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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

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Stirn klärte sich auf, aber der Glanz verschwand
schnell wieder. Nach so viel Enttäuschungen vielleicht
eine neue! Hatte ihm nicht ein ängstlicher Freund aus
der Schulzeit zugeflüstert, daß er aus höheren Kreisen
gehört, wie man seine Vorschläge für naseweis halte,
daß seine Anmaßung eigentlich eine Rüge verdiene.
Und bedurfte es für ihn solcher Zuflüsterung, nach
der eigenen Erfahrung, die er bei einem befreundeten
Minister gemacht! Zwar, nach seinem Ruf im Publikum,
war der neuen Ideen zugänglich, er hege selbst gro߬
artige Plane; aber er sei eigensinnig, hieß es, dringe
damit nicht durch, darum verdrießlich, und jetzt so
gut wie ohne Einfluß. Auch er mochte ihn nur
warnen wollen.

Aus dem Zweifel, ob er den Ueberrock oder den
Frack anziehen solle, riß ihn ein neues Klopfen,
eine neue Ueberraschung. Sein Vater trat in die
Stube. Er war noch nie hier gewesen, aber auf
seinem Gesicht ersah man nichts von der Ver¬
wunderung, welche sich auf dem des Sohnes aus¬
drückte, weder eine freudige noch eine betrübte. Er reichte
dem jungen Mann die Hand: "Ich muß doch auch
mal sehn, wie's Dir geht," und setzte sich, wie er¬
müdet vom Wege, auf einen Sessel.

"Ein unerwarteter Besuch, mein Vater."

"Da Du nicht zu mir kommst, um zu sehn,
wie's bei mir aussieht, muß ich zu Dir kommen,
um zu sehn, wie's bei Dir aussieht. Wir kommen
ja sonst ganz auseinander."

Stirn klärte ſich auf, aber der Glanz verſchwand
ſchnell wieder. Nach ſo viel Enttäuſchungen vielleicht
eine neue! Hatte ihm nicht ein ängſtlicher Freund aus
der Schulzeit zugeflüſtert, daß er aus höheren Kreiſen
gehört, wie man ſeine Vorſchläge für naſeweis halte,
daß ſeine Anmaßung eigentlich eine Rüge verdiene.
Und bedurfte es für ihn ſolcher Zuflüſterung, nach
der eigenen Erfahrung, die er bei einem befreundeten
Miniſter gemacht! Zwar, nach ſeinem Ruf im Publikum,
war der neuen Ideen zugänglich, er hege ſelbſt gro߬
artige Plane; aber er ſei eigenſinnig, hieß es, dringe
damit nicht durch, darum verdrießlich, und jetzt ſo
gut wie ohne Einfluß. Auch er mochte ihn nur
warnen wollen.

Aus dem Zweifel, ob er den Ueberrock oder den
Frack anziehen ſolle, riß ihn ein neues Klopfen,
eine neue Ueberraſchung. Sein Vater trat in die
Stube. Er war noch nie hier geweſen, aber auf
ſeinem Geſicht erſah man nichts von der Ver¬
wunderung, welche ſich auf dem des Sohnes aus¬
drückte, weder eine freudige noch eine betrübte. Er reichte
dem jungen Mann die Hand: „Ich muß doch auch
mal ſehn, wie's Dir geht,“ und ſetzte ſich, wie er¬
müdet vom Wege, auf einen Seſſel.

„Ein unerwarteter Beſuch, mein Vater.“

„Da Du nicht zu mir kommſt, um zu ſehn,
wie's bei mir ausſieht, muß ich zu Dir kommen,
um zu ſehn, wie's bei Dir ausſieht. Wir kommen
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[222/0232] Stirn klärte ſich auf, aber der Glanz verſchwand ſchnell wieder. Nach ſo viel Enttäuſchungen vielleicht eine neue! Hatte ihm nicht ein ängſtlicher Freund aus der Schulzeit zugeflüſtert, daß er aus höheren Kreiſen gehört, wie man ſeine Vorſchläge für naſeweis halte, daß ſeine Anmaßung eigentlich eine Rüge verdiene. Und bedurfte es für ihn ſolcher Zuflüſterung, nach der eigenen Erfahrung, die er bei einem befreundeten Miniſter gemacht! Zwar, nach ſeinem Ruf im Publikum, war der neuen Ideen zugänglich, er hege ſelbſt gro߬ artige Plane; aber er ſei eigenſinnig, hieß es, dringe damit nicht durch, darum verdrießlich, und jetzt ſo gut wie ohne Einfluß. Auch er mochte ihn nur warnen wollen. Aus dem Zweifel, ob er den Ueberrock oder den Frack anziehen ſolle, riß ihn ein neues Klopfen, eine neue Ueberraſchung. Sein Vater trat in die Stube. Er war noch nie hier geweſen, aber auf ſeinem Geſicht erſah man nichts von der Ver¬ wunderung, welche ſich auf dem des Sohnes aus¬ drückte, weder eine freudige noch eine betrübte. Er reichte dem jungen Mann die Hand: „Ich muß doch auch mal ſehn, wie's Dir geht,“ und ſetzte ſich, wie er¬ müdet vom Wege, auf einen Seſſel. „Ein unerwarteter Beſuch, mein Vater.“ „Da Du nicht zu mir kommſt, um zu ſehn, wie's bei mir ausſieht, muß ich zu Dir kommen, um zu ſehn, wie's bei Dir ausſieht. Wir kommen ja ſonſt ganz auseinander.“

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/232>, abgerufen am 21.11.2024.