Und wenn es stehen geblieben, kein andres geworden wäre, so wärs ein abgestandener Wein, eine ekle Wieder¬ holung. Und des Daseins Losung bleibt doch -- weiter! Bis -- und da hoffentlich auch weiter."
In seiner Stube fand er zwei versiegelte Briefe. Ein verächtliches Lächeln schwebte über seine Lippen, als er den ersten durchflog. Er zerriß ihn: "Dacht ichs doch!" Er öffnete den zweiten, ihm widerfuhr dasselbe Schicksal: "Eine Copie! Süße Harmonie edler Seelen! Sie hätten das doppelte Schreiben sparen können."
Seine beiden Secundanten, die endlich zugesagt, nachdem er vergebens bei andern angefragt, mußten mit dem größten Bedauern sich wieder lossagen, der Eine wegen einer unvermeidlichen Dienstreise, dem Andern war eine zärtlich geliebte Schwester erkrankt.
"O diese zärtlichen und pflichteifrigen Menschen! Könnten sie nicht auch aus Diensteifer für das Ge¬ meinwohl, aus Zärtlichkeit für unsern zartpulsirenden Staat, Hülfe leisten wollen, wo ein verrufener Rauf¬ bold aus dieser harmonischen Gesellschaft ausgestoßen werden soll! Zittern sie vor Angst, daß man sie für meine Freunde hält! -- Jülli hat Recht, es giebt Momente, wo man noch Freunde braucht -- zum Sterben. Sonst -- er wog seine Pistolen in der Hand -- sind das die zuverlässigsten Freunde, und einen von uns beiden, wenn nicht beide, liefern sie ins Jenseits ohne viele Umstände. Aber auch dazu fordert man Umstände!"
Und wenn es ſtehen geblieben, kein andres geworden wäre, ſo wärs ein abgeſtandener Wein, eine ekle Wieder¬ holung. Und des Daſeins Loſung bleibt doch — weiter! Bis — und da hoffentlich auch weiter.“
In ſeiner Stube fand er zwei verſiegelte Briefe. Ein verächtliches Lächeln ſchwebte über ſeine Lippen, als er den erſten durchflog. Er zerriß ihn: „Dacht ichs doch!“ Er öffnete den zweiten, ihm widerfuhr daſſelbe Schickſal: „Eine Copie! Süße Harmonie edler Seelen! Sie hätten das doppelte Schreiben ſparen können.“
Seine beiden Secundanten, die endlich zugeſagt, nachdem er vergebens bei andern angefragt, mußten mit dem größten Bedauern ſich wieder losſagen, der Eine wegen einer unvermeidlichen Dienſtreiſe, dem Andern war eine zärtlich geliebte Schweſter erkrankt.
„O dieſe zärtlichen und pflichteifrigen Menſchen! Könnten ſie nicht auch aus Dienſteifer für das Ge¬ meinwohl, aus Zärtlichkeit für unſern zartpulſirenden Staat, Hülfe leiſten wollen, wo ein verrufener Rauf¬ bold aus dieſer harmoniſchen Geſellſchaft ausgeſtoßen werden ſoll! Zittern ſie vor Angſt, daß man ſie für meine Freunde hält! — Jülli hat Recht, es giebt Momente, wo man noch Freunde braucht — zum Sterben. Sonſt — er wog ſeine Piſtolen in der Hand — ſind das die zuverläſſigſten Freunde, und einen von uns beiden, wenn nicht beide, liefern ſie ins Jenſeits ohne viele Umſtände. Aber auch dazu fordert man Umſtände!“
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0183"n="173"/><p>Und wenn es ſtehen geblieben, kein andres geworden<lb/>
wäre, ſo wärs ein abgeſtandener Wein, eine ekle Wieder¬<lb/>
