Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Seht Kinder, daran könnt Ihr Euch ein Exempel
nehmen; so wird mancher rechtschaffene Mensch auf
Erden verleumdet von bösen Feinden, aber 's giebt
einen Gott im Himmel und einen König auf Erden,
und wer ehrlich sein Brod erwirbt, und ein gefühl¬
volles Herz hat für seine Nebenmenschen, der geht
nicht zu Schanden."

Aber als die vorwitzige Karoline zum Fenster
sich hinausbiegen und dem Herrn Geheimrath zu¬
rufen wollte: "warum tragen Sie nicht die Fische
selbst!" drückte die Hand der Tante eine sehr vernehm¬
liche Erinnerung auf ihre Backe: "Untersteh' Dich!"
Das Fenster flog zu. Die Scene hatte sich verändert.
Karoline weinte. Nur war sie keine so unterwürfige
Zuhörerin.

"Und 's ist wahr, er hat immer die Fische vom
Markt getragen, mit 'nem Kapaun unter'm Arm hab'
ich ihn selbst gesehen, und darum bin kein schlechtes
Mädchen nicht. Und das ist Wahrheit."

Die Obristin mäßigte sich. "Der Herr Geheime¬
rath sei eine obrigkeitliche Person, und mit genialischen
Herren müsse man's anders nehmen. Und wenn er
keine Respectsperson wäre, und nicht so viele vor¬
nehme Freunde und Verwandte hätte, dann säße er
jetzt, Gott weiß wo. Und das einzige, was man ihm
nachsagen könnte, wäre seine Köchin. Gegen die
Charlotte wäre schon sonst nichts zu sagen, denn sie wäre
ein braves Mädchen, aber für einen vornehmen Herrn
schicke sich das nicht, so was im Hause zu haben.

Seht Kinder, daran könnt Ihr Euch ein Exempel
nehmen; ſo wird mancher rechtſchaffene Menſch auf
Erden verleumdet von böſen Feinden, aber 's giebt
einen Gott im Himmel und einen König auf Erden,
und wer ehrlich ſein Brod erwirbt, und ein gefühl¬
volles Herz hat für ſeine Nebenmenſchen, der geht
nicht zu Schanden.“

Aber als die vorwitzige Karoline zum Fenſter
ſich hinausbiegen und dem Herrn Geheimrath zu¬
rufen wollte: „warum tragen Sie nicht die Fiſche
ſelbſt!“ drückte die Hand der Tante eine ſehr vernehm¬
liche Erinnerung auf ihre Backe: „Unterſteh' Dich!“
Das Fenſter flog zu. Die Scene hatte ſich verändert.
Karoline weinte. Nur war ſie keine ſo unterwürfige
Zuhörerin.

„Und 's iſt wahr, er hat immer die Fiſche vom
Markt getragen, mit 'nem Kapaun unter'm Arm hab'
ich ihn ſelbſt geſehen, und darum bin kein ſchlechtes
Mädchen nicht. Und das iſt Wahrheit.“

