Die Geheimräthin hatte dagegen nur zwei Ein¬ wendungen. Es sei doch besser, den Staub mit allen Vorsichtsmaßregeln für die Gesundheit, als da sind nasse Tücher, Handbesen, feuchter Sand und geöffnete Fenster, durch einen raschen, wohlgeleiteten Angriff bewältigen, als abzuwarten bis eine zufällige Gelegenheit diesen Feind der Gesundheit von selbst in Aufruhr bringt. Demnächst, wenn er immer liegen bleibt, verderbe er die Bücher selbst, und darunter Raritäten, die unersetzlich wären.
Das letztere Argument hatte angeschlagen. Wenn Menschen sterben, werden andere dafür geboren, sel¬ tene Ausgaben, Incunabeln, gehen unter, um nie wieder geboren zu werden.
Hinsichts des ersteren Argumentes hatte er manche Bedenken gehabt. Die Vorsicht, die man beim ge¬ fährlichen Ausstäuben anwende, könne besser darauf verwandt werden, daß man jeden Anlaß vermeide, der den Staub aufregt: wenn man leise gehe, leise spreche, sich jeder heftigen Bewegung enthalte, was überhaupt zur Conservation des Lebens zuträglich sei. Denn das eigentliche Gift des Lebensorganismus seien die Affecte, weit gefährlicher als üble Ange¬ wöhnungen, selbst als Laster. Deshalb hatte er an den Fenstern doppelte Reiber anbringen und Tuch¬ ecken an die Seiten anschlagen lassen, auch eine Doppelthür vor das Vorzimmer, und die gesteppte Tuchdecke verhinderte jede Erschütterung beim Gehen.
"Sie vergessen nur, hatte die Geheimeräthin er¬
Die Geheimräthin hatte dagegen nur zwei Ein¬ wendungen. Es ſei doch beſſer, den Staub mit allen Vorſichtsmaßregeln für die Geſundheit, als da ſind naſſe Tücher, Handbeſen, feuchter Sand und geöffnete Fenſter, durch einen raſchen, wohlgeleiteten Angriff bewältigen, als abzuwarten bis eine zufällige Gelegenheit dieſen Feind der Geſundheit von ſelbſt in Aufruhr bringt. Demnächſt, wenn er immer liegen bleibt, verderbe er die Bücher ſelbſt, und darunter Raritäten, die unerſetzlich wären.
Das letztere Argument hatte angeſchlagen. Wenn Menſchen ſterben, werden andere dafür geboren, ſel¬ tene Ausgaben, Incunabeln, gehen unter, um nie wieder geboren zu werden.
Hinſichts des erſteren Argumentes hatte er manche Bedenken gehabt. Die Vorſicht, die man beim ge¬ fährlichen Ausſtäuben anwende, könne beſſer darauf verwandt werden, daß man jeden Anlaß vermeide, der den Staub aufregt: wenn man leiſe gehe, leiſe ſpreche, ſich jeder heftigen Bewegung enthalte, was überhaupt zur Conſervation des Lebens zuträglich ſei. Denn das eigentliche Gift des Lebensorganismus ſeien die Affecte, weit gefährlicher als üble Ange¬ wöhnungen, ſelbſt als Laſter. Deshalb hatte er an den Fenſtern doppelte Reiber anbringen und Tuch¬ ecken an die Seiten anſchlagen laſſen, auch eine Doppelthür vor das Vorzimmer, und die geſteppte Tuchdecke verhinderte jede Erſchütterung beim Gehen.
