"Vaterländisch! fuhr Walter auf. Und hat die Schule nicht grade auch unsre eigensten, zertretenen, vergessenen Schätze deutscher Vorzeit aus dem Staub und Rost an's Licht gezogen! Was kannten wir davon? Einzelne Aeolharfentöne der Minnesänger. Ging nicht eine deutsche Urwelt uns auf im Nibelungen¬ liede! Du lächelst, weil die Thoren lachen. Wir er¬ fuhren, unser Volk hat gelebt, wie die Griechen durch die Iliade wußten, daß sie gelebt, daß ihre Väter groß und herrlich waren, ehe es eine Geschichte gab. Das wissen wir nun auch, daß Chrimhilden und Siegfriede, daß Günther und Hagen unserer Geschichte vorangingen! O welchen Born der Sage die Romantik uns erschloß! Jetzt verstehen wir erst, nicht aus den nüchternen Chronisten, ein welch' Volk wir waren unter den Hohenstaufen. Im alten Kyff¬ häuser schläft nur der Kaiser seiner Herrlichkeit, und die Raben krächzen um seine Trümmer, und die Geister warten auf seine Erweckung. Das, Louis, hat uns die Romantik enthüllt, der Du einen Fu߬ tritt geben willst, weil sie nur Trugbilder zeigte, und Du willst Realitäten. Was hatten die Juden mehr von Palästina als ein Traumbild! Das Traumbild weckte einen Moses. Laß einen Moses erweckt sein und wir haben wieder ein deutsches Volk, eine deutsche Herrlichkeit. -- Vielleicht, daß wir's darin versahen, schloß der Aufgeregte, wir machten aus der unge¬ heuren Sage nur für uns ein Spielzeug; aber an¬ dere mögen nach uns kommen, die unserm Volke
„Vaterländiſch! fuhr Walter auf. Und hat die Schule nicht grade auch unſre eigenſten, zertretenen, vergeſſenen Schätze deutſcher Vorzeit aus dem Staub und Roſt an's Licht gezogen! Was kannten wir davon? Einzelne Aeolharfentöne der Minneſänger. Ging nicht eine deutſche Urwelt uns auf im Nibelungen¬ liede! Du lächelſt, weil die Thoren lachen. Wir er¬ fuhren, unſer Volk hat gelebt, wie die Griechen durch die Iliade wußten, daß ſie gelebt, daß ihre Väter groß und herrlich waren, ehe es eine Geſchichte gab. Das wiſſen wir nun auch, daß Chrimhilden und Siegfriede, daß Günther und Hagen unſerer Geſchichte vorangingen! O welchen Born der Sage die Romantik uns erſchloß! Jetzt verſtehen wir erſt, nicht aus den nüchternen Chroniſten, ein welch' Volk wir waren unter den Hohenſtaufen. Im alten Kyff¬ häuſer ſchläft nur der Kaiſer ſeiner Herrlichkeit, und die Raben krächzen um ſeine Trümmer, und die Geiſter warten auf ſeine Erweckung. Das, Louis, hat uns die Romantik enthüllt, der Du einen Fu߬ tritt geben willſt, weil ſie nur Trugbilder zeigte, und Du willſt Realitäten. Was hatten die Juden mehr von Paläſtina als ein Traumbild! Das Traumbild weckte einen Moſes. Laß einen Moſes erweckt ſein und wir haben wieder ein deutſches Volk, eine deutſche Herrlichkeit. — Vielleicht, daß wir's darin verſahen, ſchloß der Aufgeregte, wir machten aus der unge¬ heuren Sage nur für uns ein Spielzeug; aber an¬ dere mögen nach uns kommen, die unſerm Volke
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0187"n="173"/><p>„Vaterländiſch! fuhr Walter auf. Und hat die<lb/>
Schule nicht grade auch unſre eigenſten, zertretenen,<lb/>
