Es war ein disharmonischer Klang. Bovillard schien es zu überlaufen, was man nennt mit einer Gänsehaut. Es dauerte eine Weile, ehe Herr von Wandel zu merken schien, was er angerichtet.
"Nicht wahr, sprach er, Sie glauben nicht an Ahnungen. Sie bestreiten die Magie; und Sie ha¬ ben recht, sehr recht. Fort damit, sie drückt unsern Ma¬ gen. Hätte die Natur denn umsonst diese Bretterwände, Mauern, Körper, die Distancen vor uns aufge¬ führt, damit unser Auge nicht durch, nicht drüber hinaus sehen soll? Das Drüben ist nichts für unsre Nerven. Ein Thor, ein Narr, ein Rasender, ein Selbstmörder, der ein schönes Weib, wenn es endlich in seine Arme sinken will, statt es feurig zu umschlie¬ ßen, festhält, und mit dem Aug in die Zukunft bohrt, wo auch diese letzte entzückende Hülle zu Plunder und Asche sinkt, und Modergeruch das Gerippe umhaucht. Nein, meine Herren, das ist Krankheit, häßliche Krankheit. Hören Sie nicht auf mich. Ich bin's zuweilen, aber ich weiß mich zu curiren. -- Ein Glas Wein, feurigen Wein. Nur um zu genießen gab die Natur uns die Sinne."
Er hatte dies rasch, wie in einer Art Schauer, heraus gesagt, und stürzte eben so rasch ein Glas Ungar, das Bovillard ihm geschenkt, herunter.
"Tokayer Essenz! Uebrigens -- Ihren Seherblick in Ehren, Ihr Gespenst schreckt mich nicht. Fort müssen wir Alle, wenn der Vorhang fällt, aber er fällt erst, wenn das Stück ausgespielt ist."
Es war ein disharmoniſcher Klang. Bovillard ſchien es zu überlaufen, was man nennt mit einer Gänſehaut. Es dauerte eine Weile, ehe Herr von Wandel zu merken ſchien, was er angerichtet.
„Nicht wahr, ſprach er, Sie glauben nicht an Ahnungen. Sie beſtreiten die Magie; und Sie ha¬ ben recht, ſehr recht. Fort damit, ſie drückt unſern Ma¬ gen. Hätte die Natur denn umſonſt dieſe Bretterwände, Mauern, Körper, die Diſtancen vor uns aufge¬ führt, damit unſer Auge nicht durch, nicht drüber hinaus ſehen ſoll? Das Drüben iſt nichts für unſre Nerven. Ein Thor, ein Narr, ein Raſender, ein Selbſtmörder, der ein ſchönes Weib, wenn es endlich in ſeine Arme ſinken will, ſtatt es feurig zu umſchlie¬ ßen, feſthält, und mit dem Aug in die Zukunft bohrt, wo auch dieſe letzte entzückende Hülle zu Plunder und Aſche ſinkt, und Modergeruch das Gerippe umhaucht. Nein, meine Herren, das iſt Krankheit, häßliche Krankheit. Hören Sie nicht auf mich. Ich bin's zuweilen, aber ich weiß mich zu curiren. — Ein Glas Wein, feurigen Wein. Nur um zu genießen gab die Natur uns die Sinne.“
Er hatte dies raſch, wie in einer Art Schauer, heraus geſagt, und ſtürzte eben ſo raſch ein Glas Ungar, das Bovillard ihm geſchenkt, herunter.
„Tokayer Eſſenz! Uebrigens — Ihren Seherblick in Ehren, Ihr Geſpenſt ſchreckt mich nicht. Fort müſſen wir Alle, wenn der Vorhang fällt, aber er fällt erſt, wenn das Stück ausgeſpielt iſt.“
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Es war ein disharmoniſcher Klang. Bovillard
ſchien es zu überlaufen, was man nennt mit einer
Gänſehaut. Es dauerte eine Weile, ehe Herr von
Wandel zu merken ſchien, was er angerichtet.
„Nicht wahr, ſprach er, Sie glauben nicht an
Ahnungen. Sie beſtreiten die Magie; und Sie ha¬
ben recht, ſehr recht. Fort damit, ſie drückt unſern Ma¬
gen. Hätte die Natur denn umſonſt dieſe Bretterwände,
Mauern, Körper, die Diſtancen vor uns aufge¬
führt, damit unſer Auge nicht durch, nicht drüber
hinaus ſehen ſoll? Das Drüben iſt nichts für unſre
Nerven. Ein Thor, ein Narr, ein Raſender, ein
Selbſtmörder, der ein ſchönes Weib, wenn es endlich
in ſeine Arme ſinken will, ſtatt es feurig zu umſchlie¬
ßen, feſthält, und mit dem Aug in die Zukunft bohrt,
wo auch dieſe letzte entzückende Hülle zu Plunder und Aſche
ſinkt, und Modergeruch das Gerippe umhaucht. Nein,
meine Herren, das iſt Krankheit, häßliche Krankheit.
Hören Sie nicht auf mich. Ich bin's zuweilen, aber ich
weiß mich zu curiren. — Ein Glas Wein, feurigen
Wein. Nur um zu genießen gab die Natur uns die
Sinne.“
Er hatte dies raſch, wie in einer Art Schauer,
heraus geſagt, und ſtürzte eben ſo raſch ein Glas
Ungar, das Bovillard ihm geſchenkt, herunter.
„Tokayer Eſſenz! Uebrigens — Ihren Seherblick
in Ehren, Ihr Geſpenſt ſchreckt mich nicht. Fort
müſſen wir Alle, wenn der Vorhang fällt, aber er
fällt erſt, wenn das Stück ausgeſpielt iſt.“
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/303>, abgerufen am 27.11.2024.
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