meine Güte. Sie muß aus meinem Hause. Es haben sich schon Viele gewundert, daß ich Sie noch behielt. Aber Sie schlägt mit Ihrer Unverschämtheit den Boden aus dem Faß. Versteht Sie mich! Ein Glück noch, daß wir vom Viertelcommissar erfuhren, daß Sie zur Execution hinaus war, wir hätten sonst gar nicht gewußt, wo Sie geblieben war."
"Wenn das die selige Frau Geheimräthin wüßte, schluchzte das Mädchen, das war eine seelensgute Frau. Und wie oft hat sie gesagt: wenn wir nicht wären, mein Mann kümmert sich gar nicht um die Kinder. Ja das hat sie gesagt, nicht einmal, hun¬ dert Mal. Und haben Herr Geheimrath jetzt auch nur einmal nach den Kindern gefragt? Das eben aber sagten die selige Frau Geheimräthin: er hat kein Herz für sie! und es war eine Frau, so sanft wie die himmlische Güte, und viel zu gut für diese Welt, und wer nur ihre stillen Thränen gesehen hat, die sie Nachts vergoß, und darum nahm der liebe Gott sie zu sich, und sie würde sich im Sarge umdrehn, wenn sie wüßte, daß Herr Geheimerath mir darum solchen Affront anthun."
Charlotte mußte die schwache Seite des Haus¬ herrn kennen. Er wandte sich um, und fuhr mit dem Taschentuch über das Auge, ob, um eine Thräne abzuwischen oder die Verlegenheit zu verbergen, laß ich ungesagt. An der Wand hing das Bild der Verewigten, in sehr abgeblaßten Wasserfarben ge¬ mahlt, ein eben so abgeblaßter Immortellenkranz
meine Güte. Sie muß aus meinem Hauſe. Es haben ſich ſchon Viele gewundert, daß ich Sie noch behielt. Aber Sie ſchlägt mit Ihrer Unverſchämtheit den Boden aus dem Faß. Verſteht Sie mich! Ein Glück noch, daß wir vom Viertelcommiſſar erfuhren, daß Sie zur Execution hinaus war, wir hätten ſonſt gar nicht gewußt, wo Sie geblieben war.“
„Wenn das die ſelige Frau Geheimräthin wüßte, ſchluchzte das Mädchen, das war eine ſeelensgute Frau. Und wie oft hat ſie geſagt: wenn wir nicht wären, mein Mann kümmert ſich gar nicht um die Kinder. Ja das hat ſie geſagt, nicht einmal, hun¬ dert Mal. Und haben Herr Geheimrath jetzt auch nur einmal nach den Kindern gefragt? Das eben aber ſagten die ſelige Frau Geheimräthin: er hat kein Herz für ſie! und es war eine Frau, ſo ſanft wie die himmliſche Güte, und viel zu gut für dieſe Welt, und wer nur ihre ſtillen Thränen geſehen hat, die ſie Nachts vergoß, und darum nahm der liebe Gott ſie zu ſich, und ſie würde ſich im Sarge umdrehn, wenn ſie wüßte, daß Herr Geheimerath mir darum ſolchen Affront anthun.“
Charlotte mußte die ſchwache Seite des Haus¬ herrn kennen. Er wandte ſich um, und fuhr mit dem Taſchentuch über das Auge, ob, um eine Thräne abzuwiſchen oder die Verlegenheit zu verbergen, laß ich ungeſagt. An der Wand hing das Bild der Verewigten, in ſehr abgeblaßten Waſſerfarben ge¬ mahlt, ein eben ſo abgeblaßter Immortellenkranz
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0016"n="2"/>
meine Güte. Sie muß aus meinem Hauſe. Es<lb/>
haben ſich ſchon Viele gewundert, daß ich Sie noch<lb/>
behielt. Aber Sie ſchlägt mit Ihrer Unverſchämtheit<lb/>
