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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

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Das Schluchzen ward ansteckend. Charlotte,
am nächsten Fenster fing an so laut zu weinen, als
sie eben gejubelt: "Sie müssen alle sterben, ich seh
ihn nicht wieder."

Als die Baronin ihr Battisttuch an die Augen
drückte, hatte sich indeß die Scene wieder geändert.
Charlotte stieß die Nachbarin in ihrer heftigen Be¬
wegung fast zurück: "Er streicht den Bart; das gilt
mir; ja, ja ich seh's", und damit er's wieder sähe, bog
sie sich hinaus. Malwine und Fritz wären dafür
gestoßen worden. Es war nicht nöthig, daß sie das
Umschlagetuch sich abgerissen, der Wachtmeister ritt
schon unter dem Fenster, und warf ihr Kußhände zu.
Und wie keck schmunzeld er wieder den Bart strich!

Die Baronin sah auch etwas, aber -- sie ward
blaß. Er strich nicht den Bart, nein; aber als er
hinaufgeblickt, ihre Augen ihn getroffen, wandte er
plötzlich den Kopf. Er setzte die Sporen ein und
war zur Generalität geflogen. Sie sah ihn im Ge¬
dränge nicht wieder.

"Ist Ihnen unpäßlich, meine Gnädige?" fragte
der Legationsrath, der, jetzt erst eingetreten, die Dame
nach einem Stuhl führte.

"Es wird bald vorüber gehen."

"So ist es recht. Weinen Sie sich aus. Ver¬
haltener Kummer ist für Seele und Leib gleich ge¬
fährlich."

Die Eitelbach hatte Zeit sich auszuweinen; bis
auf die Kinder, welche die Einladung an den Choco¬

Das Schluchzen ward anſteckend. Charlotte,
am nächſten Fenſter fing an ſo laut zu weinen, als
ſie eben gejubelt: „Sie müſſen alle ſterben, ich ſeh
ihn nicht wieder.“

Als die Baronin ihr Battiſttuch an die Augen
drückte, hatte ſich indeß die Scene wieder geändert.
Charlotte ſtieß die Nachbarin in ihrer heftigen Be¬
wegung faſt zurück: „Er ſtreicht den Bart; das gilt
mir; ja, ja ich ſeh's“, und damit er's wieder ſähe, bog
ſie ſich hinaus. Malwine und Fritz wären dafür
geſtoßen worden. Es war nicht nöthig, daß ſie das
Umſchlagetuch ſich abgeriſſen, der Wachtmeiſter ritt
ſchon unter dem Fenſter, und warf ihr Kußhände zu.
Und wie keck ſchmunzeld er wieder den Bart ſtrich!

Die Baronin ſah auch etwas, aber — ſie ward
blaß. Er ſtrich nicht den Bart, nein; aber als er
hinaufgeblickt, ihre Augen ihn getroffen, wandte er
plötzlich den Kopf. Er ſetzte die Sporen ein und
war zur Generalität geflogen. Sie ſah ihn im Ge¬
dränge nicht wieder.

„Iſt Ihnen unpäßlich, meine Gnädige?“ fragte
der Legationsrath, der, jetzt erſt eingetreten, die Dame
nach einem Stuhl führte.

„Es wird bald vorüber gehen.“

„So iſt es recht. Weinen Sie ſich aus. Ver¬
haltener Kummer iſt für Seele und Leib gleich ge¬
fährlich.“

Die Eitelbach hatte Zeit ſich auszuweinen; bis
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[15/0025] Das Schluchzen ward anſteckend. Charlotte, am nächſten Fenſter fing an ſo laut zu weinen, als ſie eben gejubelt: „Sie müſſen alle ſterben, ich ſeh ihn nicht wieder.“ Als die Baronin ihr Battiſttuch an die Augen drückte, hatte ſich indeß die Scene wieder geändert. Charlotte ſtieß die Nachbarin in ihrer heftigen Be¬ wegung faſt zurück: „Er ſtreicht den Bart; das gilt mir; ja, ja ich ſeh's“, und damit er's wieder ſähe, bog ſie ſich hinaus. Malwine und Fritz wären dafür geſtoßen worden. Es war nicht nöthig, daß ſie das Umſchlagetuch ſich abgeriſſen, der Wachtmeiſter ritt ſchon unter dem Fenſter, und warf ihr Kußhände zu. Und wie keck ſchmunzeld er wieder den Bart ſtrich! Die Baronin ſah auch etwas, aber — ſie ward blaß. Er ſtrich nicht den Bart, nein; aber als er hinaufgeblickt, ihre Augen ihn getroffen, wandte er plötzlich den Kopf. Er ſetzte die Sporen ein und war zur Generalität geflogen. Sie ſah ihn im Ge¬ dränge nicht wieder. „Iſt Ihnen unpäßlich, meine Gnädige?“ fragte der Legationsrath, der, jetzt erſt eingetreten, die Dame nach einem Stuhl führte. „Es wird bald vorüber gehen.“ „So iſt es recht. Weinen Sie ſich aus. Ver¬ haltener Kummer iſt für Seele und Leib gleich ge¬ fährlich.“ Die Eitelbach hatte Zeit ſich auszuweinen; bis auf die Kinder, welche die Einladung an den Choco¬

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/25>, abgerufen am 21.11.2024.