Die Obriſtin mäßigte ſich. „Der Herr Geheime¬
rath ſei eine obrigkeitliche Perſon, und mit genialiſchen
Herren müſſe man's anders nehmen. Und wenn er
keine Reſpectsperſon wäre, und nicht ſo viele vor¬
nehme Freunde und Verwandte hätte, dann ſäße er
jetzt, Gott weiß wo. Und das einzige, was man ihm
nachſagen könnte, wäre ſeine Köchin. Gegen die
Charlotte wäre ſchon ſonſt nichts zu ſagen, denn ſie wäre
ein braves Mädchen, aber für einen vornehmen Herrn
ſchicke ſich das nicht, ſo was im Hauſe zu haben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0291" n="277"/>
Seht Kinder, daran könnt Ihr Euch ein Exempel<lb/>
nehmen; &#x017F;o wird mancher recht&#x017F;chaffene Men&#x017F;ch auf<lb/>
Erden verleumdet von bö&#x017F;en Feinden, aber 's giebt<lb/>
einen Gott im Himmel und einen König auf Erden,<lb/>
und wer ehrlich &#x017F;ein Brod erwirbt, und ein gefühl¬<lb/>
volles Herz hat für &#x017F;eine Nebenmen&#x017F;chen, der geht<lb/>
nicht zu Schanden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Aber als die vorwitzige Karoline zum Fen&#x017F;ter<lb/>
&#x017F;ich hinausbiegen und dem Herrn Geheimrath zu¬<lb/>
rufen wollte: &#x201E;warum tragen Sie nicht die Fi&#x017F;che<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t!&#x201C; drückte die Hand der Tante eine &#x017F;ehr vernehm¬<lb/>
liche Erinnerung auf ihre Backe: &#x201E;Unter&#x017F;teh' Dich!&#x201C;<lb/>
Das Fen&#x017F;ter flog zu. Die Scene hatte &#x017F;ich verändert.<lb/>
Karoline weinte. Nur war &#x017F;ie keine &#x017F;o unterwürfige<lb/>
Zuhörerin.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und 's i&#x017F;t wahr, er hat immer die Fi&#x017F;che vom<lb/>
Markt getragen, mit 'nem Kapaun unter'm Arm hab'<lb/>
ich ihn &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;ehen, und darum bin kein &#x017F;chlechtes<lb/>
Mädchen nicht. Und das i&#x017F;t Wahrheit.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Obri&#x017F;tin mäßigte &#x017F;ich. &#x201E;Der Herr Geheime¬<lb/>
rath &#x017F;ei eine obrigkeitliche Per&#x017F;on, und mit geniali&#x017F;chen<lb/>
Herren mü&#x017F;&#x017F;e man's anders nehmen. Und wenn er<lb/>
keine Re&#x017F;pectsper&#x017F;on wäre, und nicht &#x017F;o viele vor¬<lb/>
nehme Freunde und Verwandte hätte, dann &#x017F;äße er<lb/>
jetzt, Gott weiß wo. Und das einzige, was man ihm<lb/>
nach&#x017F;agen könnte, wäre &#x017F;eine Köchin. Gegen die<lb/>
Charlotte wäre &#x017F;chon &#x017F;on&#x017F;t nichts zu &#x017F;agen, denn &#x017F;ie wäre<lb/>
ein braves Mädchen, aber für einen vornehmen Herrn<lb/>
&#x017F;chicke &#x017F;ich das nicht, &#x017F;o was im Hau&#x017F;e zu haben.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[277/0291] Seht Kinder, daran könnt Ihr Euch ein Exempel nehmen; ſo wird mancher rechtſchaffene Menſch auf Erden verleumdet von böſen Feinden, aber 's giebt einen Gott im Himmel und einen König auf Erden, und wer ehrlich ſein Brod erwirbt, und ein gefühl¬ volles Herz hat für ſeine Nebenmenſchen, der geht nicht zu Schanden.“ Aber als die vorwitzige Karoline zum Fenſter ſich hinausbiegen und dem Herrn Geheimrath zu¬ rufen wollte: „warum tragen Sie nicht die Fiſche ſelbſt!“ drückte die Hand der Tante eine ſehr vernehm¬ liche Erinnerung auf ihre Backe: „Unterſteh' Dich!“ Das Fenſter flog zu. Die Scene hatte ſich verändert. Karoline weinte. Nur war ſie keine ſo unterwürfige Zuhörerin. „Und 's iſt wahr, er hat immer die Fiſche vom Markt getragen, mit 'nem Kapaun unter'm Arm hab' ich ihn ſelbſt geſehen, und darum bin kein ſchlechtes Mädchen nicht. Und das iſt Wahrheit.“ Die Obriſtin mäßigte ſich. „Der Herr Geheime¬ rath ſei eine obrigkeitliche Perſon, und mit genialiſchen Herren müſſe man's anders nehmen. Und wenn er keine Reſpectsperſon wäre, und nicht ſo viele vor¬ nehme Freunde und Verwandte hätte, dann ſäße er jetzt, Gott weiß wo. Und das einzige, was man ihm nachſagen könnte, wäre ſeine Köchin. Gegen die Charlotte wäre ſchon ſonſt nichts zu ſagen, denn ſie wäre ein braves Mädchen, aber für einen vornehmen Herrn ſchicke ſich das nicht, ſo was im Hauſe zu haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/291
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/291>, abgerufen am 24.11.2024.