Pharaonis Schaaren das rothe Meer -- wenn sie fühlt, mit diesem Rachekitzel der Menschheit selbst einen Dienst zu leisten! -- Sie kann nur morden im Traume!
Sie preßte ihre Hände an die heiße Stirn, als sie wieder ein Geräusch hörte. -- Das war Adelheids Stimme, hell -- wie ein Aufschrei. Es kam von weitem her, aber nicht weit genug, daß es von ihrem Zimmer sein konnte. Da kam ihr das Mädchen wieder in den Sinn. Sie hatte gar nicht an sie gedacht. Was war aus ihr geworden? Sie sann nach. Eine dunkle Vorstellung, daß man Hülfe! Sie brennt! gerufen. Sie durfte sich versengt haben. Von ihren Feinden war ja alles geschehen, der Sache einen Eclat zu geben. Aber der Ton kam wieder; nicht mehr ein Schrei, aber der bange tönende Schall, den die Menschenstimme annimmt, wenn etwas Unge¬ wöhnliches uns überkommt. Sie hörte noch eine andre Stimme. Auch ein Schrei, wie wenn man Geister erblickt. Das war keiner von der Diener¬ schaft, auch nicht ihr Mann. Wie ein tiefes Schluchzen! Eine heftige Bewegung. Sie hörte Männertritte. An Muth fehlte es der Geheimräthin nicht. Sie ergriff den Leuchter und trat hinaus. Die Kerze warf nur ein schwaches Licht in den verwüsteten Saal. Ihr: "Wer ist da?" hallte ohne Antwort durch die Räume, aber aus dem Cabinet daneben war eine Gestalt bei ihrem Eintritt fortgeeilt. Sie schlüpfte durch die Thür nach dem Entree. Sehen konnte sie nur
Pharaonis Schaaren das rothe Meer — wenn ſie fühlt, mit dieſem Rachekitzel der Menſchheit ſelbſt einen Dienſt zu leiſten! — Sie kann nur morden im Traume!
Sie preßte ihre Hände an die heiße Stirn, als ſie wieder ein Geräuſch hörte. — Das war Adelheids Stimme, hell — wie ein Aufſchrei. Es kam von weitem her, aber nicht weit genug, daß es von ihrem Zimmer ſein konnte. Da kam ihr das Mädchen wieder in den Sinn. Sie hatte gar nicht an ſie gedacht. Was war aus ihr geworden? Sie ſann nach. Eine dunkle Vorſtellung, daß man Hülfe! Sie brennt! gerufen. Sie durfte ſich verſengt haben. Von ihren Feinden war ja alles geſchehen, der Sache einen Eclat zu geben. Aber der Ton kam wieder; nicht mehr ein Schrei, aber der bange tönende Schall, den die Menſchenſtimme annimmt, wenn etwas Unge¬ wöhnliches uns überkommt. Sie hörte noch eine andre Stimme. Auch ein Schrei, wie wenn man Geiſter erblickt. Das war keiner von der Diener¬ ſchaft, auch nicht ihr Mann. Wie ein tiefes Schluchzen! Eine heftige Bewegung. Sie hörte Männertritte. An Muth fehlte es der Geheimräthin nicht. Sie ergriff den Leuchter und trat hinaus. Die Kerze warf nur ein ſchwaches Licht in den verwüſteten Saal. Ihr: „Wer iſt da?“ hallte ohne Antwort durch die Räume, aber aus dem Cabinet daneben war eine Geſtalt bei ihrem Eintritt fortgeeilt. Sie ſchlüpfte durch die Thür nach dem Entree. Sehen konnte ſie nur
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0169"n="159"/>
Pharaonis Schaaren das rothe Meer — wenn ſie<lb/>
fühlt, mit dieſem Rachekitzel der Menſchheit ſelbſt<lb/>
