Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

wie er leben soll, das heißt, er kennt die Mittel, mit
denen er wirkt, bis wohin er wirken kann. Wenn
er aber das weiß, weiß er auch, daß nichts ihn hin¬
dern darf, so zu wirken, wie er kann, sagen wir
muß. Was man will und kann, muß man; es
giebt keine höhere Aufgabe. Das aber ist die Krank¬
heit unserer Zeit, das Siechthum unserer Halbwollen¬
den, daß sie den großen Männern ihre großen End¬
ziele abstehlen wollen. Haben sie Adlerflügel, Ti¬
tanenkräfte? So flattern sie, wie die Motten, ins
Licht und zerstoßen ihre blutwarmweichen Hirnschädel,
mit denen sie Mauern einbrechen wollten, am ersten
besten Zaunpfahl. Daher diese Idealisten, Staats¬
künstler, Menschheitsverbesserer! Was war es, das
sie den Großen abstehlen sollten? -- Die richtige
Erkenntniß ihrer Sphäre, die sie füllen, der Kräfte,
über die sie gebieten können. Der achtzehnte Brü¬
maire wäre ein Verbrechen, nein eine Dummheit ge¬
wesen, wenn der Lieutenant von Toulon ihn gewagt,
für den Sieger an den Pyramiden ward es eine
Tugend, die Europa und die Welt bewunderte; er
wußte was er konnte."

"Und was können wir, die wir nicht wissen,
was wir wollen, können?"

"Kein Mensch ist so gering, daß er nicht etwas
will, was scheinbar über die Verhältnisse, über seine
unentwickelten Kräfte hinausgeht. Aber wenn er den
Muth hat, es sich zu gestehen, so wachsen schon da¬
durch unvermerkt diese Kräfte. Liegt das Ziel im

wie er leben ſoll, das heißt, er kennt die Mittel, mit
denen er wirkt, bis wohin er wirken kann. Wenn
er aber das weiß, weiß er auch, daß nichts ihn hin¬
dern darf, ſo zu wirken, wie er kann, ſagen wir
muß. Was man will und kann, muß man; es
giebt keine höhere Aufgabe. Das aber iſt die Krank¬
heit unſerer Zeit, das Siechthum unſerer Halbwollen¬
den, daß ſie den großen Männern ihre großen End¬
ziele abſtehlen wollen. Haben ſie Adlerflügel, Ti¬
tanenkräfte? So flattern ſie, wie die Motten, ins
Licht und zerſtoßen ihre blutwarmweichen Hirnſchädel,
mit denen ſie Mauern einbrechen wollten, am erſten
beſten Zaunpfahl. Daher dieſe Idealiſten, Staats¬
künſtler, Menſchheitsverbeſſerer! Was war es, das
ſie den Großen abſtehlen ſollten? — Die richtige
Erkenntniß ihrer Sphäre, die ſie füllen, der Kräfte,
über die ſie gebieten können. Der achtzehnte Brü¬
maire wäre ein Verbrechen, nein eine Dummheit ge¬
weſen, wenn der Lieutenant von Toulon ihn gewagt,
für den Sieger an den Pyramiden ward es eine
Tugend, die Europa und die Welt bewunderte; er
wußte was er konnte.“

