Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

nur den Adlern erlaubt aus der Wolkenhöhe auf die
Erde zu schauen? Dringt des Menschen Geist nicht
tiefer in die geschaffenen Dinge, fliegt er nicht höher
als der Vogel? Was tiefer, höher! War das Ehr¬
geiz, daß er ein tiefes Uebel des Gemeinwesens er¬
kannt, daß der Drang ihn übermannt, es vor der
Welt hinzustellen und zu rufen: Helft, und so könnt
ihr helfen! Wie ernst geprüft, studirt hatte er, dann
nach vollster Ueberzeugung seine Gedanken ausge¬
sprochen: so klar, deutlich; es mußte ja jedem, der
die Augen nicht verschließen will, einleuchten. Und
wo er anklopfte, verschlossene Thüren; wo er sprach,
lächelte man. Hatte ihn Jemand widerlegt? Man
hatte von schönen Gedanken gesprochen, aber wie die
Welt sei, blieben es ja doch nur Chimären. "Sie
hätten die ganze Welt für eine Chimäre erklärt, wenn
der Schöpfer, ehe er das ,Werde' sprach, die klugen
Leute befragt hätte!"

Und seine Schrift! War ihm nicht das Seltsame
begegnet, daß der Verleger, Herr Mittler auf der
Stechbahn, schon nach einigen Tagen, als er sich
einige Exemplare zurückholen wollte, ihm lächelnd
erklärt, daß sie sämmtlich vergriffen wären? -- Ver¬
kauft? Alle bis auf das letzte, und -- Niemand in
der ganzen Stadt sprach davon! Weil es wenige po¬
litische Schriften jener Zeit gab, erregten sonst auch
die unbedeutendern Aufsehen, und von seiner wußte
Niemand, Niemand fragte ihn danach, keine Zeitung
hatte sie erwähnt! --

nur den Adlern erlaubt aus der Wolkenhöhe auf die
Erde zu ſchauen? Dringt des Menſchen Geiſt nicht
tiefer in die geſchaffenen Dinge, fliegt er nicht höher
als der Vogel? Was tiefer, höher! War das Ehr¬
geiz, daß er ein tiefes Uebel des Gemeinweſens er¬
kannt, daß der Drang ihn übermannt, es vor der
Welt hinzuſtellen und zu rufen: Helft, und ſo könnt
ihr helfen! Wie ernſt geprüft, ſtudirt hatte er, dann
nach vollſter Ueberzeugung ſeine Gedanken ausge¬
ſprochen: ſo klar, deutlich; es mußte ja jedem, der
die Augen nicht verſchließen will, einleuchten. Und
wo er anklopfte, verſchloſſene Thüren; wo er ſprach,
lächelte man. Hatte ihn Jemand widerlegt? Man
hatte von ſchönen Gedanken geſprochen, aber wie die
Welt ſei, blieben es ja doch nur Chimären. „Sie
hätten die ganze Welt für eine Chimäre erklärt, wenn
der Schöpfer, ehe er das ‚Werde‛ ſprach, die klugen
Leute befragt hätte!“

