Mamsell zu adoptiren, so wäre es kein Wunder, wenn die ihr den Kopf nun heiß mache.
In gewissen Kreisen sprach man von einem intimen Verhältniß der Geheimräthin mit dem Le¬ gationsrath. Der Legationsrath behielt bei den An¬ spielungen seine vollkommene Ruhe, und rühmte die Bildung und den eminenten Scharfblick der geist¬ reichen Frau. Ein Liebender bewundert nicht mit der klaren Ruhe des Verstandes eine Geliebte. Die Gevatterinnen wußten, daß er nur seltene Besuche machte, immer in der allgemeinen Besuchsstunde, sie wußten von der Dienerschaft, daß er sich stets in den Formen des feinsten Anstandes bewege. Ihre Ge¬ spräche flogen in höhere Regionen der Wissenschaft, oder betrafen Geschäfte. Die Lupinus besorgte selbst ihre Geldangelegenheiten, und Wandel hatte ihr gute Hypotheken nachgewiesen und die Pfandbriefe, die er für die sichersten hielt, anempfohlen. Er war ein Freund des Geheimrathes, den dieser oft stundenlang in seinem Studirzimmer festhielt. Wandel war ein lebendiges Lexicon für alle Ausgaben des Horaz. Und wie theilnehmend hatte er sich bei dem letzten Unglücksfall, der das Haus betraf, benommen, wenn man den Todesfall des alten Bedienten so nennen kann. Wie lange war man darauf vorbereitet ge¬ wesen, obgleich Geheimrath Mucius gesagt, er könne sich noch zehn Jahr quälen. "Wie recht hatte Ihre Frau Gemahlin, hatte er zum Geheimrath gesagt, die immer besorgte, daß er an einem acuten Anfall
Mamſell zu adoptiren, ſo wäre es kein Wunder, wenn die ihr den Kopf nun heiß mache.
In gewiſſen Kreiſen ſprach man von einem intimen Verhältniß der Geheimräthin mit dem Le¬ gationsrath. Der Legationsrath behielt bei den An¬ ſpielungen ſeine vollkommene Ruhe, und rühmte die Bildung und den eminenten Scharfblick der geiſt¬ reichen Frau. Ein Liebender bewundert nicht mit der klaren Ruhe des Verſtandes eine Geliebte. Die Gevatterinnen wußten, daß er nur ſeltene Beſuche machte, immer in der allgemeinen Beſuchsſtunde, ſie wußten von der Dienerſchaft, daß er ſich ſtets in den Formen des feinſten Anſtandes bewege. Ihre Ge¬ ſpräche flogen in höhere Regionen der Wiſſenſchaft, oder betrafen Geſchäfte. Die Lupinus beſorgte ſelbſt ihre Geldangelegenheiten, und Wandel hatte ihr gute Hypotheken nachgewieſen und die Pfandbriefe, die er für die ſicherſten hielt, anempfohlen. Er war ein Freund des Geheimrathes, den dieſer oft ſtundenlang in ſeinem Studirzimmer feſthielt. Wandel war ein lebendiges Lexicon für alle Ausgaben des Horaz. Und wie theilnehmend hatte er ſich bei dem letzten Unglücksfall, der das Haus betraf, benommen, wenn man den Todesfall des alten Bedienten ſo nennen kann. Wie lange war man darauf vorbereitet ge¬ weſen, obgleich Geheimrath Mucius geſagt, er könne ſich noch zehn Jahr quälen. „Wie recht hatte Ihre Frau Gemahlin, hatte er zum Geheimrath geſagt, die immer beſorgte, daß er an einem acuten Anfall
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0014"n="4"/>
Mamſell zu adoptiren, ſo wäre es kein Wunder, wenn<lb/>
die ihr den Kopf nun heiß mache.</p><lb/><p>In gewiſſen Kreiſen ſprach man von einem<lb/>
