Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

unsre eigne Ungeduld zurechtweisen. Wenn man auch
schon einig wäre, würde man einen geheimen Traktat
vor aller Augen abschließen? Halb Berlin ist hier
versammelt, die Ohren und Augen dringen bis durch
die Mauern des Schlosses. Außerdem kennen wir
alle die Scheu Seiner Majestät vor der Publicität.
Man hat gewiß diesen Tag in Potsdam nicht ohne
Absicht gewählt, aber nicht auf diesen Strom von
Zuschauern gerechnet. Mich dünkt es ist sehr klug,
daß man nun den Tag verstreichen läßt, um den
Abend abzuwarten."

"Wissen Sie etwas?" Die Fürstin trat mit ihm
bei Seite.

"Eigentlich nichts. Man unterminirt und weicht
auf. Alexander sucht ihm die Eventualität als gar
nicht so gefährlich zu schildern. Es werde mit einer
Entscheidungsschlacht abgethan sein. Wenn die drei
vereinigten Heere zusammen agirten, müsse man den
schon geschwächten zerdrücken, wie er den Mack bei
Ulm."

"Und er rechnet aus die Leichen und das Blut!"

"Dann meint Alexander, es werde vielleicht in
dem Falle gar nicht zum Blutvergießen kommen;
umzingelt, ohne Rettung, ohne Aussicht, werde er sich
auf Gnade ergeben."

"Charmant! Majestät unser gnädigster Kaiser
mahlen ihm auch vielleicht die Seligkeit der Gro߬
muth. Wie sie den Besiegten aufheben, ihn an ihre
Brust drücken wollen, wie Karl den Wittekind, ihn

unſre eigne Ungeduld zurechtweiſen. Wenn man auch
ſchon einig wäre, würde man einen geheimen Traktat
vor aller Augen abſchließen? Halb Berlin iſt hier
verſammelt, die Ohren und Augen dringen bis durch
die Mauern des Schloſſes. Außerdem kennen wir
alle die Scheu Seiner Majeſtät vor der Publicität.
Man hat gewiß dieſen Tag in Potsdam nicht ohne
Abſicht gewählt, aber nicht auf dieſen Strom von
Zuſchauern gerechnet. Mich dünkt es iſt ſehr klug,
daß man nun den Tag verſtreichen läßt, um den
Abend abzuwarten.“

„Wiſſen Sie etwas?“ Die Fürſtin trat mit ihm
bei Seite.

„Eigentlich nichts. Man unterminirt und weicht
auf. Alexander ſucht ihm die Eventualität als gar
nicht ſo gefährlich zu ſchildern. Es werde mit einer
Entſcheidungsſchlacht abgethan ſein. Wenn die drei
vereinigten Heere zuſammen agirten, müſſe man den
ſchon geſchwächten zerdrücken, wie er den Mack bei
Ulm.“

„Und er rechnet aus die Leichen und das Blut!“

„Dann meint Alexander, es werde vielleicht in
dem Falle gar nicht zum Blutvergießen kommen;
umzingelt, ohne Rettung, ohne Ausſicht, werde er ſich
auf Gnade ergeben.“

