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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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Charakter angenommen. Den Pöbel kitzelte die wilde
Lust, hier die Nemesis zu spielen, zerstören zu können.
Die Träger der Effecten des Predigers, die er in
aller Hast hinunterschaffen ließ, fanden auf Treppen
und Thüren kaum Durchweg; man wollte unter¬
suchen, ob nichts Verdächtiges damit entschlüpfe.
Rohe Witzworte begleiteten diese Improvisation; noch
ärgere Invectiven schallten von der Straße, denn das
Gerücht von dem, was im Hause sich zugetragen,
wuchs natürlich je entfernter man davon stand. Die
Schwadronen zogen ab, und das von den Blasein¬
strumenten angestimmte Lied: "Ach du lieber Augustin,"
dröhnte als Parodie durch das Getöse. Da hatte die
Obristin, die nicht nach dem Geldbeutel griff, denn
sie sah, es war hier mehr verspielt, eine unbeschreib¬
liche Wuth ergriffen. Die Larve der Sanftmuth und
Gleisnerei war abgefallen, die innerste Natur des
gemeinen Weibes hatte sich herausgekehrt und ihre
funkelnden Augen und fletschenden Zähne suchten
nach einem Gegenstande der Rache. Sie hatte ihn
gefunden. Den Geistlichen hatte sie mit dem Ellen¬
bogen und einem Schimpfwort bei Seite geschoben,
die "Natterbrut an ihrem Busen," die ihr so mit
Undank gelohnt, die den Störenfried versteckt, sollte
es entgelten. Aber stand der nicht selbst vor ihr, der
all das Unglück angerichtet, -- mit seinen bösen,
schönen Augen? Sprach sie's aus, oder sah sie's an
ihren gespitzten Fingern, an den gehobnen Armen,
die Hyäne auf dem Sprunge? Jüllis Augen blitzten

Charakter angenommen. Den Pöbel kitzelte die wilde
Luſt, hier die Nemeſis zu ſpielen, zerſtören zu können.
Die Träger der Effecten des Predigers, die er in
aller Haſt hinunterſchaffen ließ, fanden auf Treppen
und Thüren kaum Durchweg; man wollte unter¬
ſuchen, ob nichts Verdächtiges damit entſchlüpfe.
Rohe Witzworte begleiteten dieſe Improviſation; noch
ärgere Invectiven ſchallten von der Straße, denn das
Gerücht von dem, was im Hauſe ſich zugetragen,
wuchs natürlich je entfernter man davon ſtand. Die
Schwadronen zogen ab, und das von den Blaſein¬
ſtrumenten angeſtimmte Lied: „Ach du lieber Auguſtin,“
dröhnte als Parodie durch das Getöſe. Da hatte die
Obriſtin, die nicht nach dem Geldbeutel griff, denn
ſie ſah, es war hier mehr verſpielt, eine unbeſchreib¬
liche Wuth ergriffen. Die Larve der Sanftmuth und
Gleiſnerei war abgefallen, die innerſte Natur des
gemeinen Weibes hatte ſich herausgekehrt und ihre
funkelnden Augen und fletſchenden Zähne ſuchten
nach einem Gegenſtande der Rache. Sie hatte ihn
gefunden. Den Geiſtlichen hatte ſie mit dem Ellen¬
bogen und einem Schimpfwort bei Seite geſchoben,
die „Natterbrut an ihrem Buſen,“ die ihr ſo mit
Undank gelohnt, die den Störenfried verſteckt, ſollte
es entgelten. Aber ſtand der nicht ſelbſt vor ihr, der
all das Unglück angerichtet, — mit ſeinen böſen,
ſchönen Augen? Sprach ſie's aus, oder ſah ſie's an
ihren geſpitzten Fingern, an den gehobnen Armen,
die Hyäne auf dem Sprunge? Jüllis Augen blitzten

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[304/0318] Charakter angenommen. Den Pöbel kitzelte die wilde Luſt, hier die Nemeſis zu ſpielen, zerſtören zu können. Die Träger der Effecten des Predigers, die er in aller Haſt hinunterſchaffen ließ, fanden auf Treppen und Thüren kaum Durchweg; man wollte unter¬ ſuchen, ob nichts Verdächtiges damit entſchlüpfe. Rohe Witzworte begleiteten dieſe Improviſation; noch ärgere Invectiven ſchallten von der Straße, denn das Gerücht von dem, was im Hauſe ſich zugetragen, wuchs natürlich je entfernter man davon ſtand. Die Schwadronen zogen ab, und das von den Blaſein¬ ſtrumenten angeſtimmte Lied: „Ach du lieber Auguſtin,“ dröhnte als Parodie durch das Getöſe. Da hatte die Obriſtin, die nicht nach dem Geldbeutel griff, denn ſie ſah, es war hier mehr verſpielt, eine unbeſchreib¬ liche Wuth ergriffen. Die Larve der Sanftmuth und Gleiſnerei war abgefallen, die innerſte Natur des gemeinen Weibes hatte ſich herausgekehrt und ihre funkelnden Augen und fletſchenden Zähne ſuchten nach einem Gegenſtande der Rache. Sie hatte ihn gefunden. Den Geiſtlichen hatte ſie mit dem Ellen¬ bogen und einem Schimpfwort bei Seite geſchoben, die „Natterbrut an ihrem Buſen,“ die ihr ſo mit Undank gelohnt, die den Störenfried verſteckt, ſollte es entgelten. Aber ſtand der nicht ſelbſt vor ihr, der all das Unglück angerichtet, — mit ſeinen böſen, ſchönen Augen? Sprach ſie's aus, oder ſah ſie's an ihren geſpitzten Fingern, an den gehobnen Armen, die Hyäne auf dem Sprunge? Jüllis Augen blitzten

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/318>, abgerufen am 24.11.2024.