„Und was können wir, die wir nicht wiſſen,
was wir wollen, können?“

„Kein Menſch iſt ſo gering, daß er nicht etwas
will, was ſcheinbar über die Verhältniſſe, über ſeine
unentwickelten Kräfte hinausgeht. Aber wenn er den
Muth hat, es ſich zu geſtehen, ſo wachſen ſchon da¬
durch unvermerkt dieſe Kräfte. Liegt das Ziel im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0247" n="237"/>
wie er leben &#x017F;oll, das heißt, er kennt die Mittel, mit<lb/>
denen er wirkt, bis wohin er wirken kann. Wenn<lb/>
er aber das weiß, weiß er auch, daß nichts ihn hin¬<lb/>
dern darf, &#x017F;o zu wirken, wie er <hi rendition="#g">kann</hi>, &#x017F;agen wir<lb/><hi rendition="#g">muß</hi>. Was man <hi rendition="#g">will</hi> und <hi rendition="#g">kann</hi>, <hi rendition="#g">muß</hi> man; es<lb/>
giebt keine höhere Aufgabe. Das aber i&#x017F;t die Krank¬<lb/>
heit un&#x017F;erer Zeit, das Siechthum un&#x017F;erer Halbwollen¬<lb/>
den, daß &#x017F;ie den großen Männern ihre großen End¬<lb/>
ziele ab&#x017F;tehlen wollen. Haben &#x017F;ie Adlerflügel, Ti¬<lb/>
tanenkräfte? So flattern &#x017F;ie, wie die Motten, ins<lb/>
Licht und zer&#x017F;toßen ihre blutwarmweichen Hirn&#x017F;chädel,<lb/>
mit denen &#x017F;ie Mauern einbrechen wollten, am er&#x017F;ten<lb/>
be&#x017F;ten Zaunpfahl. Daher die&#x017F;e Ideali&#x017F;ten, Staats¬<lb/>
kün&#x017F;tler, Men&#x017F;chheitsverbe&#x017F;&#x017F;erer! Was war es, das<lb/>
&#x017F;ie den Großen ab&#x017F;tehlen &#x017F;ollten? &#x2014; Die richtige<lb/>
Erkenntniß ihrer Sphäre, die &#x017F;ie füllen, der Kräfte,<lb/>
über die &#x017F;ie gebieten können. Der achtzehnte Brü¬<lb/>
maire wäre ein Verbrechen, nein eine Dummheit ge¬<lb/>
we&#x017F;en, wenn der Lieutenant von Toulon ihn gewagt,<lb/>
für den Sieger an den Pyramiden ward es eine<lb/>
Tugend, die Europa und die Welt bewunderte; er<lb/>
wußte was er konnte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und was können wir, die wir nicht wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
was wir wollen, können?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Kein Men&#x017F;ch i&#x017F;t &#x017F;o gering, daß er nicht etwas<lb/>
will, was &#x017F;cheinbar über die Verhältni&#x017F;&#x017F;e, über &#x017F;eine<lb/>
unentwickelten Kräfte hinausgeht. Aber wenn er den<lb/>
Muth hat, es &#x017F;ich zu ge&#x017F;tehen, &#x017F;o wach&#x017F;en &#x017F;chon da¬<lb/>
durch unvermerkt die&#x017F;e Kräfte. Liegt das Ziel im<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0247] wie er leben ſoll, das heißt, er kennt die Mittel, mit denen er wirkt, bis wohin er wirken kann. Wenn er aber das weiß, weiß er auch, daß nichts ihn hin¬ dern darf, ſo zu wirken, wie er kann, ſagen wir muß. Was man will und kann, muß man; es giebt keine höhere Aufgabe. Das aber iſt die Krank¬ heit unſerer Zeit, das Siechthum unſerer Halbwollen¬ den, daß ſie den großen Männern ihre großen End¬ ziele abſtehlen wollen. Haben ſie Adlerflügel, Ti¬ tanenkräfte? So flattern ſie, wie die Motten, ins Licht und zerſtoßen ihre blutwarmweichen Hirnſchädel, mit denen ſie Mauern einbrechen wollten, am erſten beſten Zaunpfahl. Daher dieſe Idealiſten, Staats¬ künſtler, Menſchheitsverbeſſerer! Was war es, das ſie den Großen abſtehlen ſollten? — Die richtige Erkenntniß ihrer Sphäre, die ſie füllen, der Kräfte, über die ſie gebieten können. Der achtzehnte Brü¬ maire wäre ein Verbrechen, nein eine Dummheit ge¬ weſen, wenn der Lieutenant von Toulon ihn gewagt, für den Sieger an den Pyramiden ward es eine Tugend, die Europa und die Welt bewunderte; er wußte was er konnte.“ „Und was können wir, die wir nicht wiſſen, was wir wollen, können?“ „Kein Menſch iſt ſo gering, daß er nicht etwas will, was ſcheinbar über die Verhältniſſe, über ſeine unentwickelten Kräfte hinausgeht. Aber wenn er den Muth hat, es ſich zu geſtehen, ſo wachſen ſchon da¬ durch unvermerkt dieſe Kräfte. Liegt das Ziel im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/247
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/247>, abgerufen am 27.11.2024.