„Charmant! Majeſtät unſer gnädigſter Kaiſer
mahlen ihm auch vielleicht die Seligkeit der Gro߬
muth. Wie ſie den Beſiegten aufheben, ihn an ihre
Bruſt drücken wollen, wie Karl den Wittekind, ihn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0113" n="103"/>
un&#x017F;re eigne Ungeduld zurechtwei&#x017F;en. Wenn man auch<lb/>
&#x017F;chon einig wäre, würde man einen geheimen Traktat<lb/>
vor aller Augen ab&#x017F;chließen? Halb Berlin i&#x017F;t hier<lb/>
ver&#x017F;ammelt, die Ohren und Augen dringen bis durch<lb/>
die Mauern des Schlo&#x017F;&#x017F;es. Außerdem kennen wir<lb/>
alle die Scheu Seiner Maje&#x017F;tät vor der Publicität.<lb/>
Man hat gewiß die&#x017F;en Tag in Potsdam nicht ohne<lb/>
Ab&#x017F;icht gewählt, aber nicht auf die&#x017F;en Strom von<lb/>
Zu&#x017F;chauern gerechnet. Mich dünkt es i&#x017F;t &#x017F;ehr klug,<lb/>
daß man nun den Tag ver&#x017F;treichen läßt, um den<lb/>
Abend abzuwarten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wi&#x017F;&#x017F;en Sie etwas?&#x201C; Die Für&#x017F;tin trat mit ihm<lb/>
bei Seite.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Eigentlich nichts. Man unterminirt und weicht<lb/>
auf. Alexander &#x017F;ucht ihm die Eventualität als gar<lb/>
nicht &#x017F;o gefährlich zu &#x017F;childern. Es werde mit <hi rendition="#g">einer</hi><lb/>
Ent&#x017F;cheidungs&#x017F;chlacht abgethan &#x017F;ein. Wenn die drei<lb/>
vereinigten Heere zu&#x017F;ammen agirten, mü&#x017F;&#x017F;e man den<lb/>
&#x017F;chon ge&#x017F;chwächten zerdrücken, wie er den Mack bei<lb/>
Ulm.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und er rechnet aus die Leichen und das Blut!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Dann meint Alexander, es werde vielleicht in<lb/>
dem Falle gar nicht zum Blutvergießen kommen;<lb/>
umzingelt, ohne Rettung, ohne Aus&#x017F;icht, werde er &#x017F;ich<lb/>
auf Gnade ergeben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Charmant! Maje&#x017F;tät un&#x017F;er gnädig&#x017F;ter Kai&#x017F;er<lb/>
mahlen ihm auch vielleicht die Seligkeit der Gro߬<lb/>
muth. Wie &#x017F;ie den Be&#x017F;iegten aufheben, ihn an ihre<lb/>
Bru&#x017F;t drücken wollen, wie Karl den Wittekind, ihn<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0113] unſre eigne Ungeduld zurechtweiſen. Wenn man auch ſchon einig wäre, würde man einen geheimen Traktat vor aller Augen abſchließen? Halb Berlin iſt hier verſammelt, die Ohren und Augen dringen bis durch die Mauern des Schloſſes. Außerdem kennen wir alle die Scheu Seiner Majeſtät vor der Publicität. Man hat gewiß dieſen Tag in Potsdam nicht ohne Abſicht gewählt, aber nicht auf dieſen Strom von Zuſchauern gerechnet. Mich dünkt es iſt ſehr klug, daß man nun den Tag verſtreichen läßt, um den Abend abzuwarten.“ „Wiſſen Sie etwas?“ Die Fürſtin trat mit ihm bei Seite. „Eigentlich nichts. Man unterminirt und weicht auf. Alexander ſucht ihm die Eventualität als gar nicht ſo gefährlich zu ſchildern. Es werde mit einer Entſcheidungsſchlacht abgethan ſein. Wenn die drei vereinigten Heere zuſammen agirten, müſſe man den ſchon geſchwächten zerdrücken, wie er den Mack bei Ulm.“ „Und er rechnet aus die Leichen und das Blut!“ „Dann meint Alexander, es werde vielleicht in dem Falle gar nicht zum Blutvergießen kommen; umzingelt, ohne Rettung, ohne Ausſicht, werde er ſich auf Gnade ergeben.“ „Charmant! Majeſtät unſer gnädigſter Kaiſer mahlen ihm auch vielleicht die Seligkeit der Gro߬ muth. Wie ſie den Beſiegten aufheben, ihn an ihre Bruſt drücken wollen, wie Karl den Wittekind, ihn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/113
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/113>, abgerufen am 09.11.2024.