war zu niedrig. Sie schleppte mit Anstrengung einen Tisch heran. Warum that sie es mit angehaltenem Athem, warum bemühte sie sich, ja kein Geräusch zu machen? Warum schlich sie auf den Zehen, da sie schon in bloßen Füßen ging? Warum pochte ihr Herz, als sie auf den Stuhl und vom Stuhl auf den Tisch stieg? Die Spinne regte sich nicht. Nur das Gewebe schaukelte etwas, wie eine Hangematte vom Hauch des Lichtes angeregt. Draußen rausch¬ ten wieder die Aeste. Hätten sie die Spinne geweckt, vielleicht hätte die Geheimräthin sie geschont. Was schonen! Morgen vollbrachte es der Besen der Magd.
Wer ihr ins Gesicht gesehen, wie die Augen glänzten, die Lippen sich krampfhaft verzogen! Jetzt war's geschehen. Ein Knistern. Die Spinne zu¬ sammenglühend, schien sich noch einmal zu krümmen, dann flackte das Netz in leichten Flammen auf und der verkohlende Körper schwebte nieder. Die Ge¬ heimräthin schloß, krampfhaft zurückfahrend, die Au¬ gen, als sie einen heftigen Schmerz empfand. Die schief gehaltene Kerze hatte einen heißen Wachstropfen auf ihren bloßen Fuß gespritzt.
Die Aeste rauschten zum dritten Mal. Es war der Grabesgesang. "Die hat ausgelitten! Sie empfin¬ det keinen Schmerz mehr! Und wie leicht und schnell!" sagte die Geheimräthin. Ihr Fuß mußte sie ja noch morgen bei der zarten Complexion ihres Körpers empfindlich schmerzen.
Jetzt aber schmerzte er sie nicht. Sie empfand
war zu niedrig. Sie ſchleppte mit Anſtrengung einen Tiſch heran. Warum that ſie es mit angehaltenem Athem, warum bemühte ſie ſich, ja kein Geräuſch zu machen? Warum ſchlich ſie auf den Zehen, da ſie ſchon in bloßen Füßen ging? Warum pochte ihr Herz, als ſie auf den Stuhl und vom Stuhl auf den Tiſch ſtieg? Die Spinne regte ſich nicht. Nur das Gewebe ſchaukelte etwas, wie eine Hangematte vom Hauch des Lichtes angeregt. Draußen rauſch¬ ten wieder die Aeſte. Hätten ſie die Spinne geweckt, vielleicht hätte die Geheimräthin ſie geſchont. Was ſchonen! Morgen vollbrachte es der Beſen der Magd.
Wer ihr ins Geſicht geſehen, wie die Augen glänzten, die Lippen ſich krampfhaft verzogen! Jetzt war's geſchehen. Ein Kniſtern. Die Spinne zu¬ ſammenglühend, ſchien ſich noch einmal zu krümmen, dann flackte das Netz in leichten Flammen auf und der verkohlende Körper ſchwebte nieder. Die Ge¬ heimräthin ſchloß, krampfhaft zurückfahrend, die Au¬ gen, als ſie einen heftigen Schmerz empfand. Die ſchief gehaltene Kerze hatte einen heißen Wachstropfen auf ihren bloßen Fuß geſpritzt.
Die Aeſte rauſchten zum dritten Mal. Es war der Grabesgeſang. „Die hat ausgelitten! Sie empfin¬ det keinen Schmerz mehr! Und wie leicht und ſchnell!“ ſagte die Geheimräthin. Ihr Fuß mußte ſie ja noch morgen bei der zarten Complexion ihres Körpers empfindlich ſchmerzen.
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war zu niedrig. Sie ſchleppte mit Anſtrengung einen
Tiſch heran. Warum that ſie es mit angehaltenem
Athem, warum bemühte ſie ſich, ja kein Geräuſch zu
machen? Warum ſchlich ſie auf den Zehen, da ſie
ſchon in bloßen Füßen ging? Warum pochte ihr
Herz, als ſie auf den Stuhl und vom Stuhl auf
den Tiſch ſtieg? Die Spinne regte ſich nicht. Nur
das Gewebe ſchaukelte etwas, wie eine Hangematte
vom Hauch des Lichtes angeregt. Draußen rauſch¬
ten wieder die Aeſte. Hätten ſie die Spinne geweckt,
vielleicht hätte die Geheimräthin ſie geſchont. Was
ſchonen! Morgen vollbrachte es der Beſen der Magd.
Wer ihr ins Geſicht geſehen, wie die Augen
glänzten, die Lippen ſich krampfhaft verzogen! Jetzt
war's geſchehen. Ein Kniſtern. Die Spinne zu¬
ſammenglühend, ſchien ſich noch einmal zu krümmen,
dann flackte das Netz in leichten Flammen auf und
der verkohlende Körper ſchwebte nieder. Die Ge¬
heimräthin ſchloß, krampfhaft zurückfahrend, die Au¬
gen, als ſie einen heftigen Schmerz empfand. Die
ſchief gehaltene Kerze hatte einen heißen Wachstropfen
auf ihren bloßen Fuß geſpritzt.
Die Aeſte rauſchten zum dritten Mal. Es war
der Grabesgeſang. „Die hat ausgelitten! Sie empfin¬
det keinen Schmerz mehr! Und wie leicht und ſchnell!“
ſagte die Geheimräthin. Ihr Fuß mußte ſie ja noch
morgen bei der zarten Complexion ihres Körpers
empfindlich ſchmerzen.
Jetzt aber ſchmerzte er ſie nicht. Sie empfand
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/86>, abgerufen am 21.11.2024.
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