Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn man erwacht, wieder trinken. Sind nicht alle
Edleren dazu bei uns verdammt. Tadelst Du den
Prinzen, daß er den Schaumbecher nicht von der
Lippe läßt, daß er wenigstens den Jammer nicht mit
ansehn will, wo er nicht helfen darf. Lieber doch berauscht
untertauchen und rasch, als nüchtern zusehen, wie wir
Zoll für Zoll im Morast versinken. Oder wo ist
denn die Kraft, die nach Besserem ringt, wo nur
ernster Wille! Der gute zahme bescheidene da, der
sich nicht mehr ganz von den Schlechten von ehemals
will leiten lassen, aber auch nicht ganz mit ihnen zu
brechen wagt! Die beschränkte duckmäuserige Tugend,
die sich den Himmel mahlt an ihre vier Wände, aber
der Himmel draußen ist ihr zu frisch und kühl.
Sturmwind ringsum, nur aufspannen, nur zusteuern
brauchten wir, und mit vollen Segeln triebe das
Kriegsschiff -- prost Mahlzeit! Man kettet das Steuer
an, umwickelt die Ruder und lavirt. Das ist eine
berauschende Kunst. Soll ich mich auch anlernen
lassen? Bei wem? Bei meinem Vater? Staats¬
dienst! Herrliche Menschenbestimmung! Dein Vater
predigt es Dir ja wohl auch täglich: laß Dich an¬
stellen. Wollen wir uns polnische Krongüter schen¬
ken lassen? Die sind schon weggeschnappt. Wollen
wir mit den Juden und Domainenräthen die Ritter¬
güter taxiren und Hypotheken verschreiben, die ihren
Werth im Monde haben? 'S ist auch schon zu viel
drin gepfuscht. Lieferanten für die Armee, aber es
giebt keinen Krieg! Oder uns üben, solche süßgänse¬

wenn man erwacht, wieder trinken. Sind nicht alle
Edleren dazu bei uns verdammt. Tadelſt Du den
Prinzen, daß er den Schaumbecher nicht von der
Lippe läßt, daß er wenigſtens den Jammer nicht mit
anſehn will, wo er nicht helfen darf. Lieber doch berauſcht
untertauchen und raſch, als nüchtern zuſehen, wie wir
Zoll für Zoll im Moraſt verſinken. Oder wo iſt
denn die Kraft, die nach Beſſerem ringt, wo nur
ernſter Wille! Der gute zahme beſcheidene da, der
ſich nicht mehr ganz von den Schlechten von ehemals
will leiten laſſen, aber auch nicht ganz mit ihnen zu
brechen wagt! Die beſchränkte duckmäuſerige Tugend,
die ſich den Himmel mahlt an ihre vier Wände, aber
der Himmel draußen iſt ihr zu friſch und kühl.
Sturmwind ringsum, nur aufſpannen, nur zuſteuern
brauchten wir, und mit vollen Segeln triebe das
Kriegsſchiff — proſt Mahlzeit! Man kettet das Steuer
an, umwickelt die Ruder und lavirt. Das iſt eine
berauſchende Kunſt. Soll ich mich auch anlernen
laſſen? Bei wem? Bei meinem Vater? Staats¬
dienſt! Herrliche Menſchenbeſtimmung! Dein Vater
predigt es Dir ja wohl auch täglich: laß Dich an¬
ſtellen. Wollen wir uns polniſche Krongüter ſchen¬
ken laſſen? Die ſind ſchon weggeſchnappt. Wollen
wir mit den Juden und Domainenräthen die Ritter¬
güter taxiren und Hypotheken verſchreiben, die ihren
Werth im Monde haben? 'S iſt auch ſchon zu viel
drin gepfuſcht. Lieferanten für die Armee, aber es
giebt keinen Krieg! Oder uns üben, ſolche ſüßgänſe¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0181" n="167"/>
wenn man erwacht, wieder trinken. Sind nicht alle<lb/>
Edleren dazu bei uns verdammt. Tadel&#x017F;t Du den<lb/>
Prinzen, daß er den Schaumbecher nicht von der<lb/>
Lippe läßt, daß er wenig&#x017F;tens den Jammer nicht mit<lb/>
an&#x017F;ehn will, wo er nicht helfen darf. Lieber doch berau&#x017F;cht<lb/>
