ihre Edelsten verschlang, hat auch allmälig die schönen Linden und Ulmen der Dorfstraße versengt und die Schilfdächer der Häuser verzehrt.
Heut sieht das Dorf aus wie eine mit Bäumen untersprengte Stadt. Aber auf dem üppigen Rasen, unter den prachtvollen Baumreihen war zu unsrer Zeit noch ein Spielplatz für ländliche Lust, wie man ihn nur wünschen mochte. Wo konnte man freiere Luft athmen, wo, hingestreckt im Grün, dem Spiel des Laubes, dem Gesang der Vögel ungestörter lau¬ schen! Wo wölbte sich ein prächtigeres Dach von Aesten, um den Mittagstisch darunter aufzuschlagen! Noch prangten die Dörfer um die Stadt nicht mit blauen und goldenen Wirthshausschildern, noch lauer¬ ten die Kellner nicht am Eingang der Gitter mit der Speisekarte. Die Schenke war eine Trinkstube und Kegelbahn, weiter nichts, die Familien kehrten bei den Bauern ein, die sie vom Markte kannten. Und noch strömte nicht Alles hinaus, was an Sonn- und Feiertagen die Werkstätte schließt, um das Ge¬ räusch der Straßen draußen durch neuen Lärm zu ersetzen und den Staub, den sie hinter sich gelassen, durch wilde Spiele wieder aufzuwühlen.
Es war eine Pilgerfahrt der Familien. Sie brachten eine sonntägliche Stimmung mit. Man hatte sie lang vorher besprochen. Man freute sich, einmal unter Gottes freiem Himmel einen Tag zu feiern. Wie wenige waren gereist und hatten schönere Ge¬ genden gesehen, und wie viele hatten die Dichter ge¬
ihre Edelſten verſchlang, hat auch allmälig die ſchönen Linden und Ulmen der Dorfſtraße verſengt und die Schilfdächer der Häuſer verzehrt.
Heut ſieht das Dorf aus wie eine mit Bäumen unterſprengte Stadt. Aber auf dem üppigen Raſen, unter den prachtvollen Baumreihen war zu unſrer Zeit noch ein Spielplatz für ländliche Luſt, wie man ihn nur wünſchen mochte. Wo konnte man freiere Luft athmen, wo, hingeſtreckt im Grün, dem Spiel des Laubes, dem Geſang der Vögel ungeſtörter lau¬ ſchen! Wo wölbte ſich ein prächtigeres Dach von Aeſten, um den Mittagstiſch darunter aufzuſchlagen! Noch prangten die Dörfer um die Stadt nicht mit blauen und goldenen Wirthshausſchildern, noch lauer¬ ten die Kellner nicht am Eingang der Gitter mit der Speiſekarte. Die Schenke war eine Trinkſtube und Kegelbahn, weiter nichts, die Familien kehrten bei den Bauern ein, die ſie vom Markte kannten. Und noch ſtrömte nicht Alles hinaus, was an Sonn- und Feiertagen die Werkſtätte ſchließt, um das Ge¬ räuſch der Straßen draußen durch neuen Lärm zu erſetzen und den Staub, den ſie hinter ſich gelaſſen, durch wilde Spiele wieder aufzuwühlen.
Es war eine Pilgerfahrt der Familien. Sie brachten eine ſonntägliche Stimmung mit. Man hatte ſie lang vorher beſprochen. Man freute ſich, einmal unter Gottes freiem Himmel einen Tag zu feiern. Wie wenige waren gereiſt und hatten ſchönere Ge¬ genden geſehen, und wie viele hatten die Dichter ge¬
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ihre Edelſten verſchlang, hat auch allmälig die ſchönen
Linden und Ulmen der Dorfſtraße verſengt und die
Schilfdächer der Häuſer verzehrt.
Heut ſieht das Dorf aus wie eine mit Bäumen
unterſprengte Stadt. Aber auf dem üppigen Raſen,
unter den prachtvollen Baumreihen war zu unſrer
Zeit noch ein Spielplatz für ländliche Luſt, wie man
ihn nur wünſchen mochte. Wo konnte man freiere
Luft athmen, wo, hingeſtreckt im Grün, dem Spiel
des Laubes, dem Geſang der Vögel ungeſtörter lau¬
ſchen! Wo wölbte ſich ein prächtigeres Dach von
Aeſten, um den Mittagstiſch darunter aufzuſchlagen!
Noch prangten die Dörfer um die Stadt nicht mit
blauen und goldenen Wirthshausſchildern, noch lauer¬
ten die Kellner nicht am Eingang der Gitter mit
der Speiſekarte. Die Schenke war eine Trinkſtube
und Kegelbahn, weiter nichts, die Familien kehrten
bei den Bauern ein, die ſie vom Markte kannten.
Und noch ſtrömte nicht Alles hinaus, was an Sonn-
und Feiertagen die Werkſtätte ſchließt, um das Ge¬
räuſch der Straßen draußen durch neuen Lärm zu
erſetzen und den Staub, den ſie hinter ſich gelaſſen,
durch wilde Spiele wieder aufzuwühlen.
Es war eine Pilgerfahrt der Familien. Sie
brachten eine ſonntägliche Stimmung mit. Man hatte
ſie lang vorher beſprochen. Man freute ſich, einmal
unter Gottes freiem Himmel einen Tag zu feiern.
Wie wenige waren gereiſt und hatten ſchönere Ge¬
genden geſehen, und wie viele hatten die Dichter ge¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/132>, abgerufen am 24.11.2024.
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