die summenden Stimmen der Völker versteht, Phöbus geweihter Priester hört den Gesang der Sterne --"
"Mamsell der Salat!" flüsterte Johanns zitternde Stimme, aber er getraute sich nicht mehr den Napf zu tragen. Die Geheimräthin war beim Anfang der Tafel wieder umgestimmt geworden, denn die Stim¬ mung der Gesellschaft war entschieden für den Dichter, und die Lupinus theilte nicht die Besorgniß des Ge¬ nerals. Im Gegentheil schien ihr eine derartige Ma¬ nifestation jetzt als ein Ehrenpunkt. Aber Jean Paul hatte ihr bei Tafel gar keine Aufmerksamkeit erwiesen. Er schwärmte in eignen Gefühlen, seine Compli¬ mente waren nur an ihre Tochter gerichtet. Sie wollte es ihn empfinden lassen, und ihre Lippen hatten sich zu einigen spitzen Worten gespitzt, die mit dem Stichwort schließen sollten, auf welches Adelheid ein¬ zufallen hätte, als diese unerwartet, gegen die Ver¬ abredung von einem Impuls sich hinreißen ließ. Un¬ glücklich fügte sich auch hier alles, der kranke Johann stotterte zur Linken die Worte, während einer der so¬ genannten "Ausgestopften," das heißt der gemietheten Lakaien, ihr zur Rechten den Salatnapf überreichte. Es war derselbe Lakai, dessen funkelnde Augen sie vorhin erschreckt. Adelheid ergriff in ihrer Extase den Napf und statt ihn niederzustellen, hob sie ihn wie eine Opfervase empor -- "Und er der geweihte Priester hebt die Schaale den Göttern entgegen" -- fuhr sie in der Rolle fort, entnommen aus irgend einer Dithyrambe der Jean Paul'schen Poesie, die
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die ſummenden Stimmen der Völker verſteht, Phöbus geweihter Prieſter hört den Geſang der Sterne —“
„Mamſell der Salat!“ flüſterte Johanns zitternde Stimme, aber er getraute ſich nicht mehr den Napf zu tragen. Die Geheimräthin war beim Anfang der Tafel wieder umgeſtimmt geworden, denn die Stim¬ mung der Geſellſchaft war entſchieden für den Dichter, und die Lupinus theilte nicht die Beſorgniß des Ge¬ nerals. Im Gegentheil ſchien ihr eine derartige Ma¬ nifeſtation jetzt als ein Ehrenpunkt. Aber Jean Paul hatte ihr bei Tafel gar keine Aufmerkſamkeit erwieſen. Er ſchwärmte in eignen Gefühlen, ſeine Compli¬ mente waren nur an ihre Tochter gerichtet. Sie wollte es ihn empfinden laſſen, und ihre Lippen hatten ſich zu einigen ſpitzen Worten geſpitzt, die mit dem Stichwort ſchließen ſollten, auf welches Adelheid ein¬ zufallen hätte, als dieſe unerwartet, gegen die Ver¬ abredung von einem Impuls ſich hinreißen ließ. Un¬ glücklich fügte ſich auch hier alles, der kranke Johann ſtotterte zur Linken die Worte, während einer der ſo¬ genannten „Ausgeſtopften,“ das heißt der gemietheten Lakaien, ihr zur Rechten den Salatnapf überreichte. Es war derſelbe Lakai, deſſen funkelnde Augen ſie vorhin erſchreckt. Adelheid ergriff in ihrer Extaſe den Napf und ſtatt ihn niederzuſtellen, hob ſie ihn wie eine Opfervaſe empor — „Und er der geweihte Prieſter hebt die Schaale den Göttern entgegen“ — fuhr ſie in der Rolle fort, entnommen aus irgend einer Dithyrambe der Jean Paul'ſchen Poeſie, die
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die ſummenden Stimmen der Völker verſteht, Phöbus
geweihter Prieſter hört den Geſang der Sterne —“
„Mamſell der Salat!“ flüſterte Johanns zitternde
Stimme, aber er getraute ſich nicht mehr den Napf
zu tragen. Die Geheimräthin war beim Anfang der
Tafel wieder umgeſtimmt geworden, denn die Stim¬
mung der Geſellſchaft war entſchieden für den Dichter,
und die Lupinus theilte nicht die Beſorgniß des Ge¬
nerals. Im Gegentheil ſchien ihr eine derartige Ma¬
nifeſtation jetzt als ein Ehrenpunkt. Aber Jean Paul
hatte ihr bei Tafel gar keine Aufmerkſamkeit erwieſen.
Er ſchwärmte in eignen Gefühlen, ſeine Compli¬
mente waren nur an ihre Tochter gerichtet. Sie
wollte es ihn empfinden laſſen, und ihre Lippen hatten
ſich zu einigen ſpitzen Worten geſpitzt, die mit dem
Stichwort ſchließen ſollten, auf welches Adelheid ein¬
zufallen hätte, als dieſe unerwartet, gegen die Ver¬
abredung von einem Impuls ſich hinreißen ließ. Un¬
glücklich fügte ſich auch hier alles, der kranke Johann
ſtotterte zur Linken die Worte, während einer der ſo¬
genannten „Ausgeſtopften,“ das heißt der gemietheten
Lakaien, ihr zur Rechten den Salatnapf überreichte.
Es war derſelbe Lakai, deſſen funkelnde Augen ſie
vorhin erſchreckt. Adelheid ergriff in ihrer Extaſe den
Napf und ſtatt ihn niederzuſtellen, hob ſie ihn wie
eine Opfervaſe empor — „Und er der geweihte
Prieſter hebt die Schaale den Göttern entgegen“ —
fuhr ſie in der Rolle fort, entnommen aus irgend
einer Dithyrambe der Jean Paul'ſchen Poeſie, die
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/157>, abgerufen am 24.11.2024.
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