einen Dienſt zu leiſten! — Sie kann nur morden im<lb/>
Traume!</p><lb/><p>Sie preßte ihre Hände an die heiße Stirn, als<lb/>ſie wieder ein Geräuſch hörte. — Das war Adelheids<lb/>
Stimme, hell — wie ein Aufſchrei. Es kam von<lb/>
weitem her, aber nicht weit genug, daß es von ihrem<lb/>
Zimmer ſein konnte. Da kam ihr das Mädchen<lb/>
wieder in den Sinn. Sie hatte gar nicht an ſie<lb/>
gedacht. Was war aus ihr geworden? Sie ſann<lb/>
nach. Eine dunkle Vorſtellung, daß man Hülfe! Sie<lb/>
brennt! gerufen. Sie durfte ſich verſengt haben.<lb/>
Von ihren Feinden war ja alles geſchehen, der Sache<lb/>
einen Eclat zu geben. Aber der Ton kam wieder;<lb/>
nicht mehr ein Schrei, aber der bange tönende Schall,<lb/>
den die Menſchenſtimme annimmt, wenn etwas Unge¬<lb/>
wöhnliches uns überkommt. Sie hörte noch eine<lb/>
andre Stimme. Auch ein Schrei, wie wenn man<lb/>
Geiſter erblickt. Das war keiner von der Diener¬<lb/>ſchaft, auch nicht ihr Mann. Wie ein tiefes Schluchzen!<lb/>
Eine heftige Bewegung. Sie hörte Männertritte.<lb/>
An Muth fehlte es der Geheimräthin nicht. Sie<lb/>
ergriff den Leuchter und trat hinaus. Die Kerze<lb/>
warf nur ein ſchwaches Licht in den verwüſteten Saal.<lb/>
Ihr: „Wer iſt da?“ hallte ohne Antwort durch die<lb/>
Räume, aber aus dem Cabinet daneben war eine<lb/>
Geſtalt bei ihrem Eintritt fortgeeilt. Sie ſchlüpfte<lb/>
durch die Thür nach dem Entree. Sehen konnte ſie nur<lb/></p></div></body></text></TEI>
[159/0169]
Pharaonis Schaaren das rothe Meer — wenn ſie
fühlt, mit dieſem Rachekitzel der Menſchheit ſelbſt
einen Dienſt zu leiſten! — Sie kann nur morden im
Traume!
Sie preßte ihre Hände an die heiße Stirn, als
ſie wieder ein Geräuſch hörte. — Das war Adelheids
Stimme, hell — wie ein Aufſchrei. Es kam von
weitem her, aber nicht weit genug, daß es von ihrem
Zimmer ſein konnte. Da kam ihr das Mädchen
wieder in den Sinn. Sie hatte gar nicht an ſie
gedacht. Was war aus ihr geworden? Sie ſann
nach. Eine dunkle Vorſtellung, daß man Hülfe! Sie
brennt! gerufen. Sie durfte ſich verſengt haben.
Von ihren Feinden war ja alles geſchehen, der Sache
einen Eclat zu geben. Aber der Ton kam wieder;
nicht mehr ein Schrei, aber der bange tönende Schall,
den die Menſchenſtimme annimmt, wenn etwas Unge¬
wöhnliches uns überkommt. Sie hörte noch eine
andre Stimme. Auch ein Schrei, wie wenn man
Geiſter erblickt. Das war keiner von der Diener¬
ſchaft, auch nicht ihr Mann. Wie ein tiefes Schluchzen!
Eine heftige Bewegung. Sie hörte Männertritte.
An Muth fehlte es der Geheimräthin nicht. Sie
ergriff den Leuchter und trat hinaus. Die Kerze
warf nur ein ſchwaches Licht in den verwüſteten Saal.
Ihr: „Wer iſt da?“ hallte ohne Antwort durch die
Räume, aber aus dem Cabinet daneben war eine
Geſtalt bei ihrem Eintritt fortgeeilt. Sie ſchlüpfte
durch die Thür nach dem Entree. Sehen konnte ſie nur
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/169>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.