„Sie vergeſſen nur, hatte die Geheimeräthin er¬
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0012"n="2"/><p>Die Geheimräthin hatte dagegen nur zwei Ein¬<lb/>
wendungen. Es ſei doch beſſer, den Staub mit<lb/>
allen Vorſichtsmaßregeln für die Geſundheit, als da<lb/>ſind naſſe Tücher, Handbeſen, feuchter Sand und<lb/>
geöffnete Fenſter, durch einen raſchen, wohlgeleiteten<lb/>
Angriff bewältigen, als abzuwarten bis eine zufällige<lb/>
Gelegenheit dieſen Feind der Geſundheit von ſelbſt<lb/>
in Aufruhr bringt. Demnächſt, wenn er immer liegen<lb/>
bleibt, verderbe er die Bücher ſelbſt, und darunter<lb/>
Raritäten, die unerſetzlich wären.</p><lb/><p>Das letztere Argument hatte angeſchlagen. Wenn<lb/>
Menſchen ſterben, werden andere dafür geboren, ſel¬<lb/>
tene Ausgaben, Incunabeln, gehen unter, um nie<lb/>
wieder geboren zu werden.</p><lb/><p>Hinſichts des erſteren Argumentes hatte er manche<lb/>
Bedenken gehabt. Die Vorſicht, die man beim ge¬<lb/>
fährlichen Ausſtäuben anwende, könne beſſer darauf<lb/>
verwandt werden, daß man jeden Anlaß vermeide,<lb/>
der den Staub aufregt: wenn man leiſe gehe, leiſe<lb/>ſpreche, ſich jeder heftigen Bewegung enthalte, was<lb/>
überhaupt zur Conſervation des Lebens zuträglich ſei.<lb/>
Denn das eigentliche Gift des Lebensorganismus<lb/>ſeien die Affecte, weit gefährlicher als üble Ange¬<lb/>
wöhnungen, ſelbſt als Laſter. Deshalb hatte er an<lb/>
den Fenſtern doppelte Reiber anbringen und Tuch¬<lb/>
ecken an die Seiten anſchlagen laſſen, auch eine<lb/>
Doppelthür vor das Vorzimmer, und die geſteppte<lb/>
Tuchdecke verhinderte jede Erſchütterung beim Gehen.</p><lb/><p>„Sie vergeſſen nur, hatte die Geheimeräthin er¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[2/0012]
Die Geheimräthin hatte dagegen nur zwei Ein¬
wendungen. Es ſei doch beſſer, den Staub mit
allen Vorſichtsmaßregeln für die Geſundheit, als da
ſind naſſe Tücher, Handbeſen, feuchter Sand und
geöffnete Fenſter, durch einen raſchen, wohlgeleiteten
Angriff bewältigen, als abzuwarten bis eine zufällige
Gelegenheit dieſen Feind der Geſundheit von ſelbſt
in Aufruhr bringt. Demnächſt, wenn er immer liegen
bleibt, verderbe er die Bücher ſelbſt, und darunter
Raritäten, die unerſetzlich wären.
Das letztere Argument hatte angeſchlagen. Wenn
Menſchen ſterben, werden andere dafür geboren, ſel¬
tene Ausgaben, Incunabeln, gehen unter, um nie
wieder geboren zu werden.
Hinſichts des erſteren Argumentes hatte er manche
Bedenken gehabt. Die Vorſicht, die man beim ge¬
fährlichen Ausſtäuben anwende, könne beſſer darauf
verwandt werden, daß man jeden Anlaß vermeide,
der den Staub aufregt: wenn man leiſe gehe, leiſe
ſpreche, ſich jeder heftigen Bewegung enthalte, was
überhaupt zur Conſervation des Lebens zuträglich ſei.
Denn das eigentliche Gift des Lebensorganismus
ſeien die Affecte, weit gefährlicher als üble Ange¬
wöhnungen, ſelbſt als Laſter. Deshalb hatte er an
den Fenſtern doppelte Reiber anbringen und Tuch¬
ecken an die Seiten anſchlagen laſſen, auch eine
Doppelthür vor das Vorzimmer, und die geſteppte
Tuchdecke verhinderte jede Erſchütterung beim Gehen.
„Sie vergeſſen nur, hatte die Geheimeräthin er¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/12>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.