vergeſſenen Schätze deutſcher Vorzeit aus dem Staub<lb/>
und Roſt an's Licht gezogen! Was kannten wir davon?<lb/>
Einzelne Aeolharfentöne der Minneſänger. Ging<lb/>
nicht eine deutſche Urwelt uns auf im Nibelungen¬<lb/>
liede! Du lächelſt, weil die Thoren lachen. Wir er¬<lb/>
fuhren, unſer Volk hat gelebt, wie die Griechen<lb/>
durch die Iliade wußten, daß ſie gelebt, daß ihre<lb/>
Väter groß und herrlich waren, ehe es eine Geſchichte<lb/>
gab. Das wiſſen wir nun auch, daß Chrimhilden<lb/>
und Siegfriede, daß Günther und Hagen unſerer<lb/>
Geſchichte vorangingen! O welchen Born der Sage<lb/>
die Romantik uns erſchloß! Jetzt verſtehen wir erſt,<lb/>
nicht aus den nüchternen Chroniſten, ein welch' Volk<lb/>
wir waren unter den Hohenſtaufen. Im alten Kyff¬<lb/>
häuſer ſchläft nur der Kaiſer ſeiner Herrlichkeit, und<lb/>
die Raben krächzen um ſeine Trümmer, und die<lb/>
Geiſter warten auf ſeine Erweckung. Das, Louis,<lb/>
hat uns die Romantik enthüllt, der Du einen Fu߬<lb/>
tritt geben willſt, weil ſie nur Trugbilder zeigte, und<lb/>
Du willſt Realitäten. Was hatten die Juden mehr<lb/>
von Paläſtina als ein Traumbild! Das Traumbild<lb/>
weckte einen Moſes. Laß einen Moſes erweckt ſein<lb/>
und wir haben wieder ein deutſches Volk, eine deutſche<lb/>
Herrlichkeit. — Vielleicht, daß wir's darin verſahen,<lb/>ſchloß der Aufgeregte, wir machten aus der unge¬<lb/>
heuren Sage nur für uns ein Spielzeug; aber an¬<lb/>
dere mögen nach uns kommen, die unſerm Volke<lb/></p></div></body></text></TEI>
[173/0187]
„Vaterländiſch! fuhr Walter auf. Und hat die
Schule nicht grade auch unſre eigenſten, zertretenen,
vergeſſenen Schätze deutſcher Vorzeit aus dem Staub
und Roſt an's Licht gezogen! Was kannten wir davon?
Einzelne Aeolharfentöne der Minneſänger. Ging
nicht eine deutſche Urwelt uns auf im Nibelungen¬
liede! Du lächelſt, weil die Thoren lachen. Wir er¬
fuhren, unſer Volk hat gelebt, wie die Griechen
durch die Iliade wußten, daß ſie gelebt, daß ihre
Väter groß und herrlich waren, ehe es eine Geſchichte
gab. Das wiſſen wir nun auch, daß Chrimhilden
und Siegfriede, daß Günther und Hagen unſerer
Geſchichte vorangingen! O welchen Born der Sage
die Romantik uns erſchloß! Jetzt verſtehen wir erſt,
nicht aus den nüchternen Chroniſten, ein welch' Volk
wir waren unter den Hohenſtaufen. Im alten Kyff¬
häuſer ſchläft nur der Kaiſer ſeiner Herrlichkeit, und
die Raben krächzen um ſeine Trümmer, und die
Geiſter warten auf ſeine Erweckung. Das, Louis,
hat uns die Romantik enthüllt, der Du einen Fu߬
tritt geben willſt, weil ſie nur Trugbilder zeigte, und
Du willſt Realitäten. Was hatten die Juden mehr
von Paläſtina als ein Traumbild! Das Traumbild
weckte einen Moſes. Laß einen Moſes erweckt ſein
und wir haben wieder ein deutſches Volk, eine deutſche
Herrlichkeit. — Vielleicht, daß wir's darin verſahen,
ſchloß der Aufgeregte, wir machten aus der unge¬
heuren Sage nur für uns ein Spielzeug; aber an¬
dere mögen nach uns kommen, die unſerm Volke
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/187>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.