intimen Verhältniß der Geheimräthin mit dem Le¬<lb/>
gationsrath. Der Legationsrath behielt bei den An¬<lb/>ſpielungen ſeine vollkommene Ruhe, und rühmte die<lb/>
Bildung und den eminenten Scharfblick der geiſt¬<lb/>
reichen Frau. Ein Liebender bewundert nicht mit der<lb/>
klaren Ruhe des Verſtandes eine Geliebte. Die<lb/>
Gevatterinnen wußten, daß er nur ſeltene Beſuche<lb/>
machte, immer in der allgemeinen Beſuchsſtunde, ſie<lb/>
wußten von der Dienerſchaft, daß er ſich ſtets in den<lb/>
Formen des feinſten Anſtandes bewege. Ihre Ge¬<lb/>ſpräche flogen in höhere Regionen der Wiſſenſchaft,<lb/>
oder betrafen Geſchäfte. Die Lupinus beſorgte ſelbſt<lb/>
ihre Geldangelegenheiten, und Wandel hatte ihr gute<lb/>
Hypotheken nachgewieſen und die Pfandbriefe, die er<lb/>
für die ſicherſten hielt, anempfohlen. Er war ein<lb/>
Freund des Geheimrathes, den dieſer oft ſtundenlang<lb/>
in ſeinem Studirzimmer feſthielt. Wandel war ein<lb/>
lebendiges Lexicon für alle Ausgaben des Horaz.<lb/>
Und wie theilnehmend hatte er ſich bei dem letzten<lb/>
Unglücksfall, der das Haus betraf, benommen, wenn<lb/>
man den Todesfall des alten Bedienten ſo nennen<lb/>
kann. Wie lange war man darauf vorbereitet ge¬<lb/>
weſen, obgleich Geheimrath Mucius geſagt, er könne<lb/>ſich noch zehn Jahr quälen. „Wie recht hatte Ihre<lb/>
Frau Gemahlin, hatte er zum Geheimrath geſagt,<lb/>
die immer beſorgte, daß er an einem acuten Anfall<lb/></p></div></body></text></TEI>
[4/0014]
Mamſell zu adoptiren, ſo wäre es kein Wunder, wenn
die ihr den Kopf nun heiß mache.
In gewiſſen Kreiſen ſprach man von einem
intimen Verhältniß der Geheimräthin mit dem Le¬
gationsrath. Der Legationsrath behielt bei den An¬
ſpielungen ſeine vollkommene Ruhe, und rühmte die
Bildung und den eminenten Scharfblick der geiſt¬
reichen Frau. Ein Liebender bewundert nicht mit der
klaren Ruhe des Verſtandes eine Geliebte. Die
Gevatterinnen wußten, daß er nur ſeltene Beſuche
machte, immer in der allgemeinen Beſuchsſtunde, ſie
wußten von der Dienerſchaft, daß er ſich ſtets in den
Formen des feinſten Anſtandes bewege. Ihre Ge¬
ſpräche flogen in höhere Regionen der Wiſſenſchaft,
oder betrafen Geſchäfte. Die Lupinus beſorgte ſelbſt
ihre Geldangelegenheiten, und Wandel hatte ihr gute
Hypotheken nachgewieſen und die Pfandbriefe, die er
für die ſicherſten hielt, anempfohlen. Er war ein
Freund des Geheimrathes, den dieſer oft ſtundenlang
in ſeinem Studirzimmer feſthielt. Wandel war ein
lebendiges Lexicon für alle Ausgaben des Horaz.
Und wie theilnehmend hatte er ſich bei dem letzten
Unglücksfall, der das Haus betraf, benommen, wenn
man den Todesfall des alten Bedienten ſo nennen
kann. Wie lange war man darauf vorbereitet ge¬
weſen, obgleich Geheimrath Mucius geſagt, er könne
ſich noch zehn Jahr quälen. „Wie recht hatte Ihre
Frau Gemahlin, hatte er zum Geheimrath geſagt,
die immer beſorgte, daß er an einem acuten Anfall
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/14>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.