untertauchen und ra&#x017F;ch, als nüchtern zu&#x017F;ehen, wie wir<lb/>
Zoll für Zoll im Mora&#x017F;t ver&#x017F;inken. Oder wo i&#x017F;t<lb/>
denn die Kraft, die nach Be&#x017F;&#x017F;erem ringt, wo nur<lb/>
ern&#x017F;ter Wille! Der gute zahme be&#x017F;cheidene da, der<lb/>
&#x017F;ich nicht mehr ganz von den Schlechten von ehemals<lb/>
will leiten la&#x017F;&#x017F;en, aber auch nicht ganz mit ihnen zu<lb/>
brechen wagt! Die be&#x017F;chränkte duckmäu&#x017F;erige Tugend,<lb/>
die &#x017F;ich den Himmel mahlt an ihre vier Wände, aber<lb/>
der Himmel draußen i&#x017F;t ihr zu fri&#x017F;ch und kühl.<lb/>
Sturmwind ringsum, nur auf&#x017F;pannen, nur zu&#x017F;teuern<lb/>
brauchten wir, und mit vollen Segeln triebe das<lb/>
Kriegs&#x017F;chiff &#x2014; pro&#x017F;t Mahlzeit! Man kettet das Steuer<lb/>
an, umwickelt die Ruder und lavirt. Das i&#x017F;t eine<lb/>
berau&#x017F;chende Kun&#x017F;t. Soll ich mich auch anlernen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en? Bei wem? Bei meinem Vater? Staats¬<lb/>
dien&#x017F;t! Herrliche Men&#x017F;chenbe&#x017F;timmung! Dein Vater<lb/>
predigt es Dir ja wohl auch täglich: laß Dich an¬<lb/>
&#x017F;tellen. Wollen wir uns polni&#x017F;che Krongüter &#x017F;chen¬<lb/>
ken la&#x017F;&#x017F;en? Die &#x017F;ind &#x017F;chon wegge&#x017F;chnappt. Wollen<lb/>
wir mit den Juden und Domainenräthen die Ritter¬<lb/>
güter taxiren und Hypotheken ver&#x017F;chreiben, die ihren<lb/>
Werth im Monde haben? 'S i&#x017F;t auch &#x017F;chon zu viel<lb/>
drin gepfu&#x017F;cht. Lieferanten für die Armee, aber es<lb/>
giebt keinen Krieg! Oder uns üben, &#x017F;olche &#x017F;üßgän&#x017F;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0181] wenn man erwacht, wieder trinken. Sind nicht alle Edleren dazu bei uns verdammt. Tadelſt Du den Prinzen, daß er den Schaumbecher nicht von der Lippe läßt, daß er wenigſtens den Jammer nicht mit anſehn will, wo er nicht helfen darf. Lieber doch berauſcht untertauchen und raſch, als nüchtern zuſehen, wie wir Zoll für Zoll im Moraſt verſinken. Oder wo iſt denn die Kraft, die nach Beſſerem ringt, wo nur ernſter Wille! Der gute zahme beſcheidene da, der ſich nicht mehr ganz von den Schlechten von ehemals will leiten laſſen, aber auch nicht ganz mit ihnen zu brechen wagt! Die beſchränkte duckmäuſerige Tugend, die ſich den Himmel mahlt an ihre vier Wände, aber der Himmel draußen iſt ihr zu friſch und kühl. Sturmwind ringsum, nur aufſpannen, nur zuſteuern brauchten wir, und mit vollen Segeln triebe das Kriegsſchiff — proſt Mahlzeit! Man kettet das Steuer an, umwickelt die Ruder und lavirt. Das iſt eine berauſchende Kunſt. Soll ich mich auch anlernen laſſen? Bei wem? Bei meinem Vater? Staats¬ dienſt! Herrliche Menſchenbeſtimmung! Dein Vater predigt es Dir ja wohl auch täglich: laß Dich an¬ ſtellen. Wollen wir uns polniſche Krongüter ſchen¬ ken laſſen? Die ſind ſchon weggeſchnappt. Wollen wir mit den Juden und Domainenräthen die Ritter¬ güter taxiren und Hypotheken verſchreiben, die ihren Werth im Monde haben? 'S iſt auch ſchon zu viel drin gepfuſcht. Lieferanten für die Armee, aber es giebt keinen Krieg! Oder uns üben, ſolche ſüßgänſe¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/181
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/181>, abgerufen am 21.11.2024.