holung. Und des Daſeins Loſung bleibt doch —<lb/>
weiter! Bis — und da hoffentlich auch weiter.“</p><lb/><p>In ſeiner Stube fand er zwei verſiegelte Briefe.<lb/>
Ein verächtliches Lächeln ſchwebte über ſeine Lippen,<lb/>
als er den erſten durchflog. Er zerriß ihn: „Dacht<lb/>
ichs doch!“ Er öffnete den zweiten, ihm widerfuhr<lb/>
daſſelbe Schickſal: „Eine Copie! Süße Harmonie<lb/>
edler Seelen! Sie hätten das doppelte Schreiben<lb/>ſparen können.“</p><lb/><p>Seine beiden Secundanten, die endlich zugeſagt,<lb/>
nachdem er vergebens bei andern angefragt, mußten<lb/>
mit dem größten Bedauern ſich wieder losſagen, der<lb/>
Eine wegen einer unvermeidlichen Dienſtreiſe, dem<lb/>
Andern war eine zärtlich geliebte Schweſter erkrankt.</p><lb/><p>„O dieſe zärtlichen und pflichteifrigen Menſchen!<lb/>
Könnten ſie nicht auch aus Dienſteifer für das Ge¬<lb/>
meinwohl, aus Zärtlichkeit für unſern zartpulſirenden<lb/>
Staat, Hülfe leiſten wollen, wo ein verrufener Rauf¬<lb/>
bold aus dieſer harmoniſchen Geſellſchaft ausgeſtoßen<lb/>
werden ſoll! Zittern ſie vor Angſt, daß man ſie für<lb/>
meine Freunde hält! — Jülli hat Recht, es giebt<lb/>
Momente, wo man noch Freunde braucht — zum<lb/>
Sterben. Sonſt — er wog ſeine Piſtolen in der<lb/>
Hand —ſind das die zuverläſſigſten Freunde, und<lb/>
einen von uns beiden, wenn nicht beide, liefern ſie<lb/>
ins Jenſeits ohne viele Umſtände. Aber auch dazu<lb/>
fordert man Umſtände!“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[173/0183]
Und wenn es ſtehen geblieben, kein andres geworden
wäre, ſo wärs ein abgeſtandener Wein, eine ekle Wieder¬
holung. Und des Daſeins Loſung bleibt doch —
weiter! Bis — und da hoffentlich auch weiter.“
In ſeiner Stube fand er zwei verſiegelte Briefe.
Ein verächtliches Lächeln ſchwebte über ſeine Lippen,
als er den erſten durchflog. Er zerriß ihn: „Dacht
ichs doch!“ Er öffnete den zweiten, ihm widerfuhr
daſſelbe Schickſal: „Eine Copie! Süße Harmonie
edler Seelen! Sie hätten das doppelte Schreiben
ſparen können.“
Seine beiden Secundanten, die endlich zugeſagt,
nachdem er vergebens bei andern angefragt, mußten
mit dem größten Bedauern ſich wieder losſagen, der
Eine wegen einer unvermeidlichen Dienſtreiſe, dem
Andern war eine zärtlich geliebte Schweſter erkrankt.
„O dieſe zärtlichen und pflichteifrigen Menſchen!
Könnten ſie nicht auch aus Dienſteifer für das Ge¬
meinwohl, aus Zärtlichkeit für unſern zartpulſirenden
Staat, Hülfe leiſten wollen, wo ein verrufener Rauf¬
bold aus dieſer harmoniſchen Geſellſchaft ausgeſtoßen
werden ſoll! Zittern ſie vor Angſt, daß man ſie für
meine Freunde hält! — Jülli hat Recht, es giebt
Momente, wo man noch Freunde braucht — zum
Sterben. Sonſt — er wog ſeine Piſtolen in der
Hand — ſind das die zuverläſſigſten Freunde, und
einen von uns beiden, wenn nicht beide, liefern ſie
ins Jenſeits ohne viele Umſtände. Aber auch dazu
fordert man Umſtände!“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/183>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.