Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

lesen und konnten auswendig ihre Lieder zum Preise
der schönen Natur. Auch wer das Theater besuchte,
was damals in den gebildeten Mittelständen viel
häufiger geschah, als jetzt, hörte und sah, wenn er es
glauben wollte, daß die Menschen in den Dörfern
andere und bessere wären, als die in der Stadt,
weil sie Gott und seiner Natur näher sind. Wenn
auch nicht bei den Schäfern, doch in der Hütte, die
der Fliederstrauch überschattet, sollte der Friede und das
Glück des Lebens zu suchen sein. Bei aller Blasirt¬
heit der vornehmen Welt konnte sie dieser Stimmung
durch Spott nicht wehren, ja sie erwehrte sich selbst
ihrer nicht. Man mußte idyllisch sein.

Wir sehen eine solche glückliche Familie den langen,
beschwerlichen Weg hinaus wandern. Sie steigen über
den Sand des Templower Berges, dann suchen sie
den festeren Fußsteig, der neben der durchwühlten
Straße, fast baumlos nach dem Dorfe führt. Die
Sonne brennt am wolkenlosen Himmel, und ihre
Schritte sind nicht leicht; außer der Sonntagsstim¬
mung bringen sie ja in Körben und Pompadouren
mit, was zur Erheiterung dieser Stimmung dienen
soll. Oft muß der Familienvater das Taschentuch
herausziehen um den Schweiß zu trocknen und oft
hält er still und sieht, ob die andern nachkommen.
Da verstummt wohl das Gespräch, aber sie bleiben hei¬
ter. Unter den schattigen Ulmen, welche die Avenue des
Dorfes bilden, hält endlich die Mutter und setzt ihren
Beutel nieder, während der Vater sich umsieht: "Aber

leſen und konnten auswendig ihre Lieder zum Preiſe
der ſchönen Natur. Auch wer das Theater beſuchte,
was damals in den gebildeten Mittelſtänden viel
häufiger geſchah, als jetzt, hörte und ſah, wenn er es
glauben wollte, daß die Menſchen in den Dörfern
andere und beſſere wären, als die in der Stadt,
weil ſie Gott und ſeiner Natur näher ſind. Wenn
auch nicht bei den Schäfern, doch in der Hütte, die
der Fliederſtrauch überſchattet, ſollte der Friede und das
Glück des Lebens zu ſuchen ſein. Bei aller Blaſirt¬
heit der vornehmen Welt konnte ſie dieſer Stimmung
durch Spott nicht wehren, ja ſie erwehrte ſich ſelbſt
ihrer nicht. Man mußte idylliſch ſein.

