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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

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Ihnen unter den Händen sterben werde. Und mit
welchem Takt sie die Charlatanerie der Aerzte erkannt!"
Als man Johann an einem Morgen todt neben seinem
Bette liegend gefunden, und alle Hausgenossen in
die Kammer stürzten, war die Lupinus nur bis über
die Schwelle gekommen. Hier ging ihr der Athem
aus, die Kräfte versagten, und sie war in ihre Knie
gesunken. Ihr Gatte und der Legationsrath mußten
die Ohnmächtige aufheben. Wie liebevoll hatte er
ihr da Worte des Trostes zugesprochen. Die Diener¬
schaft zerfloß in Thränen: "Warum erschrecken, meine
Freundin, über Etwas, das nur eine Wohlthat des
Himmels ist, für den armen Dulder, für uns Alle,
die wir seine Leiden sehend mit ihm litten! Preisen
wir vielmehr die Hand, die dies gethan. Sein Wille
geschehe! der es gut, schnell und kurz gemacht!"
Gestärkt durch seinen Zuspruch, hatte sie nachher an
der Leiche gestanden, ihre Züge beobachtend. "So ist
es recht, hatte er gesagt; dem, was wir als gut
erkannt, fest ins Auge gesehen! Wem helfen Thränen,
wem weichliches Gefühl des Mitleids! Indem wir
das eine Nothwendige erkannt, stärken wir unsere
Nerven, um der Nothwendigkeit auch weiter ins Auge
zu blicken, und wir mögen endlich den Sinn des
alten Kirchenliedes erfassen: Tod, wo sind nun deine
Schrecken!" Sie war gestärkt worden. Sie hatte
selbst am Beerdigungstage die Leiche mit frischen
Blumen geschmückt. Die Dienerschaft, die Nach¬
barschaft waren davon gerührt, und das Lob der

Ihnen unter den Händen ſterben werde. Und mit
welchem Takt ſie die Charlatanerie der Aerzte erkannt!“
Als man Johann an einem Morgen todt neben ſeinem
Bette liegend gefunden, und alle Hausgenoſſen in
die Kammer ſtürzten, war die Lupinus nur bis über
die Schwelle gekommen. Hier ging ihr der Athem
aus, die Kräfte verſagten, und ſie war in ihre Knie
geſunken. Ihr Gatte und der Legationsrath mußten
die Ohnmächtige aufheben. Wie liebevoll hatte er
ihr da Worte des Troſtes zugeſprochen. Die Diener¬
ſchaft zerfloß in Thränen: „Warum erſchrecken, meine
Freundin, über Etwas, das nur eine Wohlthat des
Himmels iſt, für den armen Dulder, für uns Alle,
die wir ſeine Leiden ſehend mit ihm litten! Preiſen
wir vielmehr die Hand, die dies gethan. Sein Wille
geſchehe! der es gut, ſchnell und kurz gemacht!“
Geſtärkt durch ſeinen Zuſpruch, hatte ſie nachher an
der Leiche geſtanden, ihre Züge beobachtend. „So iſt
es recht, hatte er geſagt; dem, was wir als gut
erkannt, feſt ins Auge geſehen! Wem helfen Thränen,
wem weichliches Gefühl des Mitleids! Indem wir
das eine Nothwendige erkannt, ſtärken wir unſere
Nerven, um der Nothwendigkeit auch weiter ins Auge
zu blicken, und wir mögen endlich den Sinn des
alten Kirchenliedes erfaſſen: Tod, wo ſind nun deine
Schrecken!“ Sie war geſtärkt worden. Sie hatte
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Blumen geſchmückt. Die Dienerſchaft, die Nach¬
barſchaft waren davon gerührt, und das Lob der

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[5/0015] Ihnen unter den Händen ſterben werde. Und mit welchem Takt ſie die Charlatanerie der Aerzte erkannt!“ Als man Johann an einem Morgen todt neben ſeinem Bette liegend gefunden, und alle Hausgenoſſen in die Kammer ſtürzten, war die Lupinus nur bis über die Schwelle gekommen. Hier ging ihr der Athem aus, die Kräfte verſagten, und ſie war in ihre Knie geſunken. Ihr Gatte und der Legationsrath mußten die Ohnmächtige aufheben. Wie liebevoll hatte er ihr da Worte des Troſtes zugeſprochen. Die Diener¬ ſchaft zerfloß in Thränen: „Warum erſchrecken, meine Freundin, über Etwas, das nur eine Wohlthat des Himmels iſt, für den armen Dulder, für uns Alle, die wir ſeine Leiden ſehend mit ihm litten! Preiſen wir vielmehr die Hand, die dies gethan. Sein Wille geſchehe! der es gut, ſchnell und kurz gemacht!“ Geſtärkt durch ſeinen Zuſpruch, hatte ſie nachher an der Leiche geſtanden, ihre Züge beobachtend. „So iſt es recht, hatte er geſagt; dem, was wir als gut erkannt, feſt ins Auge geſehen! Wem helfen Thränen, wem weichliches Gefühl des Mitleids! Indem wir das eine Nothwendige erkannt, ſtärken wir unſere Nerven, um der Nothwendigkeit auch weiter ins Auge zu blicken, und wir mögen endlich den Sinn des alten Kirchenliedes erfaſſen: Tod, wo ſind nun deine Schrecken!“ Sie war geſtärkt worden. Sie hatte ſelbſt am Beerdigungstage die Leiche mit friſchen Blumen geſchmückt. Die Dienerſchaft, die Nach¬ barſchaft waren davon gerührt, und das Lob der

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/15>, abgerufen am 28.03.2024.