lieber Gesellschaft weiß. Du mußt Dich aufheitern nur um meinetwillen. Da kann man denn nicht widerstehen."
"Man muß gestehen, unsre Frau Geheimräthin Lupinus ist das Muster einer Hausfrau, sagte der Wirth, und diese Ehe eine exemplarische. Man wird nicht viele in Berlin so finden."
"Mit Ausnahme doch!" sagte die Geheimräthin Wirthin, und die Geheimräthin Gast schlang sanft den Arm um ihre Schulter: "Ich kenne eine Aus¬ nahme. Was unsere Ehe betrifft, so möchte ich ihr nur darin einen kleinen Vorzug beimessen, daß wir uns so innig verstehen, ohne es auszusprechen. Wir gehen eigentlich jeder seinen eigenen Weg, was ge¬ wiß zu Mißdeutungen Anlaß giebt, aber jeder fühlt für den andern mit, er verfolgt ihn still in den Ge¬ danken, jeder ist unsichtbar beim andern. Wir wissen oft nicht, woher diese Sympathie kommt, doch sie ist da. So in diesem Augenblick. Das Vergnügen in dieser liebenswürdigen Gesellschaft zu sein, ist mir gestört, weil ich weiß, mein Mann hat nicht die Augen geschlossen und ruht nicht, wie er mir versprach, im Lehnstuhl aus, sondern er hat wieder seine Folianten vorgenommen, er vergleicht zwei alte Handschriften, er bückt sich über, er drückt die Feder, während der Angstschweiß ihm von der Stirne träuft, weil er sich die Abweichung in einer Lesart nicht erklären kann. Ich sehe das alles so deutlich vor mir wie den Piqueas in Ihrer Hand --"
lieber Geſellſchaft weiß. Du mußt Dich aufheitern nur um meinetwillen. Da kann man denn nicht widerſtehen.“
„Man muß geſtehen, unſre Frau Geheimräthin Lupinus iſt das Muſter einer Hausfrau, ſagte der Wirth, und dieſe Ehe eine exemplariſche. Man wird nicht viele in Berlin ſo finden.“
„Mit Ausnahme doch!“ ſagte die Geheimräthin Wirthin, und die Geheimräthin Gaſt ſchlang ſanft den Arm um ihre Schulter: „Ich kenne eine Aus¬ nahme. Was unſere Ehe betrifft, ſo möchte ich ihr nur darin einen kleinen Vorzug beimeſſen, daß wir uns ſo innig verſtehen, ohne es auszuſprechen. Wir gehen eigentlich jeder ſeinen eigenen Weg, was ge¬ wiß zu Mißdeutungen Anlaß giebt, aber jeder fühlt für den andern mit, er verfolgt ihn ſtill in den Ge¬ danken, jeder iſt unſichtbar beim andern. Wir wiſſen oft nicht, woher dieſe Sympathie kommt, doch ſie iſt da. So in dieſem Augenblick. Das Vergnügen in dieſer liebenswürdigen Geſellſchaft zu ſein, iſt mir geſtört, weil ich weiß, mein Mann hat nicht die Augen geſchloſſen und ruht nicht, wie er mir verſprach, im Lehnſtuhl aus, ſondern er hat wieder ſeine Folianten vorgenommen, er vergleicht zwei alte Handſchriften, er bückt ſich über, er drückt die Feder, während der Angſtſchweiß ihm von der Stirne träuft, weil er ſich die Abweichung in einer Lesart nicht erklären kann. Ich ſehe das alles ſo deutlich vor mir wie den Piqueas in Ihrer Hand —“
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lieber Geſellſchaft weiß. Du mußt Dich aufheitern
nur um meinetwillen. Da kann man denn nicht
widerſtehen.“
„Man muß geſtehen, unſre Frau Geheimräthin
Lupinus iſt das Muſter einer Hausfrau, ſagte der
Wirth, und dieſe Ehe eine exemplariſche. Man wird
nicht viele in Berlin ſo finden.“
„Mit Ausnahme doch!“ ſagte die Geheimräthin
Wirthin, und die Geheimräthin Gaſt ſchlang ſanft
den Arm um ihre Schulter: „Ich kenne eine Aus¬
nahme. Was unſere Ehe betrifft, ſo möchte ich ihr
nur darin einen kleinen Vorzug beimeſſen, daß wir
uns ſo innig verſtehen, ohne es auszuſprechen. Wir
gehen eigentlich jeder ſeinen eigenen Weg, was ge¬
wiß zu Mißdeutungen Anlaß giebt, aber jeder fühlt
für den andern mit, er verfolgt ihn ſtill in den Ge¬
danken, jeder iſt unſichtbar beim andern. Wir wiſſen
oft nicht, woher dieſe Sympathie kommt, doch ſie
iſt da. So in dieſem Augenblick. Das Vergnügen
in dieſer liebenswürdigen Geſellſchaft zu ſein, iſt mir
geſtört, weil ich weiß, mein Mann hat nicht die Augen
geſchloſſen und ruht nicht, wie er mir verſprach, im
Lehnſtuhl aus, ſondern er hat wieder ſeine Folianten
vorgenommen, er vergleicht zwei alte Handſchriften,
er bückt ſich über, er drückt die Feder, während der
Angſtſchweiß ihm von der Stirne träuft, weil er ſich
die Abweichung in einer Lesart nicht erklären kann.
Ich ſehe das alles ſo deutlich vor mir wie den Piqueas
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/55>, abgerufen am 21.11.2024.
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