Wir ſehen eine ſolche glückliche Familie den langen,
beſchwerlichen Weg hinaus wandern. Sie ſteigen über
den Sand des Templower Berges, dann ſuchen ſie
den feſteren Fußſteig, der neben der durchwühlten
Straße, faſt baumlos nach dem Dorfe führt. Die
Sonne brennt am wolkenloſen Himmel, und ihre
Schritte ſind nicht leicht; außer der Sonntagsſtim¬
mung bringen ſie ja in Körben und Pompadouren
mit, was zur Erheiterung dieſer Stimmung dienen
ſoll. Oft muß der Familienvater das Taſchentuch
herausziehen um den Schweiß zu trocknen und oft
hält er ſtill und ſieht, ob die andern nachkommen.
Da verſtummt wohl das Geſpräch, aber ſie bleiben hei¬
ter. Unter den ſchattigen Ulmen, welche die Avenue des
Dorfes bilden, hält endlich die Mutter und ſetzt ihren
Beutel nieder, während der Vater ſich umſieht: „Aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0133" n="119"/>
le&#x017F;en und konnten auswendig ihre Lieder zum Prei&#x017F;e<lb/>
der &#x017F;chönen Natur. Auch wer das Theater be&#x017F;uchte,<lb/>
was damals in den gebildeten Mittel&#x017F;tänden viel<lb/>
häufiger ge&#x017F;chah, als jetzt, hörte und &#x017F;ah, wenn er es<lb/>
glauben wollte, daß die Men&#x017F;chen in den Dörfern<lb/>
andere und be&#x017F;&#x017F;ere wären, als die in der Stadt,<lb/>
weil &#x017F;ie Gott und &#x017F;einer Natur näher &#x017F;ind. Wenn<lb/>
auch nicht bei den Schäfern, doch in der Hütte, die<lb/>
der Flieder&#x017F;trauch über&#x017F;chattet, &#x017F;ollte der Friede und das<lb/>
Glück des Lebens zu &#x017F;uchen &#x017F;ein. Bei aller Bla&#x017F;irt¬<lb/>
heit der vornehmen Welt konnte &#x017F;ie die&#x017F;er Stimmung<lb/>
durch Spott nicht wehren, ja &#x017F;ie erwehrte &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
ihrer nicht. Man mußte idylli&#x017F;ch &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>Wir &#x017F;ehen eine &#x017F;olche glückliche Familie den langen,<lb/>
be&#x017F;chwerlichen Weg hinaus wandern. Sie &#x017F;teigen über<lb/>
den Sand des Templower Berges, dann &#x017F;uchen &#x017F;ie<lb/>
den fe&#x017F;teren Fuß&#x017F;teig, der neben der durchwühlten<lb/>
Straße, fa&#x017F;t baumlos nach dem Dorfe führt. Die<lb/>
Sonne brennt am wolkenlo&#x017F;en Himmel, und ihre<lb/>
Schritte &#x017F;ind nicht leicht; außer der Sonntags&#x017F;tim¬<lb/>
mung bringen &#x017F;ie ja in Körben und Pompadouren<lb/>
mit, was zur Erheiterung die&#x017F;er Stimmung dienen<lb/>
&#x017F;oll. Oft muß der Familienvater das Ta&#x017F;chentuch<lb/>
herausziehen um den Schweiß zu trocknen und oft<lb/>
hält er &#x017F;till und &#x017F;ieht, ob die andern nachkommen.<lb/>
Da ver&#x017F;tummt wohl das Ge&#x017F;präch, aber &#x017F;ie bleiben hei¬<lb/>
ter. Unter den &#x017F;chattigen Ulmen, welche die Avenue des<lb/>
Dorfes bilden, hält endlich die Mutter und &#x017F;etzt ihren<lb/>
Beutel nieder, während der Vater &#x017F;ich um&#x017F;ieht: &#x201E;Aber<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0133] leſen und konnten auswendig ihre Lieder zum Preiſe der ſchönen Natur. Auch wer das Theater beſuchte, was damals in den gebildeten Mittelſtänden viel häufiger geſchah, als jetzt, hörte und ſah, wenn er es glauben wollte, daß die Menſchen in den Dörfern andere und beſſere wären, als die in der Stadt, weil ſie Gott und ſeiner Natur näher ſind. Wenn auch nicht bei den Schäfern, doch in der Hütte, die der Fliederſtrauch überſchattet, ſollte der Friede und das Glück des Lebens zu ſuchen ſein. Bei aller Blaſirt¬ heit der vornehmen Welt konnte ſie dieſer Stimmung durch Spott nicht wehren, ja ſie erwehrte ſich ſelbſt ihrer nicht. Man mußte idylliſch ſein. Wir ſehen eine ſolche glückliche Familie den langen, beſchwerlichen Weg hinaus wandern. Sie ſteigen über den Sand des Templower Berges, dann ſuchen ſie den feſteren Fußſteig, der neben der durchwühlten Straße, faſt baumlos nach dem Dorfe führt. Die Sonne brennt am wolkenloſen Himmel, und ihre Schritte ſind nicht leicht; außer der Sonntagsſtim¬ mung bringen ſie ja in Körben und Pompadouren mit, was zur Erheiterung dieſer Stimmung dienen ſoll. Oft muß der Familienvater das Taſchentuch herausziehen um den Schweiß zu trocknen und oft hält er ſtill und ſieht, ob die andern nachkommen. Da verſtummt wohl das Geſpräch, aber ſie bleiben hei¬ ter. Unter den ſchattigen Ulmen, welche die Avenue des Dorfes bilden, hält endlich die Mutter und ſetzt ihren Beutel nieder, während der Vater ſich umſieht: „Aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/133
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/133>, abgerufen am 24.11.2024.