lächelte über den närrischen Gedanken, daß sie Johann auffordern könnte, sich in den Wagen zu setzen. Aber sie dachte über die Zukunft des Menschen nach. Er litt nicht vom Regen, sondern an einer innern Krank¬ heit, deren gelegentliche Ausbrüche nur in Fieber¬ anfällen sich zeigten. Sie glaubte etwas von der Arzneikunde zu verstehen, und den Schluß ziehen zu dürfen, daß er nie vollständig genesen werde. Was wird nun aus solchem Menschen? Eine Zeitlang hält man es noch mit ihm aus. Wenn er aber immer wieder zurückfällt, muß man ihn entlassen. Dann findet er wohl noch einen Dienst. Aber auf wie lange? Die neuen Herrschaften werden nicht so lange Ge¬ duld mit ihm haben. Er wandert ins Krankenhaus, vielleicht ins Spital, vielleicht auf die Gasse. Und wäre es ihm nicht besser, wenn er durch einen Blut¬ sturz, eine radicale Erkältung, ein rasches Ende fände. Er ist auch eine verfehlte Existenz!
Sie schauderte und verfiel in ein Sinnen, dem die Ausdrücke fehlten, bis der Wagen vor dem er¬ leuchteten Hause hielt.
lächelte über den närriſchen Gedanken, daß ſie Johann auffordern könnte, ſich in den Wagen zu ſetzen. Aber ſie dachte über die Zukunft des Menſchen nach. Er litt nicht vom Regen, ſondern an einer innern Krank¬ heit, deren gelegentliche Ausbrüche nur in Fieber¬ anfällen ſich zeigten. Sie glaubte etwas von der Arzneikunde zu verſtehen, und den Schluß ziehen zu dürfen, daß er nie vollſtändig geneſen werde. Was wird nun aus ſolchem Menſchen? Eine Zeitlang hält man es noch mit ihm aus. Wenn er aber immer wieder zurückfällt, muß man ihn entlaſſen. Dann findet er wohl noch einen Dienſt. Aber auf wie lange? Die neuen Herrſchaften werden nicht ſo lange Ge¬ duld mit ihm haben. Er wandert ins Krankenhaus, vielleicht ins Spital, vielleicht auf die Gaſſe. Und wäre es ihm nicht beſſer, wenn er durch einen Blut¬ ſturz, eine radicale Erkältung, ein raſches Ende fände. Er iſt auch eine verfehlte Exiſtenz!
Sie ſchauderte und verfiel in ein Sinnen, dem die Ausdrücke fehlten, bis der Wagen vor dem er¬ leuchteten Hauſe hielt.
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lächelte über den närriſchen Gedanken, daß ſie Johann
auffordern könnte, ſich in den Wagen zu ſetzen. Aber
ſie dachte über die Zukunft des Menſchen nach. Er
litt nicht vom Regen, ſondern an einer innern Krank¬
heit, deren gelegentliche Ausbrüche nur in Fieber¬
anfällen ſich zeigten. Sie glaubte etwas von der
Arzneikunde zu verſtehen, und den Schluß ziehen zu
dürfen, daß er nie vollſtändig geneſen werde. Was
wird nun aus ſolchem Menſchen? Eine Zeitlang hält
man es noch mit ihm aus. Wenn er aber immer
wieder zurückfällt, muß man ihn entlaſſen. Dann
findet er wohl noch einen Dienſt. Aber auf wie lange?
Die neuen Herrſchaften werden nicht ſo lange Ge¬
duld mit ihm haben. Er wandert ins Krankenhaus,
vielleicht ins Spital, vielleicht auf die Gaſſe. Und
wäre es ihm nicht beſſer, wenn er durch einen Blut¬
ſturz, eine radicale Erkältung, ein raſches Ende fände.
Er iſt auch eine verfehlte Exiſtenz!
Sie ſchauderte und verfiel in ein Sinnen, dem
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/52>, abgerufen am 24.11.2024.
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