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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

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Die Geheimräthin hatte dagegen nur zwei Ein¬
wendungen. Es sei doch besser, den Staub mit
allen Vorsichtsmaßregeln für die Gesundheit, als da
sind nasse Tücher, Handbesen, feuchter Sand und
geöffnete Fenster, durch einen raschen, wohlgeleiteten
Angriff bewältigen, als abzuwarten bis eine zufällige
Gelegenheit diesen Feind der Gesundheit von selbst
in Aufruhr bringt. Demnächst, wenn er immer liegen
bleibt, verderbe er die Bücher selbst, und darunter
Raritäten, die unersetzlich wären.

Das letztere Argument hatte angeschlagen. Wenn
Menschen sterben, werden andere dafür geboren, sel¬
tene Ausgaben, Incunabeln, gehen unter, um nie
wieder geboren zu werden.

Hinsichts des ersteren Argumentes hatte er manche
Bedenken gehabt. Die Vorsicht, die man beim ge¬
fährlichen Ausstäuben anwende, könne besser darauf
verwandt werden, daß man jeden Anlaß vermeide,
der den Staub aufregt: wenn man leise gehe, leise
spreche, sich jeder heftigen Bewegung enthalte, was
überhaupt zur Conservation des Lebens zuträglich sei.
Denn das eigentliche Gift des Lebensorganismus
seien die Affecte, weit gefährlicher als üble Ange¬
wöhnungen, selbst als Laster. Deshalb hatte er an
den Fenstern doppelte Reiber anbringen und Tuch¬
ecken an die Seiten anschlagen lassen, auch eine
Doppelthür vor das Vorzimmer, und die gesteppte
Tuchdecke verhinderte jede Erschütterung beim Gehen.

"Sie vergessen nur, hatte die Geheimeräthin er¬

Die Geheimräthin hatte dagegen nur zwei Ein¬
wendungen. Es ſei doch beſſer, den Staub mit
allen Vorſichtsmaßregeln für die Geſundheit, als da
ſind naſſe Tücher, Handbeſen, feuchter Sand und
geöffnete Fenſter, durch einen raſchen, wohlgeleiteten
Angriff bewältigen, als abzuwarten bis eine zufällige
Gelegenheit dieſen Feind der Geſundheit von ſelbſt
in Aufruhr bringt. Demnächſt, wenn er immer liegen
bleibt, verderbe er die Bücher ſelbſt, und darunter
Raritäten, die unerſetzlich wären.

Das letztere Argument hatte angeſchlagen. Wenn
Menſchen ſterben, werden andere dafür geboren, ſel¬
tene Ausgaben, Incunabeln, gehen unter, um nie
wieder geboren zu werden.

Hinſichts des erſteren Argumentes hatte er manche
Bedenken gehabt. Die Vorſicht, die man beim ge¬
fährlichen Ausſtäuben anwende, könne beſſer darauf
verwandt werden, daß man jeden Anlaß vermeide,
der den Staub aufregt: wenn man leiſe gehe, leiſe
ſpreche, ſich jeder heftigen Bewegung enthalte, was
überhaupt zur Conſervation des Lebens zuträglich ſei.
Denn das eigentliche Gift des Lebensorganismus
ſeien die Affecte, weit gefährlicher als üble Ange¬
wöhnungen, ſelbſt als Laſter. Deshalb hatte er an
den Fenſtern doppelte Reiber anbringen und Tuch¬
ecken an die Seiten anſchlagen laſſen, auch eine
Doppelthür vor das Vorzimmer, und die geſteppte
Tuchdecke verhinderte jede Erſchütterung beim Gehen.

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[2/0012] Die Geheimräthin hatte dagegen nur zwei Ein¬ wendungen. Es ſei doch beſſer, den Staub mit allen Vorſichtsmaßregeln für die Geſundheit, als da ſind naſſe Tücher, Handbeſen, feuchter Sand und geöffnete Fenſter, durch einen raſchen, wohlgeleiteten Angriff bewältigen, als abzuwarten bis eine zufällige Gelegenheit dieſen Feind der Geſundheit von ſelbſt in Aufruhr bringt. Demnächſt, wenn er immer liegen bleibt, verderbe er die Bücher ſelbſt, und darunter Raritäten, die unerſetzlich wären. Das letztere Argument hatte angeſchlagen. Wenn Menſchen ſterben, werden andere dafür geboren, ſel¬ tene Ausgaben, Incunabeln, gehen unter, um nie wieder geboren zu werden. Hinſichts des erſteren Argumentes hatte er manche Bedenken gehabt. Die Vorſicht, die man beim ge¬ fährlichen Ausſtäuben anwende, könne beſſer darauf verwandt werden, daß man jeden Anlaß vermeide, der den Staub aufregt: wenn man leiſe gehe, leiſe ſpreche, ſich jeder heftigen Bewegung enthalte, was überhaupt zur Conſervation des Lebens zuträglich ſei. Denn das eigentliche Gift des Lebensorganismus ſeien die Affecte, weit gefährlicher als üble Ange¬ wöhnungen, ſelbſt als Laſter. Deshalb hatte er an den Fenſtern doppelte Reiber anbringen und Tuch¬ ecken an die Seiten anſchlagen laſſen, auch eine Doppelthür vor das Vorzimmer, und die geſteppte Tuchdecke verhinderte jede Erſchütterung beim Gehen. „Sie vergeſſen nur, hatte die Geheimeräthin er¬

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/12>, abgerufen am 21.11.2024.