den Boden aus dem Faß. Verſteht Sie mich! Ein<lb/>
Glück noch, daß wir vom Viertelcommiſſar erfuhren,<lb/>
daß Sie zur Execution hinaus war, wir hätten ſonſt<lb/>
gar nicht gewußt, wo Sie geblieben war.“</p><lb/><p>„Wenn das die ſelige Frau Geheimräthin wüßte,<lb/>ſchluchzte das Mädchen, das war eine ſeelensgute<lb/>
Frau. Und wie oft hat ſie geſagt: wenn wir nicht<lb/>
wären, mein Mann kümmert ſich gar nicht um die<lb/>
Kinder. Ja das hat ſie geſagt, nicht <hirendition="#g">einmal</hi>, <hirendition="#g">hun¬<lb/>
dert</hi> Mal. Und haben Herr Geheimrath jetzt auch<lb/>
nur einmal nach den Kindern gefragt? Das eben<lb/>
aber ſagten die ſelige Frau Geheimräthin: er hat kein<lb/>
Herz für ſie! und es war eine Frau, ſo ſanft wie<lb/>
die himmliſche Güte, und viel zu gut für dieſe Welt,<lb/>
und wer nur ihre ſtillen Thränen geſehen hat, die<lb/>ſie Nachts vergoß, und darum nahm der liebe Gott<lb/>ſie zu ſich, und ſie würde ſich im Sarge umdrehn,<lb/>
wenn ſie wüßte, daß Herr Geheimerath mir darum<lb/>ſolchen Affront anthun.“</p><lb/><p>Charlotte mußte die ſchwache Seite des Haus¬<lb/>
herrn kennen. Er wandte ſich um, und fuhr mit<lb/>
dem Taſchentuch über das Auge, ob, um eine Thräne<lb/>
abzuwiſchen oder die Verlegenheit zu verbergen, laß<lb/>
ich ungeſagt. An der Wand hing das Bild der<lb/>
Verewigten, in ſehr abgeblaßten Waſſerfarben ge¬<lb/>
mahlt, ein eben ſo abgeblaßter Immortellenkranz<lb/></p></div></body></text></TEI>
[2/0016]
meine Güte. Sie muß aus meinem Hauſe. Es
haben ſich ſchon Viele gewundert, daß ich Sie noch
behielt. Aber Sie ſchlägt mit Ihrer Unverſchämtheit
den Boden aus dem Faß. Verſteht Sie mich! Ein
Glück noch, daß wir vom Viertelcommiſſar erfuhren,
daß Sie zur Execution hinaus war, wir hätten ſonſt
gar nicht gewußt, wo Sie geblieben war.“
„Wenn das die ſelige Frau Geheimräthin wüßte,
ſchluchzte das Mädchen, das war eine ſeelensgute
Frau. Und wie oft hat ſie geſagt: wenn wir nicht
wären, mein Mann kümmert ſich gar nicht um die
Kinder. Ja das hat ſie geſagt, nicht einmal, hun¬
dert Mal. Und haben Herr Geheimrath jetzt auch
nur einmal nach den Kindern gefragt? Das eben
aber ſagten die ſelige Frau Geheimräthin: er hat kein
Herz für ſie! und es war eine Frau, ſo ſanft wie
die himmliſche Güte, und viel zu gut für dieſe Welt,
und wer nur ihre ſtillen Thränen geſehen hat, die
ſie Nachts vergoß, und darum nahm der liebe Gott
ſie zu ſich, und ſie würde ſich im Sarge umdrehn,
wenn ſie wüßte, daß Herr Geheimerath mir darum
ſolchen Affront anthun.“
Charlotte mußte die ſchwache Seite des Haus¬
herrn kennen. Er wandte ſich um, und fuhr mit
dem Taſchentuch über das Auge, ob, um eine Thräne
abzuwiſchen oder die Verlegenheit zu verbergen, laß
ich ungeſagt. An der Wand hing das Bild der
Verewigten, in ſehr abgeblaßten Waſſerfarben ge¬
mahlt, ein eben ſo abgeblaßter Immortellenkranz
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/16>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.