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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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"Ich kann kein Blut sehen, sagte er. Sie
wissen es."

"Starker Mann!"

"Stärkere leiden an Idiosynkrasieen."

"Wer seinen Freund zum Rendezvous auf
zwei Kugelmündungen ladet!" Es blieb zweifelhaft,
ob die Bemerkung ironisch gemeint war, ihr Blick
verrieth es nicht. Ihre Gedanken waren noch an¬
derswo.

"Die Kugel bringt den Tod, dem Andern oder
mir. Ich fürchte weder diese Frage zwischen Sein
und Nichtsein, noch das Eingehn in das Nichtsein.
Aber das Blut ist eine unvertilgbare Essenz, sprach er
schaudernd, und sprang auf. Ich kann nicht dafür,
daß meine Natur so ist, noch begreife ichs, warum
die ewig gebährende Mutter diese Anomalie in
ihrem großen Schöpfungswerk zuließ. Ich wische
alle Tinten, Farben spurlos aus, aber warum wider¬
steht dieser häßliche rothe Saft, warum wird er so
oft zum Verräther --"

"Weil der Himmel das warme Blut in unsere
Adern goß, rief die Gargazin, als den köstlichen Saft,
in dem wir uns berauschend einen Vorschmack seiner
Seligkeiten trinken mögen. Das begreifen Sie freilich
nicht, Mann von Marmor."

"Den Rausch begreif ich, Erlauchte Frau, auch
den Rausch in Blut. Aber nicht, verzeihen
Sie, wenn es durch Geißelhiebe aus dem --
Rücken einer elenden Creatur gepeitscht wird. Alles,

„Ich kann kein Blut ſehen, ſagte er. Sie
wiſſen es.“

„Starker Mann!“

„Stärkere leiden an Idioſynkraſieen.“

„Wer ſeinen Freund zum Rendezvous auf
zwei Kugelmündungen ladet!“ Es blieb zweifelhaft,
ob die Bemerkung ironiſch gemeint war, ihr Blick
verrieth es nicht. Ihre Gedanken waren noch an¬
derswo.

„Die Kugel bringt den Tod, dem Andern oder
mir. Ich fürchte weder dieſe Frage zwiſchen Sein
und Nichtſein, noch das Eingehn in das Nichtſein.
Aber das Blut iſt eine unvertilgbare Eſſenz, ſprach er
ſchaudernd, und ſprang auf. Ich kann nicht dafür,
daß meine Natur ſo iſt, noch begreife ichs, warum
die ewig gebährende Mutter dieſe Anomalie in
ihrem großen Schöpfungswerk zuließ. Ich wiſche
alle Tinten, Farben ſpurlos aus, aber warum wider¬
ſteht dieſer häßliche rothe Saft, warum wird er ſo
oft zum Verräther —“

„Weil der Himmel das warme Blut in unſere
Adern goß, rief die Gargazin, als den köſtlichen Saft,
in dem wir uns berauſchend einen Vorſchmack ſeiner
Seligkeiten trinken mögen. Das begreifen Sie freilich
nicht, Mann von Marmor.“

„Den Rauſch begreif ich, Erlauchte Frau, auch
den Rauſch in Blut. Aber nicht, verzeihen
Sie, wenn es durch Geißelhiebe aus dem —
Rücken einer elenden Creatur gepeitſcht wird. Alles,

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[92/0102] „Ich kann kein Blut ſehen, ſagte er. Sie wiſſen es.“ „Starker Mann!“ „Stärkere leiden an Idioſynkraſieen.“ „Wer ſeinen Freund zum Rendezvous auf zwei Kugelmündungen ladet!“ Es blieb zweifelhaft, ob die Bemerkung ironiſch gemeint war, ihr Blick verrieth es nicht. Ihre Gedanken waren noch an¬ derswo. „Die Kugel bringt den Tod, dem Andern oder mir. Ich fürchte weder dieſe Frage zwiſchen Sein und Nichtſein, noch das Eingehn in das Nichtſein. Aber das Blut iſt eine unvertilgbare Eſſenz, ſprach er ſchaudernd, und ſprang auf. Ich kann nicht dafür, daß meine Natur ſo iſt, noch begreife ichs, warum die ewig gebährende Mutter dieſe Anomalie in ihrem großen Schöpfungswerk zuließ. Ich wiſche alle Tinten, Farben ſpurlos aus, aber warum wider¬ ſteht dieſer häßliche rothe Saft, warum wird er ſo oft zum Verräther —“ „Weil der Himmel das warme Blut in unſere Adern goß, rief die Gargazin, als den köſtlichen Saft, in dem wir uns berauſchend einen Vorſchmack ſeiner Seligkeiten trinken mögen. Das begreifen Sie freilich nicht, Mann von Marmor.“ „Den Rauſch begreif ich, Erlauchte Frau, auch den Rauſch in Blut. Aber nicht, verzeihen Sie, wenn es durch Geißelhiebe aus dem — Rücken einer elenden Creatur gepeitſcht wird. Alles,

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/102>, abgerufen am 24.11.2024.