gerufen wurde, um ihn zu raſiren, ein Geſchäft, zu welchem die franzöſiſchen Geiſtlichen, um nicht Hungers zu ſterben, ſich in den letztern Zeiten zuweilen bequemen mußten. Er ging und überließ mich meinen Betrachtungen. Die Erinnerung ſammelte ſich langſam. Jch kämpfte mit den errungenen Kräften mich zu überzeugen, daß Alles ein Traum geweſen. Die Anſtrengung hätte leicht das Fieber wieder zurück- gerufen. Mein leitender Vorſatz blieb, ſo bald ich dies möglich machen könne, das Schloß zu verlaſſen. Das phyſiſche Bedürfniß des ermatteten Körpers ſiegte endlich über das wirre Getriebe der Gedanken. Jch wankte zum Mittagstiſche, der diesmal ſehr ver- laſſen erſchien, indem, außer den meiſt ſtummen Haus- genoſſen, nur Adelaide Platz daran nahm. Vergeblich las ich in den Blicken des Maire, ob nicht einer zum Verräther würde. Der bleiche Mann von der Fon- taine war verſchwunden. Er war ein ſehr höflicher Wirth; ſeine Augen ſuchten die Erde, und ſeine Stimme klang ungemein wohlgefällig. Dagegen konnte er ein Lächeln nicht unterdrücken über mein bleiches Ausſehn. Er äußerte, die Begeiſterung möge wol recht ſchön und ſtark ſeyn, nur müſſe ein rauhes Lüftchen, oder ein

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/83>, abgerufen am 24.11.2024.