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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

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lassen haben; die Luft verrieth, daß die Fenster sehr
lange nicht geöffnet worden. Der chromatische Far¬
benspiegel der Scheiben, und die Spinneweben an
den Fensterecken gaben den vollgültigsten Beweis
dafür, daß, wie alle Passionen, auch die des Rein¬
lichkeitssinnes einem Wechsel unterworfen sind. Oder
es waren andere Gründe? Gerade diese Spinnen,
der schillernde Glanz der Scheiben, der Duft des
Unberührtseins war es, was dem Zimmer den Cha¬
racter sonntäglicher Heimlichkeit gab. Wohlverstan¬
den der sonntäglichen Heimlichkeit einer alten deut¬
schen Gelehrtenstube, in welche der Qualm des Ta¬
backs noch nicht eingedrungen und den Büchergeruch
noch nicht niedergedrückt hat. Und ganz zu dieser
Stube, will man sagen wie die Seele zum Körper,
oder die Spinne in ihrem Netze, paßte die Gestalt
des Geheimrathes, der den Kopf im Ellenbogen und
den Ellenbogen auf einem Folianten in ihrer Mitte
saß, wohlgefällig, zufrieden, schlau lächelnd.

So hatte er das Wort gesprochen: "Und wir behal¬
ten Frieden und Alles bleibt beim Alten!" als ein Seuf¬
zer aus der tiefen Stille des Zimmers ihm antwortete.

Der Geheimrath glaubte an keine Gespenster,
er sah auch nach keinem, als sein schlauer Blick
über das Regal, welches die Zweibrückner Horaze
trug, auf die schweinslederne Hinterwand fiel, wo
jemand auf der Leiter einen Folianten in der Hand wiegte.

"Gehören Sie auch zur Kriegspartei, mein Herr
van Asten?"

laſſen haben; die Luft verrieth, daß die Fenſter ſehr
lange nicht geöffnet worden. Der chromatiſche Far¬
benſpiegel der Scheiben, und die Spinneweben an
den Fenſterecken gaben den vollgültigſten Beweis
dafür, daß, wie alle Paſſionen, auch die des Rein¬
lichkeitsſinnes einem Wechſel unterworfen ſind. Oder
es waren andere Gründe? Gerade dieſe Spinnen,
der ſchillernde Glanz der Scheiben, der Duft des
Unberührtſeins war es, was dem Zimmer den Cha¬
racter ſonntäglicher Heimlichkeit gab. Wohlverſtan¬
den der ſonntäglichen Heimlichkeit einer alten deut¬
ſchen Gelehrtenſtube, in welche der Qualm des Ta¬
backs noch nicht eingedrungen und den Büchergeruch
noch nicht niedergedrückt hat. Und ganz zu dieſer
Stube, will man ſagen wie die Seele zum Körper,
oder die Spinne in ihrem Netze, paßte die Geſtalt
des Geheimrathes, der den Kopf im Ellenbogen und
den Ellenbogen auf einem Folianten in ihrer Mitte
ſaß, wohlgefällig, zufrieden, ſchlau lächelnd.

So hatte er das Wort geſprochen: „Und wir behal¬
ten Frieden und Alles bleibt beim Alten!“ als ein Seuf¬
zer aus der tiefen Stille des Zimmers ihm antwortete.

Der Geheimrath glaubte an keine Geſpenſter,
er ſah auch nach keinem, als ſein ſchlauer Blick
über das Regal, welches die Zweibrückner Horaze
trug, auf die ſchweinslederne Hinterwand fiel, wo
jemand auf der Leiter einen Folianten in der Hand wiegte.

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[6/0016] laſſen haben; die Luft verrieth, daß die Fenſter ſehr lange nicht geöffnet worden. Der chromatiſche Far¬ benſpiegel der Scheiben, und die Spinneweben an den Fenſterecken gaben den vollgültigſten Beweis dafür, daß, wie alle Paſſionen, auch die des Rein¬ lichkeitsſinnes einem Wechſel unterworfen ſind. Oder es waren andere Gründe? Gerade dieſe Spinnen, der ſchillernde Glanz der Scheiben, der Duft des Unberührtſeins war es, was dem Zimmer den Cha¬ racter ſonntäglicher Heimlichkeit gab. Wohlverſtan¬ den der ſonntäglichen Heimlichkeit einer alten deut¬ ſchen Gelehrtenſtube, in welche der Qualm des Ta¬ backs noch nicht eingedrungen und den Büchergeruch noch nicht niedergedrückt hat. Und ganz zu dieſer Stube, will man ſagen wie die Seele zum Körper, oder die Spinne in ihrem Netze, paßte die Geſtalt des Geheimrathes, der den Kopf im Ellenbogen und den Ellenbogen auf einem Folianten in ihrer Mitte ſaß, wohlgefällig, zufrieden, ſchlau lächelnd. So hatte er das Wort geſprochen: „Und wir behal¬ ten Frieden und Alles bleibt beim Alten!“ als ein Seuf¬ zer aus der tiefen Stille des Zimmers ihm antwortete. Der Geheimrath glaubte an keine Geſpenſter, er ſah auch nach keinem, als ſein ſchlauer Blick über das Regal, welches die Zweibrückner Horaze trug, auf die ſchweinslederne Hinterwand fiel, wo jemand auf der Leiter einen Folianten in der Hand wiegte. „Gehören Sie auch zur Kriegspartei, mein Herr van Aſten?“

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/16>, abgerufen am 21.11.2024.