Und ſeine Schrift! War ihm nicht das Seltſame
begegnet, daß der Verleger, Herr Mittler auf der
Stechbahn, ſchon nach einigen Tagen, als er ſich
einige Exemplare zurückholen wollte, ihm lächelnd
erklärt, daß ſie ſämmtlich vergriffen wären? — Ver¬
kauft? Alle bis auf das letzte, und — Niemand in
der ganzen Stadt ſprach davon! Weil es wenige po¬
litiſche Schriften jener Zeit gab, erregten ſonſt auch
die unbedeutendern Aufſehen, und von ſeiner wußte
Niemand, Niemand fragte ihn danach, keine Zeitung
hatte ſie erwähnt! —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0129" n="119"/>
nur den Adlern erlaubt aus der Wolkenhöhe auf die<lb/>
Erde zu &#x017F;chauen? Dringt des Men&#x017F;chen Gei&#x017F;t nicht<lb/>
tiefer in die ge&#x017F;chaffenen Dinge, fliegt er nicht höher<lb/>
als der Vogel? Was tiefer, höher! War das Ehr¬<lb/>
geiz, daß er ein tiefes Uebel des Gemeinwe&#x017F;ens er¬<lb/>
kannt, daß der Drang ihn übermannt, es vor der<lb/>
Welt hinzu&#x017F;tellen und zu rufen: Helft, und &#x017F;o könnt<lb/>
ihr helfen! Wie ern&#x017F;t geprüft, &#x017F;tudirt hatte er, dann<lb/>
nach voll&#x017F;ter Ueberzeugung &#x017F;eine Gedanken ausge¬<lb/>
&#x017F;prochen: &#x017F;o klar, deutlich; es mußte ja jedem, der<lb/>
die Augen nicht ver&#x017F;chließen will, einleuchten. Und<lb/>
wo er anklopfte, ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Thüren; wo er &#x017F;prach,<lb/>
lächelte man. Hatte ihn Jemand widerlegt? Man<lb/>
hatte von &#x017F;chönen Gedanken ge&#x017F;prochen, aber wie die<lb/>
Welt &#x017F;ei, blieben es ja doch nur Chimären. &#x201E;Sie<lb/>
hätten die ganze Welt für eine Chimäre erklärt, wenn<lb/>
der Schöpfer, ehe er das &#x201A;Werde&#x201B; &#x017F;prach, die klugen<lb/>
Leute befragt hätte!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Und &#x017F;eine Schrift! War ihm nicht das Selt&#x017F;ame<lb/>
begegnet, daß der Verleger, Herr Mittler auf der<lb/>
Stechbahn, &#x017F;chon nach einigen Tagen, als er &#x017F;ich<lb/>
einige Exemplare zurückholen wollte, ihm lächelnd<lb/>
erklärt, daß &#x017F;ie &#x017F;ämmtlich vergriffen wären? &#x2014; Ver¬<lb/>
kauft? Alle bis auf das letzte, und &#x2014; Niemand in<lb/>
der ganzen Stadt &#x017F;prach davon! Weil es wenige po¬<lb/>
liti&#x017F;che Schriften jener Zeit gab, erregten &#x017F;on&#x017F;t auch<lb/>
die unbedeutendern Auf&#x017F;ehen, und von &#x017F;einer wußte<lb/>
Niemand, Niemand fragte ihn danach, keine Zeitung<lb/>
hatte &#x017F;ie erwähnt! &#x2014;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0129] nur den Adlern erlaubt aus der Wolkenhöhe auf die Erde zu ſchauen? Dringt des Menſchen Geiſt nicht tiefer in die geſchaffenen Dinge, fliegt er nicht höher als der Vogel? Was tiefer, höher! War das Ehr¬ geiz, daß er ein tiefes Uebel des Gemeinweſens er¬ kannt, daß der Drang ihn übermannt, es vor der Welt hinzuſtellen und zu rufen: Helft, und ſo könnt ihr helfen! Wie ernſt geprüft, ſtudirt hatte er, dann nach vollſter Ueberzeugung ſeine Gedanken ausge¬ ſprochen: ſo klar, deutlich; es mußte ja jedem, der die Augen nicht verſchließen will, einleuchten. Und wo er anklopfte, verſchloſſene Thüren; wo er ſprach, lächelte man. Hatte ihn Jemand widerlegt? Man hatte von ſchönen Gedanken geſprochen, aber wie die Welt ſei, blieben es ja doch nur Chimären. „Sie hätten die ganze Welt für eine Chimäre erklärt, wenn der Schöpfer, ehe er das ‚Werde‛ ſprach, die klugen Leute befragt hätte!“ Und ſeine Schrift! War ihm nicht das Seltſame begegnet, daß der Verleger, Herr Mittler auf der Stechbahn, ſchon nach einigen Tagen, als er ſich einige Exemplare zurückholen wollte, ihm lächelnd erklärt, daß ſie ſämmtlich vergriffen wären? — Ver¬ kauft? Alle bis auf das letzte, und — Niemand in der ganzen Stadt ſprach davon! Weil es wenige po¬ litiſche Schriften jener Zeit gab, erregten ſonſt auch die unbedeutendern Aufſehen, und von ſeiner wußte Niemand, Niemand fragte ihn danach, keine Zeitung hatte ſie erwähnt! —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/129
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/129>, abgerufen am 21.11.2024.