Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
Erstes Kapitel.
Die Kindesmörderin.


"Und darum eben," schloß der Geheimerath.

In seiner ganzen Würde hatte er sich erho¬
ben und gesprochen. Charlotte hatte ihn nie so
gesehen. Der Zorn strömte über die Lippen, bis vor
dem Redefluß des Kindermädchens allzeit fertige
Zunge verstummte. Sie war erschrocken zurückgetre¬
ten, bis sie sich selbst verwundert an der Thüre fand;
aber der Geheimerath schritt noch in der Stube auf
und ab.

Charlotte hatte leise zu weinen angefangen:
"Aber Herr Geheimerath, um solche Kleinigkeit!"

"Eine Kleinigkeit die Angst besorgter Eltern um
ihre Kinder! -- Fünf Stunden von Hause fort ohne
eine Sterbenssylbe mir zurückzulassen, und die Klei¬
nen mitgenommen, ohne um Erlaubniß zu fragen!"

"Herr Geheimerath, schluchzte sie, haben nie
nach gefragt, ich weiß auch gar nicht warum jetzt!"

"Schweige Sie! fuhr der Hausherr fort. Sie hat
kein Einsehen, keine Moralität. Sie mißbraucht

I. 1
Erſtes Kapitel.
Die Kindesmörderin.


„Und darum eben,“ ſchloß der Geheimerath.

In ſeiner ganzen Würde hatte er ſich erho¬
ben und geſprochen. Charlotte hatte ihn nie ſo
geſehen. Der Zorn ſtrömte über die Lippen, bis vor
dem Redefluß des Kindermädchens allzeit fertige
Zunge verſtummte. Sie war erſchrocken zurückgetre¬
ten, bis ſie ſich ſelbſt verwundert an der Thüre fand;
aber der Geheimerath ſchritt noch in der Stube auf
und ab.

Charlotte hatte leiſe zu weinen angefangen:
„Aber Herr Geheimerath, um ſolche Kleinigkeit!“

„Eine Kleinigkeit die Angſt beſorgter Eltern um
ihre Kinder! — Fünf Stunden von Hauſe fort ohne
eine Sterbensſylbe mir zurückzulaſſen, und die Klei¬
nen mitgenommen, ohne um Erlaubniß zu fragen!“

„Herr Geheimerath, ſchluchzte ſie, haben nie
nach gefragt, ich weiß auch gar nicht warum jetzt!“

„Schweige Sie! fuhr der Hausherr fort. Sie hat
kein Einſehen, keine Moralität. Sie mißbraucht

I. 1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0015" n="[1]"/>
      <div n="1">
        <head>Er&#x017F;tes Kapitel.<lb/><hi rendition="#b">Die Kindesmörderin.</hi><lb/></head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>&#x201E;Und darum eben,&#x201C; &#x017F;chloß der Geheimerath.</p><lb/>
        <p>In &#x017F;einer ganzen Würde hatte er &#x017F;ich erho¬<lb/>
ben und ge&#x017F;prochen. Charlotte hatte ihn nie &#x017F;o<lb/>
ge&#x017F;ehen. Der Zorn &#x017F;trömte über die Lippen, bis vor<lb/>
dem Redefluß des Kindermädchens allzeit fertige<lb/>
Zunge ver&#x017F;tummte. Sie war er&#x017F;chrocken zurückgetre¬<lb/>
ten, bis &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t verwundert an der Thüre fand;<lb/>
aber der Geheimerath &#x017F;chritt noch in der Stube auf<lb/>
und ab.</p><lb/>
        <p>Charlotte hatte lei&#x017F;e zu weinen angefangen:<lb/>
&#x201E;Aber Herr Geheimerath, um &#x017F;olche Kleinigkeit!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Eine Kleinigkeit die Ang&#x017F;t be&#x017F;orgter Eltern um<lb/>
ihre Kinder! &#x2014; Fünf Stunden von Hau&#x017F;e fort ohne<lb/>
eine Sterbens&#x017F;ylbe mir zurückzula&#x017F;&#x017F;en, und die Klei¬<lb/>
nen mitgenommen, ohne um Erlaubniß zu fragen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Herr Geheimerath, &#x017F;chluchzte &#x017F;ie, haben nie<lb/>
nach gefragt, ich weiß auch gar nicht warum jetzt!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schweige Sie! fuhr der Hausherr fort. Sie hat<lb/>
kein Ein&#x017F;ehen, keine Moralität. Sie mißbraucht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I</hi>. 1<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[1]/0015] Erſtes Kapitel. Die Kindesmörderin. „Und darum eben,“ ſchloß der Geheimerath. In ſeiner ganzen Würde hatte er ſich erho¬ ben und geſprochen. Charlotte hatte ihn nie ſo geſehen. Der Zorn ſtrömte über die Lippen, bis vor dem Redefluß des Kindermädchens allzeit fertige Zunge verſtummte. Sie war erſchrocken zurückgetre¬ ten, bis ſie ſich ſelbſt verwundert an der Thüre fand; aber der Geheimerath ſchritt noch in der Stube auf und ab. Charlotte hatte leiſe zu weinen angefangen: „Aber Herr Geheimerath, um ſolche Kleinigkeit!“ „Eine Kleinigkeit die Angſt beſorgter Eltern um ihre Kinder! — Fünf Stunden von Hauſe fort ohne eine Sterbensſylbe mir zurückzulaſſen, und die Klei¬ nen mitgenommen, ohne um Erlaubniß zu fragen!“ „Herr Geheimerath, ſchluchzte ſie, haben nie nach gefragt, ich weiß auch gar nicht warum jetzt!“ „Schweige Sie! fuhr der Hausherr fort. Sie hat kein Einſehen, keine Moralität. Sie mißbraucht I. 1

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/15
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/15>, abgerufen am 23.11.2024.